Bauwelt

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Seit 1996 wird auf dem ehemaligen Gebiet des Hamburger Freihafens die HafenCity geplant und gebaut. Als letztem Baustein am östlichen Rand des Quartiers wurde kürzlich dem 245 Meter hohen Elbtower die Baugenehmigung erteilt.

Text: Briegleb, Till, Hamburg

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Für 700 Millionen Euro Baukosten soll der Elbtower ab 2025 ein neuer Hochpunkt der Hamburger Skyline werden. Mit 100.000 Quadratmetern Geschossfläche auf 64 Stockwer-ken verteilt, wäre er der höchste Büroturm der Hansestadt.
Visualisierung: David Chipperfield Architects

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Für 700 Millionen Euro Baukosten soll der Elbtower ab 2025 ein neuer Hochpunkt der Hamburger Skyline werden. Mit 100.000 Quadratmetern Geschossfläche auf 64 Stockwer-ken verteilt, wäre er der höchste Büroturm der Hansestadt.

Visualisierung: David Chipperfield Architects


Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Seit 1996 wird auf dem ehemaligen Gebiet des Hamburger Freihafens die HafenCity geplant und gebaut. Als letztem Baustein am östlichen Rand des Quartiers wurde kürzlich dem 245 Meter hohen Elbtower die Baugenehmigung erteilt.

Text: Briegleb, Till, Hamburg

Das Problem mit milliardenschweren Entwicklungsvorhaben und ihrer öffentlichen Selbstdarstellung ist es, dass sie grundsätzliche Widersprüche grundsätzlich nicht benennen. Von dieser goldenen Regel der Wirtschaftspropaganda ist Jürgen Bruns-Berentelg im Jahr 2020, als er noch Geschäftsführer der HafenCity-Gesellschaft Hamburg war, einmal abgewichen. Da äußerte der Chefplaner des „Jahrhundertprojektes“ Zweifel daran, ob „Wirtschaftswachstum in der bisherigen Form“ wirklich weiter „anzustreben“ sei. Und dieses bemerkenswerte Statement hat es sogar in die Sonderzeitung seiner Gesellschaft zum 20. Jubiläum des Baubeginns geschafft, wenn auch nur auf Seite 18, versteckt in einem Text über „Markt & Messe“, wo die Sprengkraft milde sein dürfte.
Als Empfänger dieser Druckerzeugnisse seit 20 Jahren, deren Aufgabe es ist, alles toll zu finden, was auf dem Gebiet des ehemaligen Hambur-ger Freihafens seit 1996 geplant und seit 2001 gebaut wird, war man sonst auch von Bruns-Berentelg nur Aussagen gewohnt, die suggerierten, seine HafenCity sei ein Vorzeigeprojekt für innovative Stadtentwicklung auf allen Gebieten: ökonomisch, ökologisch, städtebaulich, sozial, kulturell, politisch – und wenn man die stets sonnigen Fotos ansah, wo behelmte Männer mit Werkzeugen in der Hand grinsend Grundsteine legten, dann sogar klimatisch. Das Sondervermögen Selbstlob der HafenCity GmbH hatte immer schon eine Lösung parat, bevor andere das Problem überhaupt nur erkannt hatten.
Nun hat das unaufhörliche Wachstum der HafenCity, das auf wundersame Weise parallel zum unaufhörlichen Ansteigen der Miet- und Immo­bilienpreise durch unaufhörlich steigende Gewinne bei Projektentwicklern verlief, zwar beim ehemaligen Chef der HafenCity – der mit dem Jubiläum in den Ruhestand verabschiedet wurde – zu sachten Zweifeln an der Wachstumslogik geführt. Nicht aber im Projekt.
Ein riesiger Dinosaurierknochen als östlicher Abschluss der HafenCity, der so genannte „Elbtower“ aus der Designwerkstatt von David Chipperfield, erhielt jetzt nach viel öffentlicher Kritik an dem Projekt seine Baugenehmigung. Und diese neue Stadtkrone an den Elbbrücken formuliert nicht nur weiter das wachstumsgierige Wohlstandsversprechen, das seine ökonomische, ökologische, städtebauliche, soziale, kulturelle und politische Rückständigkeit durch aufwändige Marketing-Kampagnen vertuscht. Dieses Symbol für eine Stadtidee in Investorenhand wird mit Hilfe städtischer Akteure auch noch als „nachhaltig“ umetikettiert.
Der 245 Meter hohe Turm, für den geschätzte 80.000 Kubikmeter Beton verbaut werden, setzt allein durch die Herstellung des Zements das Äquivalent des Volumens von 32 Milliarden Luftballons an reinem CO2 in die Atmosphäre frei. Und für diese Leistung erhält das Projekt des österreichischen Problem-Investors René Benko von der Stadt Hamburg dann die dankbare Zertifizierung mit dem Platinum-Standard des Umweltzeichens der HafenCity. Diese Auszeichnung, die seit 2007 von der GmbH vergeben wird als Anreiz, den gigantischen Anteil der Bauwirtschaft am Vorglühen des Planeten vor dem Kollaps wenigstens in Hamburg zu reduzieren, ist ein weiteres Beispiel des Selbstlobes, das Grundsätzliches verschweigt.
In der Erläuterungsbroschüre zum Umweltzeichen, das die Nachhaltigkeit des gesamten HafenCity-Projektes belegen soll, kommt der Begriff „Beton“ als Umweltproblem zum Beispiel mit keinem Wort vor.
Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit beleuchtet aber nicht einfach ein typisches Greenwashing-Phänomen. So hohl die stän­dige Grüne-Laune-Propaganda von HafenCity-Gesellschaft und Stadtentwicklungsbehörde auch formuliert ist (der Elbtower wurde etwa als „Neues Wahrzeichen des Wandels“ vorgestellt, ohne zu sagen, welcher Wandel eigentlich gemeint ist), so ernsthaft wurde in den vergangenen 25 Jahren trotzdem an Parametern gearbeitet, die den verengten Perspektiven von Finanz- und Immobilienwirtschaft auf Rendite zu widersprechen versuchten.
Von der Durchsetzung öffentlicher und halböffentlicher Erdgeschosszonen über die konsequente Einführung von Konzeptausschreibungen, bei denen die bessere Idee zu 70 Prozent in die Bewertung einfließen durfte, bis hin zu Initiativen für die autoungerechte Stadt, die nur noch 0,4 Stellplätze pro Wohneinheit und Angebote für Elektromobilität vorsahen, haben die Vorplaner der Stadt aufrichtig versucht, Urbanität und Umweltgerechtigkeit als Grundgedanken von Stadtentwicklung zu bekräftigen.
Selbst bei der sozialen Durchmischung gibt es gewisse Erfolge zu vermelden, selbst wenn die Meldung, dass in dem Quartier inzwischen mehr Arbeitslose leben als im Szeneviertel Sternschanze auch kaschiert, dass sich Mieten in der HafenCity in wenigen Jahren verdoppelt haben. Und der sogenannte Hamburger Drittelmix, der auf dem Papier bei Neubauvorhaben ein Drittel Sozialwohnungen vorschreibt, ist zudem ein sehr zweischneidiges Instrument, da es die entfesselten Gewinne der Investoren subventioniert, anstatt ihre unkontrollierte Abschöpfung auf Kosten der Mieter po­litisch zu stoppen – was sich in Hamburg weder Rote noch Grüne trauen.
In dieser Unbalance zwischen guten Absichten und der panischen Angst, es sich mit Investoren und ihren Wachstumszielen zu verderben, findet sich vielleicht auch der Grund, warum das baukulturelle Ergebnis der vielen gemachten Pläne im vorletzten Teil des Planungsgebiets aussieht wie Tiefkühlspinat ohne Blubb. Was rund um den Baakenhafen vor allem an der Schauseite zur Elbe in den vergangenen Bauschritten an Gebäuden entstanden ist, folgt dem Fluch der Linealarchitektur, der in Hamburg umgeht wie Frau Mahlzahn in der Drachenschule. Wer ästhetisch ausschert, bekommt sofort das Lineal auf die Finger. Die monotonen Würfelreihen für 2400 Wohnungen hält die HafenCity-Propaganda zwar für ein „nachhaltiges urbanes Dorf inmitten der Großstadt“, aber die hält ja auch den Benko-Tower für das richtige Symbol, um zu zeigen, wie Hamburg in rasantem Tempo klimaneutral werden will. Vielleicht sollte der neue Geschäftsführer der HafenCity-GmbH, Andreas Kleinau, und sein Bürgermeister Peter Tschentscher, solche Widersprüche zum Anlass nehmen, mal Grundsätzliches zu diskutieren. Der HafenCity-Chef a.D. hat dazu zuletzt das richtige Stichwort geliefert.
Fakten
Architekten David Chipperfield Architects, Berlin/London
aus Bauwelt 11.2022
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