Die grüne Revolution lässt auf sich warten
Ein Doppelprojekt in Paris zeigt das Dilemma der Nachhaltigkeit: Es gibt kein richtiges Bauen im falschen.
Text: Welzbacher, Christian, Berlin
Die grüne Revolution lässt auf sich warten
Ein Doppelprojekt in Paris zeigt das Dilemma der Nachhaltigkeit: Es gibt kein richtiges Bauen im falschen.
Text: Welzbacher, Christian, Berlin
In Paris hat Christian de Portzamparc für die Sorbonne Nouvelle einen Neubau errichtet, der den geringen vorhandenen Platz maximal ausnutzt. Direkt daneben baut Maud Caubet die Tour Racine in ein grünes Mixed-Use-Gebäude um.
Mit gewisser Verzögerung sind die Debatten um Nachhaltigkeit auch in Frankreich angekommen. Nicht nur die Pariser Architektursalons haben das Thema auf die Agenda gesetzt. Auch in Zeitungen und Fachmagazinen wird über explodierende Materialpreise und kränkelnde Konjunktur, Klimawandel und Vegetarismus diskutiert. Ob man einer glücklichen Zukunft der Enkelkinder zuliebe beim herbstlichen Piquenique auf Grillfleisch verzichten sollte, erörterte unlängst Le Monde ausführlich. Das war natürlich rhetorisch gemeint. Denn eine dogmatische Entsagungsdebatte wie in Deutschland, angefüttert mit der düsteren Vision von frierenden Vegetariern – dazu hat man in Frankreich schlichtweg zu viel Stil.
Dass sich die französische Architektenschaft gleichwohl in dem auch uns bekannten Dilemma befindet – bauen zu müssen in einer Zeit, die das Bauen längst verboten haben sollte – ist allen Beteiligten natürlich bewusst. Exemplarisch zeigt sich dies an einem Doppelprojekt im gemächlichen Pariser 12. Arrondissement, über das aktuell viel geredet wird. Es handelt sich einerseits um die Tour Racine, andererseits um den Campus der Sorbonne Nouvelle gleich nebenan (eine Ausgründung der Universität aus den 1960er Jahren, spezialisiert auf Sprachen und interkulturelle Kompetenz). Beide teilen sich die Spitze eines Baublocks an der Avenue de Saint-Mandé, einer baumbestandenen Ausfallstraße zwischen dem Verkehrsknoten Place de la Nation und dem Bois de Vincennes weiter östlich.
Virtuos führt das renommierte Büro Christian de Portzamparc mit der Sorbonne Nouvelle vor, wie man ein hochverdichtetes Bauprogramm auf einer extrem kompakten Parzelle unterbringt. Beinahe eine Hochschulstadt en miniature versteckt sich in drei bunt verkleideten Sechsgeschossern. Sie schlängeln sich geschickt in die Tiefe des Grundstücks, holen so das Maximum an Öffnung, Ventilation und Durchsicht heraus. Das Projekt erneuert die Pariser Tradition, den knappen Platz auf überteuerten Grundstücken zu maximieren, soweit es die Baugesetze zulassen (und darüber hinaus). Mit der Expansionswut deutscher Hochschulen – eingedenk des resultierenden Flächenverbrauchs plus der exorbitanten Heizkosten – hat das nichts zu tun. Au contraire! Unter Teutonen wäre so etwas undenk-, weil vermeintlich unzumutbar. Um es klar zu sagen: Allesamt, unten die Studenten, oben die Verwaltung, hocken aufeinander wie im Hasenstall. Klaustrophobisch darf man da nicht veranlagt sein. Weder körperlich, noch geistig. Denn Universität ist in Frankreich ein Hort der Unselbständigkeit, mit Büffeln und harten Examina. Dass Portzamparcs Bau teils wie eine Mischung aus Schule und Krankenhaus wirkt (das bunte Leitsystem-Linoleum trägt dazu bei) passt also durchaus zur Bauaufgabe.
Luftiger wird es nur in der Attika, die, ganz hierarchisch, der Direktion vorbehalten bleibt. Von oben blickt man tief in den trichterförmigen Garten im Zentrum der Anlage. Ein Amphithéâtre aus Gras und Beton wühlt sich in den Keller, wo die großen Hörsäle eingegrabenen sind. Auch schaut man hinüber aufs Nachbargrundstück, den illustren Friedhof von Picpus, wo 1794 die über 1400 auf der heutigen Place de la Nation Guillotinierten verscharrt wurden. Umsturz und Übereifer, Schuld und Sühne: ein durchaus symbolischer Ort also für einen Neubau an der Schwelle zum „Post-Building-Age“.
Portzamparcs Monument der „alten“ antwortet denn auch ein Vorhaben der „neuen Ordnung“: die „Tour Racine“. Statt Abriss (wie im Campusbereich) ging es auf der Grundstücksspitze dezidiert um Erhalt historischer Substanz, des markanten, kreisrunden Hochhauses mit seiner vorgehängten Pre-Fab-Fassade. Das Kuriosum aus den 1970er Jahren ist der letzte Rest des einstigen Landwirtschaftsministeriums, dessen Großteil der Sorbonne Nouvelle weichen musste. Der Rundbau, bis 2022 Sitz der Forstbehörde (einer Unterabteilung), wird jetzt als Sinnbild der „Nachhaltigkeit“ saniert. Maud Caubet Architectes haben dazu nicht nur eine extensive Grünplanung rund um das Erdgeschoss vorgesehen (mit Gemüsegarten!), sondern auch einen den Turm bekrönenden Wald, der, eingehaust durch eine doppelstöckige Holz-Glas-Fassade, als Außenraum der zukünftigen Dachcafeteria dienen soll.
Angesichts der Aufmerksamkeit, die dem „Public-Private-Partnership“-Projekt zuteil wird, fragt man sich natürlich: Ist der Büroturm wirklich ein ernstzunehmender Beitrag zur aktuellen Debatte? Oder handelt es sich um Marketing? Man erinnert sich an den künstlichen Wald im abgesenkten Innenhof von Dominique Perraults Bibliothèque nationale, der ebenfalls etwas von einem monumentalen Ausstellungsobjekt hat. Als wollte man den geplagten Großstädtern inmitten ihrer schlecht belüfteten Umwelt erinnern: Seht her, so war sie…die Natur.
Im Doppelprojekt Sorbonne Nouvelle/Tour Racine jedenfalls bilden sich Parisʼ gegenwärtige baukulturelle Verhältnisse ganz eigenwillig ab. Der öffentliche Bauherr atemlos dicht gedrängt. Der private Bauherr generös. Beides zusammengenommen wird offenbar: Über „Nachhaltigkeit“ lässt sich im luftleeren Raum nicht debattieren. Gesprochen werden muss vielmehr über Eigentumsverhältnisse, die Bodenfrage, Preispolitik. Und über die Bauwirtschaft, die den ökonomischen Druck in Städten wie Paris für sich nutzt, um dann vorgartengroßes Abstandsgrün als nachhaltige Weltsensation zu verkaufen. Wir müssen endlich über die Grundsatzfragen hinter den Modethemen streiten! Nur leider: Diese Debatten werden auch in Paris nicht geführt.
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