Bauwelt

Was die Architektur von Climate Fiction lernen kann

Das Bauwesen ist erheblich an Prozessen beteiligt, die den Klimawandel anheizen. Neben der Forderung, die Emissionen zurückzuschrauben, besteht ein Problem darin, wie man die Zukunft des Bauens positiv besetzen kann. Wie kann unser architektonisches Verhältnis zur Umwelt auf hoffnungsvolle Weise ausgedrückt werden, zwischen historisierenden Rekonstruktionen und biophilen Strukturen?

Text: Kammerbauer, Mark, München

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Bauwerk und Fahrzeug zugleich: Die Raumschiffe der Atreides nach der Landung auf dem Wüstenplaneten im Film „Dune“ (2021).
Foto: Alamy Stock Photo

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Bauwerk und Fahrzeug zugleich: Die Raumschiffe der Atreides nach der Landung auf dem Wüstenplaneten im Film „Dune“ (2021).

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Was die Architektur von Climate Fiction lernen kann

Das Bauwesen ist erheblich an Prozessen beteiligt, die den Klimawandel anheizen. Neben der Forderung, die Emissionen zurückzuschrauben, besteht ein Problem darin, wie man die Zukunft des Bauens positiv besetzen kann. Wie kann unser architektonisches Verhältnis zur Umwelt auf hoffnungsvolle Weise ausgedrückt werden, zwischen historisierenden Rekonstruktionen und biophilen Strukturen?

Text: Kammerbauer, Mark, München

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, helfen fantastische Literatur und Medien ungemein. Sie überhöhen, spitzen zu, schärfen nach, wo die Rea­lität sich selbst mit ihrer eigenen Komplexität im Weg steht. Besonders interessant ist hierbei die Climate Fiction. Sie bietet einen Blick darauf, wie unser bauliches Verhältnis zur Umwelt und zu unseren Mitmenschen aussehen kann, wenn ... ja, wenn was eigentlich? Drei Szenarien stehen hier zur Auswahl: Die überbevölkerte, überhitzte und ausgebeutete Welt des Films „... Jahr 2022 ... die überleben wollen“, der extreme Anpassungsdruck, dem die Menschen im Buch und im Film „Dune“ ausgesetzt sind sowie die positive Vision einer Welt, die Antworten auf den Klimawandel findet, in Kim Stanley Robinsons Buch „Das Ministerium für die Zukunft“.
„2022“ ist eine vergangene Vision der Zukunft, die von der Gegenwart zum Glück noch nicht eingeholt worden ist. Basierend auf einem Science-Fiction-Roman aus den 1960ern wird hier ein Szenario dargestellt, das die Nachhaltigkeitsdiskussion der 1970er auf die Spitze treibt. Durch die staubigen und heißen Straßen Manhattans schleppen sich hungernde Menschenmassen, bis sie sich erschöpft in den überfüllten Räumen abgewrackter Mietshäuser ein paar Quadratzentimeter Platz zum Ausruhen erkämpfen konnten. Die Reichen und Mächtigen leben in abgeriegelten Türmen, zu deren Ausstattung Frauen gehören, die als Teil des Mobiliars verstanden werden. Die Menschen wurden nicht nur zur Ware degradiert, sie werden buchstäblich aufgefressen. Die Spaltung zwischen Arm und Reich drückt sich unmittelbar im baulichen Umfeld aus, zwischen desolaten Ruinen und armierten Hochglanzbauten klaffen posturbane Nichträume. In dieser polarisierten Dystopie sucht man vergeblich auf eine Hoffnung.
Roman und Film zu „Dune“ spielen in einer fernen feudalen Zukunft, deren wahrhaft kosmopolitischer Dreh- und Angelpunkt eine bewusstseinserweiternde Droge ist, die nur auf einem Wüstenplaneten zu finden ist. Jeder einzelne Tropfen Wasser ist hier kostbar und die Einwohner – die „Fremen“ – müssen einen Weg finden, damit umzugehen. Sie wohnen in unterirdischen Stätten und konservieren Wasser bis zum Extrem. Diese Form der Anpassung trennt sie von der übrigen Bevölkerung des galaxisweiten Imperiums, die ohnehin mit Verachtung auf sie herabblickt. Filmisch bietet uns Denis Villeneuve, der große Bildstilist, eine komplett verkapselte Wüstenstadt mit dunklen Räumen und Palmenhain sowie eine ökologische Forschungsstation des Imperiums, die, einer brutalistischen Betonmaschine gleich, ruinenhaft-romantisch im Sand versinkt. Die nachhaltige Antwort auf die extremen Umweltbedingungen des Wüstenplaneten liegt weniger in verschwenderischen architektonischen Statements, als in der abgeschiedenen, verborgenen Lebensweise der Fremen begründet.
Wirkliche Hoffnung hingegen verspricht das neue Buch des US-amerikanischen Großmeisters der Science-Fiction, Kim Stanley Robinson. Sein „Ministry for the Future“ handelt von einer internationalen Institution, die in der nahen Zukunft im Rahmen der UN gegründet wird. Ihr Zweck ist die Repräsentation zukünftiger Generationen der Menschheit, die von Erfolg oder Scheitern weltweiter Maßnahmen gegen den Klimawandel betroffen sind. Im Buch lernen die Akteure, ihrer Umwelt zu begegnen. Eine Szene dreht sich darum, wie einer der Protagonisten in den Schweizer Alpen einem Geißbock tief in die Augen schaut und der Geißbock ihm. Das Benthamsche Moment des Panoptikons wird umgedreht: die Umwelt blickt zurück, während sie von der komplett gläsernen Gondel eines Luftschiffs aus erblickt wird. Konzepte wie „Half Earth“ spielen im Buch eine wichtige Rolle, nach der die Hälfte der irdischen Landmasse von menschlicher Interven­tion frei bleiben soll. Entsprechend wird geschildert, wie Kommunen den Rückbau betreiben, in partizipativer, fast schon therapeutischer Atmosphäre. Architektonisch scheint Robinson ein wenig in die Stadt Zürich verliebt zu sein. Im Buch wirkt sie wie ein Modell dafür, wie die Anpassung an die Umwelt zu einer bestimmten Phase menschlicher Entwicklung zu einem bestimmten baulichen Ausdruck geführt hat.
Was lernen wir also aus architektonischer Sicht von der Climate Fiction? Drei Hinweise, ja, Warnungen werden ausgesprochen: Der räumliche Gestaltungsspielraum ist aufgebraucht, wenn der Warencharakter überhand nimmt. In „2022“ sind es die Menschen selbst, die zur Ressource und damit zur Ware geworden sind. Werden Umweltbedingungen extrem, sind ex­treme planerische Anpassungsstrategien erforderlich. In „Dune“ bedeutet das den Rückzug von der Oberfläche der Welt und von der Menschlichkeit selbst. Wenn wir alles vollbauen, fehlt uns das Gegenüber, das zu beobachten wert ist. In „Ministerium für die Zukunft“ stecken hinter einer koordinierten globalen Siedlungsstrategie bereits bestehende Konzepte wie „Half Earth“. Ein gewisses utopisch-technisches Moment darf aber nicht fehlen, damit wir aus gläsernen Gondeln die Welt erblicken können. Man spürt einen Hauch Buckminster Fuller und „Raumschiff Erde“, während uns die Tierwelt magisch tief in die Augen blickt. Was auffällt: In diesen Zukunftvisionen in Text und Bild sucht man vergeblich nach architektonischen Manierismen, nach Historisierungen, nach Kolportagedesign. Damit sollten wir doch entwerferisch durchaus etwas anfangen können.

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