Alles Funktion – oder doch nur Fassade?
Text: Burose, Alina, München
Alles Funktion – oder doch nur Fassade?
Text: Burose, Alina, München
Wir glorifizieren den Beginn des 20. Jahrhunderts: Die Lehrlinge Peter Behrens’ prägen die moderne Architektur bis heute. Architektinnen und Architekten nennen Meister wie Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius im Zuge großer Faszination, wenn nicht gar Demut. Ihren Bauten und Manifesten nicht zu folgen, gilt als Majestätsbeleidigung.
Tina Kniep wagt es, die Architekturmoderne nicht nur in ihrer Erscheinung, sondern auch in ihrer Intention und Entstehung zu kritisieren. Die studierte Philosophin und Medizinerin beschäftigt sich seit langem mit gegenwärtiger Zeitkritik: interkultureller Bildung, dem westlichen Menschenbild sowie Fragen des Lebens und Wohnens. Insbesondere Letzteres beleuchtet sie in ihrer Essaysammlung „Alles Funktion – oder doch nur Fassade?“, erschienen als zweiter Band in der Reihe Edition Zeitkritik.
Dass die Autorin keinen Abschluss in Architektur oder Kunstgeschichte hat, stellt sich als Bereicherung heraus. Erfrischend spielen sich sauber recherchierte Architekturtheorien und anschaulich geschilderte Alltagseindrücke die Bälle zu. Präzise formuliert, jagt ein Verriss den nächsten, was den ein oder anderen vielleicht dazu bringen könnte, seine Komfortzone zu verlassen. Architektur – und dabei ist die Moderne keine Ausnahme – kreiert ein Bild des und nicht der Menschen. Doch erst die Vielfalt und Widersprüche des Alltags zeigen die Unklarheiten unserer Zeit. Feminismus, Inklusion und soziale Gerechtigkeit im Bauen, Wohnen und Leben sind essentiell, aber bisher nicht ausreichend abgebildet.
Zu beachten bleibt die gewählte Form des Essays: Wer sich eine chronologische Abhandlung samt klarer Themeneingrenzung wünscht, wird hier enttäuscht. Zwar ist jedes Unterthema schnell und klar umrissen, dennoch endet es, bevor sich die Leserin tiefer mit der Materie beschäftigt werden kann. Das mag schwammig klingen – und ist es auch. Die Besonderheit zeigt sich bereits in dem ungewöhnlichen Layout, das eines zweiten Blicks bedarf. Den In-halt knapp wiederzugeben, gelingt lediglich grob mit dem Begriff Zeitkritik. Dennoch bedeutet die Sammlung vieler Themen auch Inspiration, ist das Lesen eine Einladung zur kritischen Reflexion.
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