Gefangen in der Titotalitätsmaschine
Der Bauhäusler Franz Ehrlich
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Gefangen in der Titotalitätsmaschine
Der Bauhäusler Franz Ehrlich
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Zum unbestreitbaren Gewinn des gigantischen Ausschlachte-Festes rings um das Bauhaus-Jubiläum gehört, dass auf der Suche nach noch unvermarkteten Sub- und Sonderthemen einige wirklich produktive Entdeckungen ans Licht kamen. Ob die bislang „übersehenen“ Bauhäuslerinnen, ob Hannes Meyers Drähte zur Komintern oder die resoluten Marktstrategien gerade der ehrenwertesten Meister – mit solchen Lektüren war die kanonisierte Überlieferung aus allein Gropius’scher Perspektive endlich geöffnet in die wahre Vielfalt dieses brodelnden Gesellschaftslabors. Vielleicht war es ja das wilde Treiben zwischen Freikörperkultur, Technikrausch und Klassenkampf, dieser Zusammenprall von Herkünften, Talenten und Lebensentwürfen, der das Bauhaus, wenn nicht zum ästhetischen Urknall, dann doch zu einer Art Probebühne für das Gesamtzeitalter der Moderne machte. Und womöglich sind es gerade die Absolventen mit den schwierigen Biografien, die Tragweite und Wirkung der berühmten Schule ermessen lassen.
Einen der „schwierigsten“ Berufswege hat zweifellos Franz Ehrlich vorzuweisen. 1907 in Leipzig geboren, schon als Schlosserlehrling gewerkschaftlich engagiert, weckt die Weimarer Bauhaus-Ausstellung sein Interesse an moderner Gestaltung, so dass er sich von 1927 bis 1930 am Bauhaus einschreibt. Zum Bauen zieht es ihn weniger, sein eigentlicher Lehrer wird Joost Schmidt in der Plastischen Werkstatt, wo sich sein handwerkliches wie auch grafisches Geschick an kinetischen Objekten, Messedisplays und Reklame entfalten kann. Auf dem Gebiet macht er sich später selbstständig, findet in Leipzig Anschluss an den antifaschistischen Widerstand, druckt Flugblätter und wird 1935 wegen „Hochverrats“ zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, anschließend als „Schutzhäftling“ ins KZ Buchenwald überstellt. Dort wird er im Baubüro beschäftigt, muss u. a. das Lagertor mit der berüchtigten Inschrift „Jedem das Seine“ gestalten. 1939 entlassen und als „wehrunwürdig“ vom Kriegsdienst verschont, bleibt er als Zivilangestellter im Baubüro Buchenwald und entwirft Wohnbauten und Dienstgebäude für die SS-Lageraufsicht. 1941 wechselt er gemeinsam mit Kollegen nach Berlin in das Verwaltungshauptamt der SS, eine der zentralen Schaltstellen des NS-Systems. Dort soll er überwiegend mit Innenausbauten befasst sein, wie er später schrieb, „um durch aufwändige Ausstattungen Arbeitsplätze für KZ-Häftlinge in den dortigen Werkstätten zu sichern“. 1943 wird er doch eingezogen, landet als Kartenzeichner eines Strafbataillons nach Einsätzen in Griechenland und auf dem Balkan 1945 in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft. Nach Rückkehr 1946 findet Ehrlich in der sowjetischen Zone dank seiner Kontakte in vormalige Antifa-Kreise rasch Zugang zu hohen Funktionären der SED-Regierung und gelangt durch sie in wichtige Positionen, u.a. als Referent für den Wiederaufbau Dresdens, wo er fortan seinen Wohnsitz nimmt. Ämter mit baupolitischem Einfluss bleiben ihm verwehrt, die „Meisterarchitekten“ der Bauakademie gehen dem „Bauhäusler ohne Architekturdiplom“ sichtlich aus dem Weg. Darob frustriert, gründet Ehrlich 1949 ein eigenes Architekturbüro, darf Vorentwürfe zur Wohnstadt für das Eisenhüttenkombinat Ost (nachmals Stalinstadt) liefern, wird wegen allzu wilder Planfiguren von der Aufgabe aber wieder entbunden. Die ideologischen Kämpfe der Formalismusdebatte verarbeitet er geschmeidig mit seinem architektonischen Opus Magnum, dem Rundfunkhaus in der Berliner Nalepastraße (1951–56), bei dem er dezidiert moderne Grundformen mit Elementen des neoklassizistischen Repertoirs drapiert. Danach hat er weltweit mit den Handelsvertretungen der DDR und viel für die Leipziger Messe zu tun – ein für DDR-Verhältnisse präzedenzloser Einzelgänger, der ohne Anbindung an die Akademie oder eines der allmächtigen Kombinate unentwegt Sonderbauten entwerfen kann. Der in späten Jahren noch die Rehabilitierung des Bauhauses erlebt, mit Ausstellungen und staatlichen Orden geehrt wird und nach seinem Tod 1984 von seiner Wahlheimat Dresden ein Ehrengrab erhält. Ein Erfolg des Franz Ehrlich ist noch extra zu nennen – die „Möbelserie 602“, in den Deutschen Werkstätten Hellerau von 1957 bis 1967 in riesigen Stückzahlen produziert, ein Exportschlager. Einst für Normgrundrisse des Sozialwohnungsbaus entworfen, stehen Elemente dieses Montagesystems heute in Designmuseen und erbringen auf Vintage-Auktionen exorbitante Erlöse.
Genau mit dieser Meldung vom Antiquitätenmarkt beginnt die kleine Monografie, mit der sich Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer der Vita des Franz Ehrlich zuwenden. Sie bedienen sich dabei vor allem der vielen Lebensläufe, die Ehrlich auf seinem Karriereweg durch das Politsystem der DDR immer wieder verfassen musste, und vergleichen seine stets zielgerichteten Auskünfte zu privaten wie beruflichen Lebensphasen mit den jeweils historisch realen Umständen, und zwar aus heutiger Perspektive. Ein Verfahren, das zwangsläufig auf eine „Entzauberung“ der hinterfragten Person hinausläuft, noch dazu, wenn die Autoren wenig Gespür für die existenzielle Dramatik der zu bewältigenden Konflikte zeigen, dafür umso leichtfüßiger beim Urteilen sind: „Der ‚Aufstieg‘ vom zwangsarbeitenden Häftling zum angestellten Mitarbeiter im Baubüro [des KZ Buchenwald] ist ein heute schwer verständlicher Rollenwechsel“, räumen von Borries und Fischer ein, um im nächsten Satz die rote Linie zu ziehen: „Der Übergang in die Zentrale des SS-Bauwesens in Berlin ist für uns Autoren eine klare Grenzüberschreitung.“ Wer setzt hier Grenzen, zumal wenn er die Motive des Handelnden gar nicht wirklich durchschaut? Dieses Absehen von Handlungsbedingungen und realen Entscheidungsspielräumen kennzeichnet den gesamten Text. So geriert sich die „Gnade der späten Geburt“, die mangels plausibler Erklärungen dann eben Opportunismus unterstellt oder schlicht „Hochstapelei“.
Das Schicksal Franz Ehrlichs bietet geradezu ein Idealmodell, um all der Geistesgegenwart und Konfliktbereitschaft auf die Spur zu kommen, ohne die ein Leben und Wirken im „Jahrhundert der Extreme“ schnell scheitern konnte. Danach ließe sich erörtern, wie man für solche Lebenswege am Bauhaus konditioniert oder eben nicht so gerüstet wurde. Doch von Borries und Fischer sind überwiegend mit der Demontage ihres Protagonisten beschäftigt. „Seine Biografie ist […] ein ständiges Lavieren zwischen Anpassung und Eigenständigkeit. Genau deshalb erzeugt die Auseinandersetzung mit Ehrlich ein merkwürdiges Gefühl. Man kann sich mit ihm nicht positiv identifizieren, ihn aber auch nicht einfach verurteilen. Diese – unsere – Scham resultiert […] aus der Sorge, dass man es selbst auch nicht besser gemacht hätte.“ Diese selbstkritische Einsicht steht ganz am Schluss. Man wünscht sich, sie hätte dem Buchprojekt insgesamt als Leitfaden gedient.
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