Re:Eden
Neue Blicke auf die älteste Reformsiedlung Deutschlands
Text: Welzbacher, Christian, Berlin
Re:Eden
Neue Blicke auf die älteste Reformsiedlung Deutschlands
Text: Welzbacher, Christian, Berlin
Auch Bauwerke haben ihre Schicksale – und so sind beispielhafte „Langzeitbeobachtungen“ oft extrem interessant und lehrreich. So im vorliegenden Fall: einem Porträt der ältesten deutschen Reformsiedlung, dem unweit des brandenburgischen Neuruppin gelegenen Eden, 1893 von einer Gruppe Berliner Vegetarier als „Obstbausiedlung“ gegründet. Die kompakte Publikation „Re-Eden“ ist keine Architekturgeschichte, sondern weitet den Blick auf verschiedene Kontexte, in denen die Entwicklungen rund ums Eden-Projekt zu sehen sind. Das streift die aktuellen Themen des Umweltschutzes, der Bodenreform, da geht es um Selbstversorgung und Autonomie. Es steht das kapitalistische Wirtschaften und damit der bürgerliche Wertekanon als Ganzes auf dem Prüfstand.
Dass die in Eden gelebte „Reform“ im 20. Jahrhundert wenig mehrheitskonform war, dürfte klar sein. Dass die wechselnden Regime das Spartenprojekt genau beobachteten und immer wieder einzuhegen suchten, ist allerdings frappierend: Offenbar gestand man Eden trotz eines gewissen Exotismus eine öffentlichkeitswirksame Rolle zu, die vielleicht in seiner Wahrnehmung weit über die tatsächliche Wirksamkeit hinausging. Dennoch: Im Nationalsozialismus und in der DDR rückten die Behörden Eden zu Leibe. Der Verein wurde erst gleichgeschaltet, später galt es, im Zuge sozialistischer Bodenpolitik den Lebensreformern ihre Grundlage zu entziehen.
Und nach 1989? Es gehört zu den spannendsten Abschnitten dieser lebendig aufbereiteten Chronik, zu lesen, was der „neue“ Kapitalismus mit Eden anstellt. Keineswegs lässt man die „Ökos“ einfach in Ruhe walten. Erneut übt die Verwaltung Druck auf die Gemeinschaft aus: Das besetzte Land in herrlicher Lage bietet attraktive Bauplätze, die auch Privatinvestoren interessieren. Effizientester Hebel zur gewünschten Erschließung des Areals schien der fiskalpolitische: Man entzog dem Eden-Verein die Gemeinnützigkeit und brachte die Truppe damit schnell in pekuniäre Schwierigkeiten.
Leider, möchte man fast sagen, endet die hier dargestellte Geschichte „ante corona“. Gleichwohl: Die Publikation bietet reichlich Stoff, sich erneut den aktuellen Fragen um Sozial-, Finanz-, Bau-, Boden-, Wohnungs- und Industriepolitik zu nähern und den Nöten der Städte die Nöte auf dem platten Land entgegenzustellen. Denn (das zeigt Eden seit seiner Gründung): Stadt und Land bilden eine Einheit, die gemeinsam entwickelt und für eine Zukunft nutzbar gemacht werden muss. Das wird in den aufs Urbane fokussierten Debatten allzu schnell vergessen. Eine absolut lohnenswerte Lektüre!
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