Margarete Schütte-Lihotzky
Warum ich Architektin wurde
Text: Mausbach, Therese, Berlin
Margarete Schütte-Lihotzky
Warum ich Architektin wurde
Text: Mausbach, Therese, Berlin
Bei ihrem Lebensende lag das unveröffentlichte Manuskript auf ihrem Schreibtisch. Da war sie 102, die Welt gerade im neuen Millennium angelangt, als Margarete Schütte-Lihotzky bei völlig klarem Verstand einer Grippe erlag. Karin Zogmayer nahm sich des geistigen Nachlasses der Politikaktivistin und Architektin an und ergänzt mit ihrem posthumen Werk die von Schütte-Lihotzky bereits 1985 veröffentlichten Erinnerungen aus dem Widerstand: Die gebürtige Wienerin bekämpft in einer in der Türkei gegründeten antifaschistischen Organisation den Nationalsozialismus. Von der Gestapo gefangen genommen, entgeht die Kommunistin einer Hinrichtung und übersteht den Zweiten Weltkrieg im Zuchthaus. In der frühen Nachkriegszeit wird ihr, die nach dem Ersten Weltkrieg in Wien geholfen hatte, die Wohnungsnot zu lindern, vom dortigen Stadtbauamt der berufliche Neuanfang versperrt.
Die neuaufgelegte Autobiografie beschreibt ihre programmatischen Leistungen bis 1930, dem Jahr ihrer Abreise nach Moskau. Sie gehörte zu den Russlandfahrern, jenem 17-köpfigen Kollektiv, das von Stalin beauftragt und von Ernst May ausgewählt war, sowjetische Industriestädte sowie Moskaus Stadterweiterung zu planen.
„Nur, wenn ich als Teil einer Gemeinschaft für gemeinsame Ziele eintrete und dafür auch kämpfe, erhält mein Dasein einen Sinn.“ In den Zwanzigern hatte Schütte-Lihotzky sich in Wien und Frankfurt um Fragen des Wohnbaus gekümmert. Gemeinsam mit Architekturavantgardisten wie Adolf Loos entwickelte die Österreicherin neue Siedlungstypen für soziale Genossenschaften, intelligente Wohnlösungen für die breite Bevölkerung. Dabei halfen die durch Steuergelder gedeckelten sozialen Wiener Mieten.
„Ein großer, kräftiger Mann mit einem markanten Kopf und riesigen Füßen.“ So beschrieb Schütte-Lihotzkys Ernst May nach ihrer ersten Begegnung in Wien. Auch wenn ihr Atelier in der verlassenen und besetzten Wiener Hofburg bei dem schlesischen Stadtplaner, so schreibt sie, einen „grotesk-gespenstigen Eindruck“, hinterließ, blieben ihm doch ihre architektonischen Fähigkeiten im Gedächtnis, so dass May 1926 – unmittelbar nach seiner Berufung als Stadtrat für Bauwesen in Frankfurt am Main – Schütte-Lihotzky zu sich holte.
„Alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände finden in der Architektur ihren Niederschlag.“ Die reiche Stadt am Main stellte Schütte-Lihotzky vor Probleme völlig anderer Art: Wie konnte im weit weniger subventionierten Wohnungsbau so viel individueller Lebensraum wie möglich geschaffen werden? Ihre berühmte Erfindung, die revolutionäre Frankfurter Küche, bedeutete eine neue ökonomische Haushaltsführung: Die erste Einbauküche ersparte Laufwege und Arbeitsschritte. Sie folgte ihrem emanzipatorischen Leitbild, das der Frau weniger Küchenarbeit und mehr Zeit für die eigene Bildung und den Beruf versprach. Originale Beispiele der Frankfurter Küche sind im Berliner Bröhan-Museum und dem Museum der Dinge zu sehen und zu begehen.
„Die Architektur ist eng verbunden mit allen sozialen Problemen und unzweifelhaft die populärs-te Kunst.“ Margarete Schütte-Lihotzkys lebhafte Betrachtungen ermutigen den Leser zu Gemeinschaftssinn und moralischem Handeln. Doch betont sie, dass zum Erfolg „nur projektmäßige, technische und finanzielle Verschmelzung“ führt. In ihren sozialistischen Idealen blieb sie unbeirrt: bei Maikundgebungen in Wien, im für sie erschreckend unpolitischen Frankfurt oder am 1. Mai 1942, als sie in NS-Haft über die Stellung der Frau in der Sowjetunion eine Rede hielt und die Internationale anstimmte.
0 Kommentare