Die Leute müssen neu definieren, warum sie sich im Stadtzentrum treffen sollten
Leere Kaufhäuser, kaum Wohnen, wenig Angebote nach Ladenschluss: Bremens Mitte leidet unter den bekannten Problemen einer Innenstadt – und hat doch ihre Eigenheiten. Ein Gespräch mit Klaus Overmeyer und Lukas Halemba von Urban Catalyst, die ein Strategie-Konzept für die kommenden Jahre der Veränderung entwickelt haben
Text: Crone, Benedikt, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Die Leute müssen neu definieren, warum sie sich im Stadtzentrum treffen sollten
Leere Kaufhäuser, kaum Wohnen, wenig Angebote nach Ladenschluss: Bremens Mitte leidet unter den bekannten Problemen einer Innenstadt – und hat doch ihre Eigenheiten. Ein Gespräch mit Klaus Overmeyer und Lukas Halemba von Urban Catalyst, die ein Strategie-Konzept für die kommenden Jahre der Veränderung entwickelt haben
Text: Crone, Benedikt, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Ihre Auftraggeber für die „Strategie Centrum Bremen 2030+“ waren nicht nur die Stadtentwicklungssenatorin und die Wirtschaftssenatorin, sondern auch die Handelskammer. Von Bremen heißt es ja, dass die ortsansässigen Kaufleute dort immer noch eine große Rolle spielen würden. Stimmt das? Oder entspringt diese Einschätzung eher dem Klischee der altehrwürdigen Kaufmannsstadt?
Lukas Halemba Die Bremer Kaufleute haben tatsächlich nach wie vor einen starken Einfluss. Sie nehmen viel Geld in die Hand, um etwas zu bewegen, weil sie lokal verwurzelt sind. Die Handlungsmöglichkeiten der Stadt selbst sind in der Innenstadt, wo die Grundstücke ganz überwiegend Privateigentum sind, ja auch gering, die Stadt ist auf Kooperationen angewiesen. Will man Projekte umsetzen wie „Mitte Bremen“, wo ein riesengroßer Kaufhauskomplex und sein Umfeld eine neue Bestimmung finden müssen, oder das ehemalige Sparkassenareal „Am Brill“, wo der neue Innenstadtcampus der Universität entstehen soll, kommt man an den Kaufleuten nicht vorbei. Sonst endet jede Entwicklung unweigerlich an der Grundstücksgrenze, statt dass mit ihr eine nachbarschaftlich verbundene Planung gelingt.
Klaus Overmeyer Auch die Bremer Kaufleute wissen natürlich: Der Handel, auch wenn er weiterhin wichtig sein wird, muss sich verändern. Bremen ist zwar nicht irgendein Einkaufsort mit kuscheliger Altstadt, sondern eine Großstadt mit Strahlkraft weit über das Stadtgebiet hinaus. Aber auch in Bremen gibt es ein Ende von Gewissheiten. Beispielsweise über die Parkhäuser: Brauchen wir die überhaupt noch? Was früher eine selbstverständliche Logik war – mehr Einkaufsmöglichkeiten, mehr Parkhäuser –, trifft heute nicht mehr zu.
Die Entwicklung der Innenstadt hat im Lauf der Jahrzehnte diese Großobjekte hervorgebracht, in Bremen die vielen Kaufhäuser und Passagen wie die Lloyd-Passage, die den öffentlichen Raum in Shopping-Tunnel verwandelt haben. Und diese Riesen-Klopse implodieren nun. Es liegt in den Händen von Immobilien- und Grundstückseigentümern, darunter auch internationale Fondsmanager, sich zu einigen, wie mit diesen Großbauten umzugehen ist. Darüber hinaus stellt sich auch bei privaten Flächen und Investitionen zunehmend die Frage: Was ist das öffentliche Interesse, und wer leistet welchen Beitrag dazu? Dazu zählt natürlich auch der ökologische Fokus: Dürfen wir ein obsolet gewordenes großes Kaufhaus überhaupt abreißen, wenn es so viel graue Energie enthält?
Der Wunsch, eine Innenstadt solle sich vom bisherigen Einkaufsdogma und der dominanten Stellung der Ketten befreien und vielfältiger werden, besteht ja fast überall. Wenn es um die Umsetzung von Ideen geht: Was schlagen Sie Städten vor, wie sie beginnen sollen?
Klaus Overmeyer Ziel muss es zunächst sein, Menschen zu erreichen, die dann von sich aus sagen: Wir nehmen das jetzt in unsere Hände. Wenn junge Leute, seien es Studierende, seien es Gewerbetreibende, die Wert auf regional hergestellte Produkte, auf Angebote jenseits der Ketten legen – wenn die plötzlich das Gefühl bekommen, sie können etwas bewegen, und sie begreifen, dass sie Teil dieses komplexen Organismus Stadt sind, dann ist schon viel gewonnen. Sie müssen in der Folge mit den Eigentümern in Verbindung gebracht werden. Daneben muss selbstverständlich die Stadt einen Schritt vorangehen und an den richtigen Stellen investieren, wofür wir Handlungsanweisungen im Strategie-Konzept aufgestellt haben.
Sie haben schon viele Städte bei der Transformation ihrer Zentren strategisch beraten. Mit welcher Erwartungshaltung werden Sie da üblicherweise konfrontiert: Hier kommt die Urban Task Force aus Berlin, die mit zahlreichen Veränderungsvorschlägen unterm Arm die nötigen Heilmittel bringt?
Lukas Halemba Im Architekturstudium lernt man, dass man die komplexe Situation eines Ortes mit einem einfachen, genialen Strich entwirren kann. Im Fall eines Strategie-Konzepts für die Innenstadt trifft das leider nicht zu – im Gegenteil. Hier muss Komplexität nicht nur akzeptiert, sondern positiv angenommen werden. Auch in Bremen hat man verstanden, dass wir uns auf alles konzentrieren müssen: Handel, Verkehr, Wohnen, Kultur und so weiter.
Klaus Overmeyer Für die Konzepterstellung haben wir daher verschiedene Brillen aufgesetzt und das Centrum aus den jeweiligen Perspektiven beleuchtet, von den Wegeverbindungen bis zu den Nutzungsschwerpunkten. Dann haben wir fünf Schwerpunkträume der Innenstadt ausfindig gemacht, zu denen wir Maßnahmenlisten erstellt haben wie: „errichtet einen Fahrradkeller unterm Domhof“ oder: „öffnet diese und jene Höfe im Katharinenviertel“.
Die Strategie funktioniert somit wie ein Trichter. Ganz oben stehen die Grundwerte der „Bremen Charta“, die die Leitziele und Kernbotschaften für die künftige Entwicklung des Centrums formuliert, dann kommen die Handlungsfelder, dann die Schwerpunkträume, die jeweils mit einem gemeinsam erarbeiteten Maßnahmenkatalog untersetzt sind.
Im Bremer Centrumskonzept finden sich unzählige sehr konkrete Maßnahmen. Haben Sie die alle in den letzten zwei Jahren entwickelt?
Klaus Overmeyer Das meiste lag, verstreut in verschiedenen Programmen, schon vor oder wurde uns von den unterschiedlichen Akteuren vorgeschlagen. Unsere Aufgabe war das Sammeln, Sieben und Sortieren.
Ist das auch in anderen Städten in erster Linie Ihre Aufgabe als Planer: Sammeln, Sieben und Sortieren?
Klaus Overmeyer Das Vorgehen ähnelt sich. Wenn sich eine Kommune an uns wendet, ist es so, als ob eine Stadt sich zu einem Termin beim Psychologen anmeldet. Grundsätzlich spüren alle Städte, dass es einen Transformationsdruck gibt – und die Auslöser dahinter sind ähnlich. Städte sind eine Schnittstelle zwischen den großen Trends, den globalen Veränderungen, und der individuellen Lebenssphäre ihrer Bewohner. Das löst Unsicherheit aus, und die Städte müssen darauf reagieren. Wir schauen dann aber nicht nur, was es schon an Maßnahmen gab und gibt. Wir stellen vielmehr zunächst die Frage: Was will der Ort eigentlich? Auf diese Weise entwickeln wir sukzessive eine Vorstellung davon, wie Transformation konkret vor Ort gestaltet werden kann.
Bremen ist die elftgrößte Stadt Deutschlands und spielt als Stadtstaat eine besondere Rolle. Sind die Probleme, vor denen die Innenstadt dort steht, trotzdem vergleichbar mit denen anderer, kleinerer deutscher Städte?
Lukas Halemba Die implodierenden Kaufhäuser, diese großen Frösche, sind natürlich vielerorts zu finden. Bremens Centrum hat aber lokale Eigenheiten wie die eingebettete Lage zwischen Wallanlage und Weser. Nicht jede Stadt hat auch ein Weltkulturerbe in der Innenstadt und ein derart großes touristisches Potenzial. Besonders ist auch die abgeschnittene Lage des Hauptbahnhofs, wo man auf dem Weg in die Innenstadt direkt in Waffengeschäfte und Shisha-Bars stolpert und dann unter der Hochstraße hindurchmuss, die eine starke Präsenz hat. Was aber an allen Orten gleich ist: Nicht mehr allein der Städtebau und die Freiraumgestaltung sind die Ziele eines Strategiekonzepts, sondern darüber hinaus die Entwicklung des passenden Prozesses, um zu einer resilienten und zukunftsfähigen Innenstadt zu gelangen.
Die Gretchenfrage ist ja: Was geschieht, wenn die Stadt ihre Therapiestunden aufgebraucht hat, Sie als Therapeuten also den Ort verlassen haben? Wie kommen Politik und Bürgerschaft von da an alleine zurecht? In Bremen versucht man das mit Hilfe des neu gegründeten „Projektbüros Innenstadt“, zu dessen Hauptgeschäftsführer Carl Zillich, der ehemalige Kuratorische Leiter der IBA Heidelberg, kürzlich berufen wurde.
Klaus Overmeyer Das Projektbüro Innenstadt ist enorm wichtig für die Übersetzungsleistung innerhalb der Stadtgesellschaft. Mit dem Strategie-Konzept unterm Arm ist Carl Zillich da eine wichtige Spinne im Netz zwischen den Akteuren. Das Gute ist, dass er nicht von einem Haus beauftragt ist, sondern eine gewisse Neutralität besitzt.
Sind die traditionellen Strukturen einer Stadtverwaltung, so gut sie für sich gesehen auch funktionieren mögen, nicht in Wahrheit obsolet geworden, wenn sie unfähig sind, den Wandel alleine zu gestalten?
Klaus Overmeyer Zunächst einmal ist eine funktionierende Verwaltung ja super. Dass jemand für etwas zuständig ist, das öffentliche Interesse vertritt, im Sinne der Bürger und Bürgerinnen handelt – das ist sehr sinnvoll und für unsere kommunale Handlungsfähigkeit enorm wichtig. Die Frage ist nur: Wie kann man diese vielen Ressorts und Zuständigkeiten besser verknüpfen und einen integrierten Rahmen schaffen? Daran arbeiten viele Kommunen. Viele haben zwar ein Citymanagement, aber das entstammt noch der Handelslogik. Es hat das Ohr am Handel und setzt sich für dessen Belange ein. Jetzt geht es aber nicht nur um einen Neustart des Handels, sondern um ein neues Verständnis des Zentrums.
Das Zentrum ist immer noch der Ort, an dem Städte entstanden sind, ein Ort mit einer hohen Identifikation. Diese Identifikation hat bis ins Shopping-Zeitalter angehalten. Die Leute sind zum Shoppen in die Innenstadt gefahren, haben sich an den Trögen die Bäuche vollgeschlagen, und das hat die Seele beruhigt. Jetzt greift diese Identifikation nicht mehr. Die Menschen erleben eine Ambivalenz. Sie merken, dass die Innenstadt immer noch der Ort ihrer gemeinsamen Identifikation ist, aber der Grund, warum sie sich dort treffen, den müssen sie neu finden und aushandeln.
Wenn es der Handel nicht mehr ist, was kann es dann sein – jenseits von Wohnen, Büroarbeit und Freizeitangeboten?
Klaus Overmeyer Man wartet immer auf die Weiße Ritterin, die etwas ganz Neues bringt. Ich glaube aber, das ganz Neue kann auch darin liegen, dass Städte eine Offenheit zulassen und sich dieser stellen: Wir wissen es gerade noch nicht. Über vielen Räumen in unseren Zentren blinken Fragezeichen: Was soll aus mir werden? Wo liegt meine Zukunft? Das Neue kann erst entstehen, wenn wir Leere zulassen. Im Planungsjargon gibt es das schöne Wort der Reallabore: Lasst uns etwas versuchen, etwas ausprobieren!
Lukas Halemba Letztendlich geht es darum, im Zentrum so viele Nutzungen zu konzentrieren, wie es geht. Jetzt stehen die Innenstädte vor der Möglichkeit, jenseits der vielen Shopping-Ketten zu zeigen, was ihren Kern ausmacht, im Bremer Fall also das Bremische wiederzufinden, neu zu definieren, zu stärken.
Alle Städte beschäftigen sich derzeit mit ihren Innenstädten. Geht das am Ende nicht auf Kosten der Peripherien, deren Probleme ja weiterhin bestehen bleiben?
Lukas Halemba Die Innenstädte haben gerade eine starke Präsenz, da es dort brennt. Eine wirtschaftliche Kraft bricht weg, Arbeitsplätze brechen weg. Diese Veränderungen haben aber auf den zweiten Blick auch eine Menge mit dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie zu tun. Bisher sind wir aus der Peripherie ins Zentrum zum Shoppen gefahren. Das wurde – auch in Bremen – unterwandert durch die Shopping-Malls am Stadtrand. Die Beziehung von Stadt und Land, von Peripherie und Zentrum muss nun abermals neu ausgehandelt werden.
Klaus Overmeyer Hinzu kommt, dass sich das Stadtbild grundlegend wandelt: vom zentralen zum polyzentralen. Man muss also auch in der Peripherie schauen, was dort Ankerpunkte sein können – jenseits der Einkaufsmöglichkeiten. Damit einhergeht, die Pendlerströme neu zu lenken. Wenn sich also die Staubwolke über dem Zentrum gelegt hat, dann geraten sicher andere Räume – wie die in der Peripherie – wieder ins Blickfeld.
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