Bauwelt

Gera ostmodern

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Gera ostmodern

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Stadt X in alten Ansichtskarten – Bücher wie diese gab und gibt es vielerorts, herausgegeben vom jeweiligen Städtischen Museum, dem Heimatverein oder einem Privatgelehrten. In der alten Bundesrepublik kamen diese Publikationen im Zuge der Postmoderne auf, mit der Kritik an der „gemordeten Stadt“ des Wiederaufbaus und der Hinwendung zu Stadtbildern, die durch den Zweiten Weltkrieg oder danach zerstört worden waren. Durch mehr oder minder schöpferische Nachbauten hat sich dieses Interesse seit den achtziger Jahren erst in beiden deutschen Staaten, dann im vereinten Deutschland zum Leitbild für Neuplanungen ausgewachsen – so geschehen in Hildesheim, Braunschweig, Frankfurt, Dresden, Potsdam und Berlin. Was aber bedeutet es, dass mit solchen Büchern inzwischen auch der Stadt der Spätmoderne nachgespürt wird? War es nicht diese, die der Altstadt-Heimeligkeit in so vielen Städten ein Ende bereitet hat? Andererseits sind die Stadtbilder der 60er Jahre ihrerseits schon wieder vergangen: sei es, weil sie der Rekonstruktion irgendeines Vorzustands Platz zu machen hatten, sei es, weil sie einer neuerlichen Modernisierung gewichen oder durch unsensiblen Weiterbau ihrer formalen Konsequenz beraubt worden sind.
„Gera ostmodern“ von Christoph Liepach breitet mit „Echt-Photo-Postkarten“ der 60er und 70er Jahre das Bild der DDR-Bezirkshauptstadt vor dem Betrachter aus, ergänzt um eine Einleitung des Kommunikationswissenschaftlers Ben Kaden zum „Ansichtskarten lesen“. Liepach, im Neubaugebiet Gera-Lusan aufgewachsen, beschränkt sich mit seiner Bildauswahl nicht auf die Neugestaltung des Zentrums, er lockt den Betrachter auch in abgelegenere Winkel seiner Heimat, etwa in die Neubaugebiete, aber auch in die Interieurs längst verschwundener Restaurants und Bars. Für den Einheimischen, vielleicht auch für manch „gelernten DDR-Bürger“ dürften sich beim Betrachten der Bilder Erinnerungen einstellen, für den Ortsunkundigen hingegen bleibt das Buch zunächst stumm. Denn näher erläutert, im Einzelnen analysiert gar werden die großzügig reproduzierten Karten nicht, und auch Hintergründe zu Planung und Bau des sozialistischen Geras wie zu seinem Fortbestand nach 1990 gibt es keine. Dennoch lohnt das bereits in 2., erweiterter Auflage erschienene Buch über die Stadtgrenzen hinaus einen Blick, zeigt es doch, dass auch die von einem Teil der allmählich abtretenden Stadtplaner-, Architekten- und Historikergeneration in Bausch und Bogen verteufelte Moderne imstande ist, zum Bezugspunkt von Heimatgefühlen zu werden, „Identität“ zu bilden – die ein oder andere Rekonstruktionsdebatte könnte diese Einsicht ein wenig entspannen. Wer weiß, vielleicht wird in ein paar Jahrzehnten in Frankfurt am Main die Zerstörung des Technischen Rathauses beweint.
Fakten
Autor / Herausgeber Christoph Liepach
Verlag Sphere Publishers, Leipzig 2020
Zum Verlag
aus Bauwelt 17.2022
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