Rettung in Sicht?
Die angekündigte Zerstörung der grandiosen Sonnenschutzanlage des ehemaligen Berliner GSW-Hochhauses entfachte einen Sturm der Entrüstung. Hat der Eigentümer erkannt, was auf dem Spiel steht?
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Rettung in Sicht?
Die angekündigte Zerstörung der grandiosen Sonnenschutzanlage des ehemaligen Berliner GSW-Hochhauses entfachte einen Sturm der Entrüstung. Hat der Eigentümer erkannt, was auf dem Spiel steht?
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Das GSW-Hochhaus und Berlin (und die Bauwelt) gehören für mich zusammen, seit ich vor 23 Jahren, Mitte April 1999, das erste Mal einen Fuß in die Bauwelt-Redaktion gesetzt habe. Ich war zum Vorstellungsgespräch für ein Redaktionspraktikum eingeladen worden. Irgendwann im Laufe der Unterhaltung mit Kaye Geipel und Peter Rumpf, der damals Chefredakteur war, stellte einer der beiden die Frage, die wir noch heute all unse-ren Bewerberinnen und Bewerbern auf ein Praktikum stellen, um etwas über die architektonischen Vorlieben der Kollegen in spe zu erfahren: „Haben Sie ein Lieblingsgebäude in Berlin?“ Ich erinnere mich beim besten Willen nicht mehr daran, welches Gebäude ich damals nannte. Aber ich weiß noch, dass ich diese Frage zum Anlass nahm, am Ende des Gesprächs meinerseits zu fragen, welches neue Projekt in Berlin sie mir empfehlen könnten, für das sich ein Umweg lohne, ehe ich den Zug zurück ins Rhein-Main-Gebiet nehmen würde. Ohne lange nachdenken zu müssen, empfahlen die beiden mir, beim „Hochhaus von Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton in der Kochstraße“ vorbeizugehen. Das sei inzwischen weitgehend fertiggestellt und auf jeden Fall lohnenswert.
Ich hatte in Darmstadt studiert und war mit dem Konzept von Doppelfassaden aus Glas vertraut – Thomas Herzog und Karl-Heinz Petzinka hatten beide bei uns gelehrt. Aber ein Haus, bei dem es den Architekten gelungen war, einer Konvektionsfassade eine derart spielerische, luftige, ja poetische Anmutung zu verleihen, wie es Sauerbruch und Hutton mit dem farbigen Sonnenschutz in der Westfassade des GSW-Hochhauses geschafft hatten, das hatte ich noch nicht gesehen. Ich war begeistert. So wie sich bald die gesamte Fachwelt begeistert zeigte. In der Bauwelt war man, das sollte ich in Kürze erfahren, durchaus nicht immer einer Meinung darüber, ob dieses oder jenes Haus, das zur Veröffentlichung anstand, wirklich voll und ganz gelungen war, beim GSW-Hochhaus jedoch waren alle Kollegen überzeugt: Da ist etwas Herausragendes entstanden.
Ich schreibe das hier nicht, um Anekdoten aus meiner Zeit als Berufsanfänger zum Besten zu geben, sondern damit deutlich wird: Als durch die Online-Petition, die Sauerbruch und Hutton Ende Mai diesen Jahres lancierten, bekannt wurde, dass die derzeitigen Verwalter des heute „Rocket Tower“ genannten Hauses planen, die Westfassade durch den Austausch der raffinierten farbigen Sonnenschutzpaneele gegen simple Stoffrollos in Standardfarben zu banalisieren, ja: zu entstellen – da war das, anders als bei vielen anderen Meldungen über den drohenden Verlust erhaltenswerter Bausubstanz, die uns regelmäßig erreichen, nachgerade ein persönlicher Angriff. So muss es vielen, Fachleuten wie Laien, gegangen sein, denn der Sturm der Entrüstung war gewaltig. Die Petition „Rettet die GSW-Fassade!“ wurde bislang mehr als 5500 Mal unterzeichnet. Die Fach- wie auch die Publikumspresse berichtete ausführlich: Das Haus ist eben nicht nur in Architektenkreisen hochgeschätzt, sondern als Berliner Wahrzeichen weit darüber hinaus.
Wie würde die Sache weitergehen? Würden die Verwalter des Hauses, eine Sienna Real Estate Property Management Germany GmbH mit Sitz in Hamburg, die Angelegenheit einfach aussitzen und, wenn sich der Sturm etwas gelegt hätte, die Monteure anrücken lassen? Oder würden sie nun endlich auf bisher ignorierte Versuche des Büros Sauerbruch Hutton, Kontakt aufzunehmen, reagieren?
Eine unerwartete Wendung nahm die Angelegenheit, als am 4. Juli das eben turnusgemäß frisch besetzte Baukollegium, der Berliner Gestaltungsbeirat, zu seiner ersten öffentlichen Sitzung zusammentrat und an erster Stelle der Tagesordnung zu lesen stand: „Fassadensanierung ehem. GSW-Hochhaus; Vorhabenträger: Sienna Real Estate, Hamburg; Planung: sauerbruchhutton Architekten, Berlin“. Üblicherweise werden Bauherren und Planer von Bauvorhaben ins Baukollegium eingeladen, die gemeinsam etwas planen. Im vorliegenden Fall hingegen gab es einen Bauherrn, der etwas plante, bei dem er die Architekten offensichtlich nicht dabeihaben wollte. Wie würde das also ablaufen? In der Sitzung erfuhr man, dass die Architekten, Vertreter der Hausverwaltung, das Baukollegium und sogar Vertreter des derzeitigen Eigentümers des Hauses, Amundi Real Estate, eine internationale Fondsgesellschaft mit Hauptsitz in Paris, unmittelbar vor der Sitzung das Haus gemeinsam aufgesucht und in Augenschein genommen hatten. Teilnehmer berichten, die Atmosphäre sei anfänglich durchaus frostig gewesen, habe sich im Laufe der Begehung aber deutlich aufgehellt. Auch wird berichtet, dass die Vertreter des Eigentümers sich angetan von dem Haus gezeigt hätten. Offenbar war niemandem in der Pariser Fondgesellschaft bisher klar gewesen, was für eine besondere Büro-Immobilie sich mit dem ehemaligen GSW-Hochhaus im Portfolio des Unternehmens versteckt.
In der Sitzung selbst stellte Matthias Sauerbruch das Haus und das Konzept der Fassade noch einmal ausführlich vor. Die Vertreter der Hausverwaltung legten den Sanierungsbedarf dar und stellten in Aussicht, ein unabhängiges Gutachten in Auftrag zu geben, in dem beide Sanierungsvarianten – Reparatur und gegebenenfalls technische Anpassungen der bestehenden Sonnenschutzanlage auf der einen und Austausch gegen Stoffrollos auf der anderen Seite – gegeneinander abgewogen werden sollten. Keinesfalls, das wolle man betonen, plane man, ein Berliner Wahrzeichen zu zerstören. Die Empfehlung des Baukollegiums nach interner Beratung war eindeutig: Man erwarte, dass in Zusammenarbeit mit den Architekten eine Lösung gesucht werde, das bestehende Sonnenschutzsystem zu ertüchtigen. Außerdem möchte das Gremium den Fortgang der Angelegenheit weiterbegleiten.
Das war am 4. Juli. Bis Redaktionsschluss dieses Beitrags am 24. August haben die Architekten nichts aus Hamburg oder Paris gehört. Nun, es sind Sommerferien, vielleicht verzögert das die Sache etwas. Wir werden dranbleiben. Wie gesagt: Das ist eine persönliche Angelegenheit.
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