Projektreportage

268 Orchard Road, Singapur
Raymond Woo & Associates Architects, Singapur

Leuchtender Diamant: Mit seinen kaskadenförmig angeordneten Glasquadern hebt sich der Neubau deutlich von seinen wesentlich höheren Nachbarn ab

In Singapur strebt alles dem Himmel zu – auch Autos fahren hier Aufzug

  • Autorin: Jaleh Nayyeri
  • Fotos: Mylah Dandan (Raymond Woo & Associates Architects), Aaron Pocock

Mit architektonischen Meisterleistungen wartet Singapur, 2014 zur teuersten Stadt der Welt gekürt, wahrlich auf. Neue Stadtteile, groß wie Städte, entstanden in den letzten Jahren, um den dringend benötigten Wohn- und Geschäftsraum zu schaffen. Obwohl Autos hoch besteuert und nur mit einer staatlichen Bewilligung erhältlich sind, ist ihre Zahl inzwischen so groß, dass längst auch ausreichend Parkfläche eingeplant werden muss. Nun ist im Herzen Singapurs ein neues architektonisches Highlight entstanden: „268 Orchard Road“ inklusive modernem Parkhaus.

Platz ist absolute Mangelware in der Löwenstadt, wie Singapur auch genannt wird: die Insel südlich von Malaysia ist etwa so groß wie Hamburg, hat allerdings rund 5,3 Millionen Einwohner – Tendenz steigend. Lange hatte Singapur den Ruf einer zwar sauberen, aber auch sehr biederen Geschäftsstadt.

„Die Singapurer lieben ihre Autos. Sicheres und sauberes Parken statt stickiger Parkhäuser – die Idee besticht.”

Dies hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Heute ist die südostasiatische Metropole eine Stadt der Superlative: herausragende Einkaufsmöglichkeiten, kulturelle Highlights, kulinarische Hochgenüsse, sensationelle Hotels, der größte Hafen der Welt – und, nicht zu vergessen, das einzige Nachtrennen der Formel 1. Außerdem lockt die Stadt mit atemberaubender Architektur, die Moderne mit Tradition vereint. Neben beeindruckenden Gotteshäusern aller Religionen, ethnischen Vierteln und ursprünglichen Kolonialgebäuden entstehen imponierende Konstruktionen aus Glas, Beton und Stahl. Singapur ist chic.

Die Empfangshalle mit ihren stufenförmig aufsteigenden Galerien

Die Empfangshalle mit ihren stufenförmig aufsteigenden Galerien

Wahrzeichen Singapurer Baukunst

Durch geschickte Landgewinnungsmaßnahmen gelang es Singapurs staatlichen Planungsbehörden, die Gesamtfläche des Stadtstaats von ursprünglichen 581 auf derzeit gut 710 Quadratkilometer zu vergrößern. Auf der neuen, begehrten Fläche wird die Entwicklung der Geschäfts- und Büroinfrastruktur vorangetrieben. Hoch geschätzt von den Architekturbegeisterten gelten unter anderem die in der Sonne glitzernde Wolkenkratzer-Phalanx im Central Business District, das 2008 eröffnete, 165 Meter hohe Riesenrad, die 2010 fertiggestellte Helix-Fußgängerbrücke, das ArtScience-Museum, das seit 2011 in Form einer Lotusblüte über einem riesigen Seerosenteich schwebt, und natürlich das „Marina Bay Sands“, das 2011 eröffnet wurde und seitdem zum beliebtesten Fotomotiv der Stadt aufgestiegen ist. Neu und gut besucht ist auch die 2012 auf aufgeschüttetem Land entstandene Parkanlage Gardens by the Bay mit ihren bis zu fünfzig Meter hohen „Super Trees“, pflanzenbewachsene Gerüste, die an die Riesenbäume im Film „Avatar“ erinnern. Und schließlich ist da noch die zur Luxusmeile avancierte Orchard Road mit ihren klimatisierten Shopping- Malls. Genau hier ist in diesem Jahr ein weiteres Beispiel ausgefallener Architektur hinzugekommen.

Der Diamant: Glasquader mit Stahlverstrebungen

Der Diamant: Glasquader mit Stahlverstrebungen

Ein Juwel für die Baulücke in Bestlage

268 Orchard Road wurde von Raymond Woo & Associates Architects, einem lokalen Architekturbüro, entwickelt. Das neue Gebäude liegt inmitten der Konsumtempel zwischen Bideford Road und Cairnhill Road. Zentraler geht es nicht, wenn man Shopping und Restaurants anbietet. Sämtliche Luxuslabel von Dior über Armani bis Hermès und Chanel sind hier mit großen Flagship-Stores vertreten und reihen sich wie an einer Perlenkette auf. Das zwölfstöckige Bauwerk aus Stahl und Glas beherbergt edle Geschäfte und Restaurants und im obersten Stockwerk empfängt eine exklusive Privatbank ihre Kunden.

Raymond Woo

Raymond Woo

Mit dem Neubau 268 Orchard Road und seinen kaskadenförmig angeordneten Glasquadern ist ein außergewöhnliches Gebäude entstanden, das sich deutlich von seinen wesentlich höheren Nachbarn abhebt. Gerade die Unterbringung von Parkraum war bei einer zur Verfügung stehenden Grundfläche von nur 2800 Quadratmetern eine große Herausforderung, denn sowohl Vorder- als auch Rückseite der Baulücke betragen jeweils lediglich 33 Meter. Die strengen Gesetze in Singapur für Parkraum verlangen nicht nur reibungslose Abläufe innerhalb des Parkhauses, sondern auch eine gute Zufahrtsmöglichkeit für Autos, um Staus vor der Einfahrt zu vermeiden. Dank der Umsicht des Bauherrn fiel die Wahl auf ein unkonventionelles Parksystem der Otto Wöhr GmbH. Auf vier Stockwerken im rückwärtigen Teil des Gebäudes entstand Platz für 62 Autos. Durch den Verzicht auf eine Tiefgarage war es möglich, auch das Kellergeschoss zu vermieten und als Ladenfläche zu nutzen. Raymond Woo, Singapur

Bis zu seinem Abriss im Jahr 2010 stand hier, eingequetscht zwischen der Shopping Mall The Heeren und dem Grand Park Orchard Hotel, das eher in die Jahre gekommene, schäbig wirkende Yen San Building. Raymond Woo entwarf für die Baulücke eine ganz besondere Konstruktion. Sie sollte weder groß und protzig sein, noch mit den umliegenden, wesentlichen höheren Häusern in irgendeiner Weise konkurrieren; ein Solitär eben. „Klein, aber fein sollte es sein“, schwärmt der chinesischstämmige, mehrfach ausgezeichnete Architekt, der mit dem Bau 2011 begann und viel Herzblut in die Konstruktion hat fließen lassen. Gemeinsam mit dem befreundeten Grundstückseigner sei die Idee zu diesem Gebäude auf einem Flug von Hongkong zurück nach Singapur entstanden, erzählt er schmunzelnd. Außerdem verbirgt sich hinter der Hausnummer 268 das Zahlenspiel 2+6=8. In China gilt die Zahl 8 unbestritten als Glückzahl.

Leicht, luftig und offen wirkt 268 Orchard Road auf den Besucher. Auffallend sind die drei versetzt aufeinandergestapelten Glasquader, die im 45-Grad-Winkel auf die Orchard Road weisen. Von den oberen Stockwerken bietet sich eine herausragende Aussicht, obwohl die Höhe des Gebäudes insgesamt nicht mehr als 67 Meter beträgt. Außerdem wird das Gebäude durch seine Ausrichtung von der Fußgängerzone besser wahrgenommen. Rechts und links des Haupteingangs erweitern zwei gläserne Anbauten das Foyer zu einer großzügigen Empfangshalle. Die zur Orchard Road zeigenden Ecken der Glasboxen sind bewusst abgerundet, um weniger spitz und offensiv zu wirken. Steht man vor dem Haupteingang oder im Foyer, wirkt die Bauweise einladend und der Betrachter wird förmlich nach innen gesogen. Sowohl die stufenförmig aufsteigenden Etagen im Inneren als auch das gläserne Äußere fallen nicht nur sofort auf, sondern repräsentieren den Wunsch nach Fortschritt. Modern und dem Gedanken Rechnung tragend, ein architektonisches Schmuckstück an dieser Stelle zu errichten, bilden die Stahlverstrebungen unter den Decken der drei Quader jeweils die Form eines Diamanten. Für den Architekten war der Diamant eine Quelle der Inspiration und ein Symbol für Facettenreichtum.

Drei Glasquader zur Straße hin und ein vertikales Parksystem als Rückgrat zum Hof

Drei Glasquader zur Straße hin und ein vertikales Parksystem als Rückgrat zum Hof

Hochstapeln erwünscht

Zwar gibt es im Bereich der Orchard Road reichlich Parkmöglichkeiten sowie eine sehr gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, dennoch wollte man nicht auf Parkraum verzichten. Dieser sollte den limitierten Platz berücksichtigen, technisch hochmodern sein und damit zum eindrucksvollen Gesamtkonzept des Gebäudes passen. Die Firma Otto Wöhr GmbH konnte mit dem Multiparker 740 eine überzeugende, Platz optimierende Alternative bieten, und so wurden im rückwärtigen Teil des Gebäudes insgesamt 62 Stellplätze in einem Hochregal gebaut. Diese können von den eigenen Kunden, aber auch von der Öffentlichkeit genutzt und von einer Seitenstraße aus erreicht werden. Das besondere an dieser Parklösung ist der innenliegende Parkraum zwischen dem 4. und 8. Obergeschoß. Erschlossen werden 8 Parkebenen mit 4 hintereinander liegenden Parkreihen über einen seitlich des Gebäudes liegenden 25m hohen Lift. Die vollautomatische Hochregaltechnik sieht vor, dass der PKW auf eine Drehscheibe mit integrierter Parkpalette gefahren und auf ihr abgestellt wird. Danach transportiert der seitliche Lift die Palette nach oben in das Hochregal und übergibt sie auf das Regalbediengerät zum Einparken in eines der Parkfächer. Mit Hilfe eines Transponderchips kann der Wagen später wieder abgeholt werden. Dabei liegt die mittlere Wartezeit bei rund zweieinhalb Minuten, in denen der Autobesitzer auf einem Bildschirm den Status des Vorgangs mitverfolgen kann. Die Idee besticht: Sicheres und sauberes Parken statt stickiger Parkhäuser und enger Tiefgaragen. Denn Singapur ist nicht nur die Stadt mit der höchsten Millionärsdichte – die Singapurer lieben auch ihre Autos. Und dies sind eben häufig Luxuskarossen.

62 Stellplätze im Hochregal, die Einfahrt an der Seitenstraße
62 Stellplätze im Hochregal, die Einfahrt an der Seitenstraße

62 Stellplätze im Hochregal, die Einfahrt an der Seitenstraße

Architekten

Raymond Woo & Associates Architects, Singapur
www.raymondwoo.com

Raymond Woo & Associates Architects wurde 1970 von dem gleichnamigen Eigentümer gegründet und hat seitdem zahlreiche Projekte weltweit entwickelt und betreut. In die Gründungsphase fiel die Ausschreibung eines Designwettbewerbs für ein Wissenschaftszentrum in Singapur, das Raymond Woo für sich gewinnen konnte. In den 80ern folgten weitere Großprojekte: der größte Flugzeughangar für Airlines, verschiedene markante Wolkenkratzer im Business District am Shenton Way sowie das bekannte Einkaufscenter Ngee Ann City an der Orchard Road.

Projekte (Auswahl)

2007 Service Apartments im Sutera Harbour Resort Kota Kinabalu, Sabah
2006 VietcomBank Tower, Ho Chi Minh City
2006 Petro Southern Centre, Ho Chi Minh City
2005 Qatar Marina Mall Doha, Qatar
2004 Shi Liu Zhuang Development
2003 St Joseph Home for the Aged, Hong Kong
2003 Cheng DU Development
2003 Interflour Mill Development Baria, Vung Tau

Produktinformationen

Wöhr Multiparker 740 – 62 Stellplätze
Baujahr: 2013/14, Fläche Parken: ca. 242 m², Fläche pro Stellplatz: ca. 3,9 m², Lagerbereich 25,5m × 7,4m × 22m, Min. Zugriffszeit: ca. 120 sec, Max. Zugriffszeit: ca. 170 sec, Mittlere Zugriffszeit: ca. 145 sec, Parkkapazität: ca. 29 Pkw/h

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