Aus der Spinnenperspektive
Tomás Saraceno im Düsseldorfer Ständehaus
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Aus der Spinnenperspektive
Tomás Saraceno im Düsseldorfer Ständehaus
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Zugegeben, bei meinem ersten Versuch komme ich nicht so weit, wie ich es vorhatte. Die ersten Meter klappen gut, aufrecht und ohne die Hände zur Hilfe zu nehmen, schaffe ich den Einstieg. Mit einem Blick nach unten vergewissere ich mich: Bei maximal drei Metern Fallhöhe würde nichts Ernsthaftes passieren.
Doch nur ein paar Schritte weiter sehe ich durch das grobmaschige Netz unter meinen Füßen vier Geschosse gar nichts, dann den Boden des Foyers. Und der ist unvorstellbar weit weg. Ich schwanke, weil über mir und hinter mir Leute sind, und überlege, was ich nachmittags noch vorhabe und in den nächsten vierzig Jahren und ob diese Kletterei nicht vollkommener Wahnsinn ist. Zum Glück beginnt der Pressetermin zur Installation „In Orbit“ von Tomás Saraceno, sonst würde ich wohl immer noch dort stehen und zaudern. So klettere ich erst einmal hinab. Eine halbe Stunde Bedenkzeit.
Es begrüßt uns Marion Ackermann, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, die hingerissen ist von der „betörend schönen“ Installation. Und erleichtert, dass die Idee des Künstlers nach zweieinhalbjähriger Vorbereitung und dreimonatiger Bauzeit im Düsseldorfer K21 Ständehaus Wirklichkeit geworden ist. „In Orbit“ ist, wenn man so will, die Fortsetzung zu „Cloud Cities“ im Hamburger Bahnhof in Berlin (Bauwelt 38.11) und „Cloud City“ (2012) auf dem Dach des New Yorker Metropolitan Museum of Art: drei Puzzleteile von Saracenos sozial-utopischem Projekt „Air-Port-City“, einer fliegenden Stadt. Saracenos Utopien erinnern an die Russischen Konstruktivisten, an Archigram und Buckminster Fuller. Doch die haben nur gezeichnet – der argentinische Künstler fordert die physische Verwirklichung seiner Vision ein. Und bringt damit die Institution Museum an den Rand dessen, was möglich ist.
Tomás Saraceno beobachtet Spinnen, lässt sie Netze weben. Er untersucht ihre Arbeitsweise und ihr Sozialverhalten. Die zauberhaften Werke von sechs aus einem israelischen Mandarinenhain stammenden Opunzienspinnen sind in einem von Saraceno eingerichteten Künstlerraum ebenfalls im Ständehaus zu sehen. Der Künstler lernt von den Spinnen. Doch da-mit das, was die Spinnen so einfach tun, als „offene, kosmisch gewebte Struktur“ in einem deutschen Museum hängen und den Besuchern die Perspektive der Spinne auf ihr Universum eröffnen kann, braucht er ein engagiertes Team von Technikern und Ingenieuren. 2500 Quadratmeter Edelstahlnetz aus der Schweiz und fünf teils durchsichtige, teils silbrige Kugeln von bis zu 8,50 Meter Durchmesser bilden ein Konstrukt auf drei Ebenen, das mit zahllosen Stahlseilen an der Konstruktion der Lichtkuppel befestigt ist, erläutert Bernd Schliephake, Leiter der Abteilung Technik des Museums. Die Installation kratzt nicht nur am Limit des Hauses, sondern auch daran, was deutsche Ämter genehmigen. Doch was sich berechnen ließ, war schließlich, begleitet von 35 Seiten Sicherheitskonzept, genehmigungsfähig. Saracenos Assistenten führen vor, dass es hält. Sie bewegen sich spinnengleich in den Netzen und bauen, 30 Meter über dem Foyer schwebend, als wäre es nichts, ein Kissennest.
Tomás Saraceno selbst sagt nicht viel, er fordert die Anwesenden auf, sich zu trauen. Was ihn begeistere, sei die Kommunikation der Menschen im Netz. Jeder Schritt, jede neue Position bringe das gesamte System zum Schwingen, wenn einer sich bewege, spürten das alle: ein Spiegelbild der Gesellschaft. Genau das hatte meinen ersten Versuch beendet. Die Kollegen vom Fernsehen sind schon wieder im Netz, sie brauchen eigene Bilder von ganz oben. Ich muss nur schreiben, könnte also auch einfach behaupten, ich wäre oben gewesen. Unsinn! Also Turnschuhe wieder an und los, dieses Mal gleich ganz hoch, da sind immerhin noch zwei Netzebenen drunter, für den Fall, dass ... Der Trick ist, nicht nach unten zu schauen, oder nur kurz, wenn es sich gerade gut anfühlt. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, ist Saraceno weg. Schade, ich hätte gerne gewusst, wie es weitergehen soll mit der Wolkenstadt als Alternative zum Leben auf der Erde.
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