Bauwelt

Transformationsstädte

Eisenhüttenstadt, Schwedt, Nowa Huta: Eine Schau widmet sich den Typen der sozialistischen Aufbaustadt und lenkt den Blick auch auf die ab 1990 einsetzenden städtebaulichen Veränderungen.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Luftaufnahmen von Schwedt/Oder ...
    Foto: Lothar Willmann/Bestand IRS Erkner

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    ... und Eisenhüttenstadt, circa 1979.
    Foto: Lothar Willmann/Bestand IRS Erkner

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    Wie sieht es in Eisenhüttenstadt und Schwedt eigentlich aus?
    Foto: Martin Maleschka

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Transformationsstädte

Eisenhüttenstadt, Schwedt, Nowa Huta: Eine Schau widmet sich den Typen der sozialistischen Aufbaustadt und lenkt den Blick auch auf die ab 1990 einsetzenden städtebaulichen Veränderungen.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Eisenhüttenstadt war, anfangs noch unter dem Namen Stalinstadt, die erste Stadtneugründung der DDR und wuchs innerhalb von wenigen Jahrzehnten auf mehr als 53.000 Einwohner an. Die Grundsteinlegung fand 1951 statt. Das Museum „Utopie und Alltag“ nahm das 70-jährige Jubiläum im vergangenen Jahr zum Anlass, in einer umfangreichen Sonderausstellung neben der grundlegenden Idee und Entstehung dieser Planstadt auch ihren komplexen postsozialistischen Wandel sowie den Stadtumbau der Nachwendezeit genauer unter die Lupe zu nehmen, im direkten Vergleich zu den beiden ebenfalls neu aufgebauten sozialistischen Industriearbeiterstädten Schwedt an der Oder in der Uckermark und Nowa Huta, bei Krakau. Dabei werden viele, teilweise bislang kaum bekannte Aspekte der bisherigen Planungs- und Baugeschichte dieser drei Städte näher beleuchtet.
Die Ausstellungskonzeption und -gestaltung entstand in Kooperation mit der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, wodurch die Sonderschau einen werkstattartigen Charakter mit einer eher experimentellen, aus Baustützen und Multiplexplatten bestehenden Ausstellungsarchitektur hat. Viele großformatige Original-Pläne und Wettbewerbsentwürfe, Reproduktionen von Dokumenten, historische und aktuelle Fotoaufnahmen sowie verschiedene Modelle werden präsentiert. Der Hauptfokus liegt auf Eisenhüttenstadt. Nowa Huta und Schwedt dienen lediglich als Vergleichsbeispiele und Gegenfolien. Was man auch an den zahlreichen beeindruckenden Original-Leihgaben erkennen kann.
Die Ausstellung zeigt neben den städtebau­lichen Konzepten dieser drei in den 1950er und 1960er Jahren gegründeten Städte und ihren verschiedenen, später veränderten oder aber nur teilweise umgesetzten Planungen auch die ganz unterschiedliche Entwicklung nach 1990 bis ins konkrete Detail. Denn diese Sonderschau will − jenseits der nostalgischen Verklärung der ersten Aufbaujahre − den Blick bewusst auf die aktuelle postsozialistische Situation lenken, mit ihren in den neuen Bundesländern teilweise schwierigen Rahmenbedingungen (Verlust von Arbeitsplätzen, Abwanderung) und den daraus resultierenden, weiterhin anhaltenden städtebaulichen Umstrukturierungsprozessen.

Flächendenkmal Eisenhüttenstadt

Das aus dem Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR hervorgegangene Museum „Utopie und Alltag“ befindet sich in einem umgenutzten Kindergarten im Zentrum von Eisenhüttenstadt, in einem der größten Flächendenkmale Deutschlands, das nach dem Ausstellungsbesuch zu eigenen Erkundungstouren durch die neoklassizistisch-historistischen, als Filmlocation (u. a. für „Das schweigende Klassenzimmer“) bekannten Straßenzüge in der unmittelbaren Umgebung geradezu einlädt. Denn an der baulichen Entwicklung Eisenhüttenstadts lassen sich die unterschiedlichen Phasen und politischen Linien der DDR mit ihren wechselnden architektonischen Konzepten bis heute ablesen. Die Stadt entstand im Zuge der länderübergreifenden Schwerindustriekampagne des Ostblocks zeitgleich mit anderen sozialistischen Stahlstädten − wie Nowa Huta („Neue Hütte“) am Stadtrand von Krakau in Polen und Sztálinváros („Stalinstadt“), seit 1961: Dunaújváros in Ungarn −als sozialistische Wohnstadt eines neu etablierten Eisenhüttenkombinats, hieß ab 1953 Stalinstadt und wurde im Zuge der Entstalinisierung 1961, nach der Eingemeindung von Fürstenberg (Oder) und dem westlich angrenzenden Ort Schönfließ, in Eisenhüttenstadt umbenannt.
Die Schau zeigt nach einem Schlaglicht auf die ersten modernen, nicht realisierten Vorstudien von Franz Ehrlich für diese Arbeiterwohnstadt des damaligen Eisenhüttenkombinats Ost (EKO, heute: ArcelorMittal Eisenhüttenstadt GmbH) die ab 1950 geltenden sowjetischen Vorbilder und daraufhin unter dem Architekten und Stadtplaner Kurt W. Leucht entstandenen Planungen für die ersten Wohnkomplexe im Stil der „Nationalen Traditionen“: mit einer klassisch inspirierten Architektursprache, Axialität und Symmetrie, der baulichen Betonung der Straßenkreuzungen, in­dividuellen Gestaltung der öffentlichen Gebäude und einer umfangreichen baukünstlerischen Ausstattung. Dabei wird die auf das Werk ausgerichtete Gestalt Stalin-/Eisenhüttenstadts der strahlenförmig auf den Zentralen Platz zulaufenden Stadtstruktur Nowa Hutas (Bauwelt 4.1993) gegenübergestellt und diehier, eher an Renaissance-Formen erinnernde Gestaltung kurz angerissen. Nowa Huta war für mehr als 100.000 Einwohner geplant, wurde im Osten Krakaus, zwischen der Altstadt und dem Stahlwerk, auf einem ehemaligen Flugplatzgelände errichtet und wuchs danach immer mehr mit der historischen Stadt zusammen. Die Wohnungen der ersten, architektonisch repräsentativeren Quartiere sind aufgrund ihrer räumlichen und auch urbanen Qualitäten weiterhin beliebt.
Weitere Ausstellungsbereiche zu Eisenhüttenstadt fokussieren – mit vielen großen, teilweise farbigen Original-Plänen − die ab Mitte der 1950er Jahre von einer repräsentativen Aufmarsch­achse zu einer sich an westlich-internationalen Vorbildern orientierenden Wohn- und Geschäftsstraße umgeplante damalige Lenin- und heutige Lindenallee sowie die diversen hochfliegenden, später nicht umgesetzten Entwürfe für den Zentralen Platz. Unzählige als durchlaufende Bilderschau an die Wand projizierte Fotos der 1950er und 1960er Jahre vermitteln einen guten Eindruck der früheren Atmosphäre. Dabei beeindrucken vor allem die Aufnahmen des Fotografenmeisters Walter Fricke (1889−1972), der damals im Auftrag des Rates der Stadt die ersten realisierten Wohnkomplexe und die Magistrale dokumentierte und dabei die räumlichen Zusammenhänge der verschiedenen Gebäude durch spannungsvolle Szenerien, dramatische Hell-Dunkel-Kontraste und zeittypische Staffage abwechslungsreich einfing. Später franste sich das Stadtgebiet durch die zusätzlich hinzugekommenen Wohnkomplexe an den Rändern immer mehr aus und bekam dort durch die typisierten Plattenbauten auch eine ganz andere Atmosphäre.

Die Industriestadt Schwedt

Die Ausstellungsbereiche zu Schwedt/Oder, einer an der polnischen Grenze für das lokale Erdölverarbeitungswerk und spätere Petrolchemische Kombinat errichteten Arbeiterwohnstadt, zeigen die ab 1960 unter Selman Selmanagić entstandenen, später in veränderter Form umgesetzten Planungen für diese von Anfang an größtenteils aus industriellen Bauten konzipierte
Arbeiterstadt mit kurzen Wegen zu den Versorgungs- und Erholungszentren. Dies wird durch eindrucksvolle Fotoserien des Fotografen Rudolf Hartmetz (1941−2007) illustriert, der damals im Auftrag der Bauakademie der DDR die neuen Wohngebiete Schwedts dokumentierte. Ein Blickfang sind die vielen kleinen, als Auftakt der Ausstellung in einer Vitrine am Treppenaufgang präsentierten Kunststoff-Modelle der später nicht realisierten „Zentrumsplanung für Schwedt“ mit ganz unterschiedlichen, teilweise zu plastischen Architekturskulpturen zusammengesetzten Gebäuden, darunter auch interessante Sonderbauten mit Faltdachkonstruktionen. Da der Wohnungsbau Vorrang hatte, wurden die Gebäude des Zentralen Platzes auch hier gestrichen oder aber verspätet realisiert, ein Centrum-Warenhaus und ein Kulturhaus an der Magistrale erst in den 1970er Jahren errichtet.
Die Sonderschau will neben der Vorstellung der unterschiedlichen Typen der sozialistischen Aufbaustädte auch den Blick auf die ab 1990 einsetzenden Entwicklungen und mittlerweile gravierenden städtebaulichen Veränderungen lenken. Denn die politische Wende bedeutete für viele Städte Ostdeutschlands eine tiefe Zäsur, weg vom Modell der Arbeiten und Wohnen eng verzahnenden Stadt, hin zu einem durch den Abbau der Industrie, Geburtenrückgang und Abwanderung bedingten Stadtumbau mit Gebäudeabrissen und kontinuierlich schrumpfenden Wohngebieten. Das Beispiel Eisenhüttenstadt bot sich dazu geradezu an. Hier leben mittlerweile nur noch rund 23.000 Menschen. Der denkmalgeschützte Stadtkern wurde mittlerweile saniert und ist heute ein Baudenkmal. Am Stadtrand wurden dagegen etliche aus der Spätphase der DDR stammende Plattenbauquartiere bereits komplett rückgebaut. Dies bedeutet für die im Zuge von Entmietung und sukzessivem Abriss teilweise immer wieder umziehenden Bewoh­nerinnen einen fortwährenden Verlust ihrer vertrauten Umgebung und ihres bisherigen sozialen Umfeldes.

Rahmenprogramm mit internationaler Fach­tagung

Im Oktober 2021 wurden im Rahmen einer internationalen Fachtagung die möglichen Zukunftsperspektiven der Stadt und ihr bislang nur auf den Stadtkern beschränkter Denkmalstatus, auch im Vergleich zu den anderen sozialistischen Stahlstädten, näher beleuchtet. Dabei kam es zeitweise zu emotional ausgetragenen Auseinandersetzungen, da einige von Martin Malesch­kas aktuellen Fotoaufnahmen, die ein zentraler Bestandteil der Ausstellung sind,den falschen Eindruck vermitteln, dass in Eisenhüttenstadt seit einiger Zeit immer wieder Plattenbauten abgerissen werden, damit auf diesen Arealen neue, architektonisch belanglose Einfamilienhäuser errichtet werden können. Die schwie­ri­gen Rahmenbedingungen des seit 2003 laufenden Stadtumbaus (Überalterung der weiterhin schrumpfenden Bevölkerung, Abwanderung junger Familien in Eigenheime im Umland, notwendiger Erhalt der Infrastruktur der zerfaserten Stadt) werden in der Sonderschau nur angerissen. Wer dazu mehr wissen möchte, dem sei Maleschkas ebenfalls zum Stadtjubiläum erschienener „Architekturführer Eisenhüttenstadt“ empfohlen, in dem die bis vor kurzem als Fachbereichsleiterin für die lokale Stadtentwicklung zuständige Architektin Gabriele Haubold die komplexen Hintergründe und Herausforderungen dieses Stadtumbaus genauer darstellt. Dies wird im Buch noch ergänzt durch ei Interview mit dem langjährigen Chefarchitekten Herbert Härtel, der in seinen Erinnerungen die euphorischen Aufbaujahre Revue passieren lässt und gleichzeitig die aktuellen Entwicklungen tiefgründig reflektiert.
Ohne Ende Anfang. Zur Transformation der sozialistischen Stadt
bis 12 März 2023 im Stadtmuseum Schwedt
Zuvor ausgestellt im Museum Utopie und Alltag, Eisenhüttenstadt
www.utopieundalltag.de

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