Bauwelt

Stadtgestalter und Stadtgestalten

Die digitale Urbanität

Text: Pfeiffer, Verena, Berlin

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Künstlerische Intervention auf dem Rosenthaler Platz in Berlin
Foto: © IEPE

  • Social Media Items Social Media Items
Künstlerische Intervention auf dem Rosenthaler Platz in Berlin

Foto: © IEPE


Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Demokratiebewegung in der arabischen Welt
Foto: Getty Images

  • Social Media Items Social Media Items
Demokratiebewegung in der arabischen Welt

Foto: Getty Images


Stadtgestalter und Stadtgestalten

Die digitale Urbanität

Text: Pfeiffer, Verena, Berlin

Stadt als Bühne, als Ort des Unerwarteten, der Vielfalt, der Kommunikation – viele klassische Funktionen des öffentlichen Raums liefert der virtuelle öffentliche Raum des Internets inzwischen schneller, umfassender und bequemer als sein reales Gegenstück. Dies hat die reale Öffentlichkeit jedoch keineswegs verdrängt. Vielmehr ist eine fruchtbare Wechselwirkung entstanden, die Stadtbürger, -blogger und -planer zu künstlerischer und gestalterischer Interaktion anregt.
Bereits seit Längerem gilt als widerlegt, dass Online-Kom­munikationsmedien zum Bedeutungsverlust herkömmlicher räumlicher Standortfaktoren führen. Ganz im Gegenteil: Diejenigen, die am intensivsten mit den neuen Medien arbeiten, leben mehrheitlich in den größeren Städten. Auch das in den 90er Jahren in Medien und Wissenschaft entwickelte Szenario, das den Bedeutungsverlust des klassischen öffentlichen Raums der Stadt zugunsten des virtuellen Raums herauf­be­schwor, ist bislang nicht wahr geworden. Aktuell zeichnet sich gar eine umgekehrte Bewegung ab: Internetblogs und Social Media wie Facebook und Twitter, also das Web 2.0, schaffen Möglichkeiten einer neuen, breiteren Öffentlichkeit für Städte und Architektur.
Institutionen wie Stadtverwaltungen werden dabei bisher mit den neuen Medien nicht so recht warm – oder umgekehrt. So ist beispielsweise Online-Partizipation in der Bauleitplanung noch nicht zum Standard geworden, und offizielle Versuche, über die neuen Kanäle des Social Media die Öffentlichkeit zu erreichen, enden oft wie bei der Facebook-Seite der Berliner Verwaltung zur Internationalen Bauausstellung 2020. Sie findet mit circa 100 „Freunden“ nur geringe Resonanz. Impulse kommen vielmehr von den Bürgern selbst. Blogs wie architektourist, popupcity, urbanophil, urbanshit oder stadtstadtstadt, um nur einige zu nennen, erhöhen bei einer wachsenden Leserschaft die Aufmerksamkeit für Stadt und Architektur, während Bürgerinitiativen wie NextHamburg oder die Gegner von Stuttgart21 (Mit)gestaltungschancen – für die das Web 2.0 die Technik bietet – selbst erzeugen.
Virtuell, real, urban?
Der öffentliche Diskurs über die Stadt wird durch die neuen Online-Medien breiter, vielseitiger und einflussreicher. Doch in welcher Beziehung stehen der virtuelle und der reale öffentliche Raum zueinander? Was bedeuten Blogs und Social Media für die Urbanität einer Stadt? Der öffentliche Raum der Stadt ist klassisch der Raum, in dem Urbanität geschieht, Stadtbevölkerung aufeinander trifft, Austausch stattfindet, aber auch Nutzungs- und Interessenkonflikte ausgetragen werden und Mitbestimmung in gestalterischen und politischen Fragen erfolgt. Diese Merkmale sind sowohl für den realen als auch für den virtuellen öffentlichen Raum wesentlich. An beide Räume formulieren die Bürger den klassisch urbanen Anspruch, dass Zugänglichkeit gewährleistet und Repräsentations- bzw. Performancemöglichkeiten geboten sein sollen.
Dies scheint im Netz einfacher erreichbar als im realen Stadtraum. Der virtuelle Raum ist (fast) kostenlos, (beinahe) unbegrenzt und hat im Gegensatz zu traditionellen Informationsmedien nur niedrige redaktionelle und inhaltliche, sowie kaum genehmigungsrechtliche Hürden für Protestaktionen. Der Zugang zur Information ist leichter, ganz wesentlich ist aber der im Netz größere Spielraum zur aktiven Teilhabe. Die Akteure, die diese Möglichkeiten des virtuellen Stadtraums nutzen, können, unscharf, in Stadtgestalten und Stadtgestalter eingeteilt werden.
Die Stadtgestalten – Sehen und Gesehen werden
Den Stadtgestalten geht es in ihrer bevorzugten Ausdrucksform, den Blogs, um Faszination und Frustrationen, die die Stadt auslöst, um das Neue und die Neugierde auf alles Städtische, um das Sehen und Gesehen werden, um Austausch und um Mitteilung. Sie machen, wie der Hamburger Stadtplaner Rudolph Glöckner auf seinem etablierten Stadtblog urbanshit schreibt, „auf jegliche Formen von spannender, subversiver oder neuer Gestaltung, Aneignung, Aktivismus und Provokation im öffentlichen Raum aufmerksam, um diese immer weiter als festen und akzeptierten Bestandteil des StadtRaumes und der Stadtplanung zu etablieren“. Der Berliner Blog urbanophil, gegründet 2006 von einer Handvoll damaliger Studenten der Stadt- und Regionalplanung, drückt sein Selbstverständnis so aus: „Wir begeben uns gemeinsam auf die Suche nach Entwicklungen im Kontext des Urbanen. Denn Städte begreifen wir als besondere Lebensräume, Spielwiese, Nährboden für Ideen und Experimente – Pool unterschiedlichster Lebensgefühle. Und möchten dabei für das Urbane begeistern.“ Dies erfolgt in kurzen und längeren, journalistischen wie populärwissenschaftlichen Beiträgen, in Foto, Film und ganz besonders auch in der Austragung eigener und der Ankündigung fremder öffentlicher Veranstaltungen.
Hier besteht ein offensichtliches und banales, aber positiv folgenreiches Wechselverhältnis zwischen Blog und urbanem Raum: Ohne das Geschehen in der Stadt gäbe es nichts zu berichten, ohne Blog und Social Media wären weniger interessierte Bürger und kreative Gestalter im öffentlichen Raum unterwegs. Bestes Beispiel für diese Wechselwirkung ist die Aktion Painting Reality der Künstler IEPE & the anonymous crew. Sie haben an einem Frühlingstag im April 2010 auf dem Ber­liner Rosenthaler Platz mehrere Eimer Farbe vor die an der Ampel wartenden Autos geleert, die Fahrzeuge schufen dann beim Überqueren der Kreuzung ein buntes Farbenmeer. Der Ort war sorgfältig gewählt, denn in einem der Cafés im zweiten Geschoss an der Kreuzung sitzt die „digitale Bohème“ Berlins, die sogleich mit dem SmartPhone fotografierte und bloggte. Temporäre Kunst im öffentlichen Raum, so wie die Knit Graffiti, deren Akteure den öffentlichen Raum mit gestrickten Kunstwerken verschönern oder Kunstaktionen mit Pflanzen und Blumen, bekommen durch die Verbreitung im Internet eine wesentlich größere Resonanz und Lebenszeit als es früher möglich gewesen wäre – und regen zu Nachahmung, Belebung, zur erhöhten Aufmerksamkeit für den urbanen Raum an.
Stadtgestalten nutzen die Medien nicht nur, um online ihr Interesse für Stadt und Architektur zu teilen, sondern auch, um selbst im realen und virtuellen Stadtraum aktiv wahrgenommen zu werden oder um entsprechende Aktivität zu ermöglichen. So bringt urbanshit ein gedrucktes Magazin heraus, das „urban spacemag“, und die Berliner Blogger von urbanophil organisieren regelmäßig öffentliche Film- und Diskussionsabende und führten im Mai dieses Jahres erstmalig die Konferenz „Blogging the City“ durch (Bauwelt 23). Mit ihren Aktivitäten werden die Blogger auch im realen öffentlichen Raum sichtbar und wirksam. Die Verzahnung zwischen Stadtblog und Stadt ist eng, die gegenseitige Abhängigkeit nicht unwesentlich.
Der Stadtblogger und das Geistesleben
Denkt man das hier entworfene Bild der Stadtgestalten weiter, landet man mitten im Urbanitätsdiskurs. Stadtblogs stärken einen der Kerne der Urbanitätstheorie: die Stadt als Bühne, als Ort des Neuen, des Unerwarteten, der Vielseitigkeit, Indi­vidualität und Offenheit. Nebst dieser Faktoren ist der öffentliche Raum insbesondere dann urban, wenn er als Ort der (gruppen)individuellen Repräsentation funktioniert. Dies ist einheitlicher Tenor bei den Stadtsoziologen, von Georg Simmel über die Chicago School und Hans Paul Bahrt bis hin zu Walter Siebel und Hartmut Häußermann. Städtebau und Architektur sind ihrem Wesen nach performativ. Aber auch die Stadtblogs sind performative Formen, sie repräsentieren in Bild, Schrift und Ton Stadt, Architektur – und nicht zu letzt sich selbst.
Die Blogosphäre erinnert in Funktions- und Ausdrucksweise an die Charakterisierung der Großstadt und ihrer Einwohner, die Georg Simmel 1903 lieferte. Er war es, der aus der sozialen, psychologischen, schnellen, unterschiedsvollen Dichte, also der Reizüberflutung der Großstadt das Geistesleben der Großstädter ableitete, diese charakterisierte er als intellektuell, blasiert, reflektiert aussondernd, distanziert, sich selbst repräsentierend und damit individuell. Ein Bild, das Simmel, im Gegensatz zu der herrschenden Meinung seiner Zeit, positiv und gar zukunftsweisend verstand. Blog und Blogger setzen eben diesen Umgang mit der urbanen Reizüberflutung für alle sichtbar im Netz um – und produzieren mit ihrem Blog zugleich wieder eine Sphäre, die ihren Usern eine gleichermaßen intellektuelle, blasierte, distanzierte, reflektierende und individuelle Konsumtion abverlangt sowie Reaktion wünscht und via Kommentarfunktion, Facebook und Verlinkung ermöglicht.
Die Stadtblogger schaffen einen neue Ebene für Stadt und Architektur, grenzen dabei aber auch, entsprechend des eigenen Blickwinkels und der individuellen Interessen, ein und aus. Sie beleben den urbanen Typus des Flaneurs neu und erweitern dessen Wirkungsraum durch die Speicherung, Vermittlung und Verarbeitung der unzähligen Eindrücke der Stadt. Das Medium Internetblog und vor allem auch das meist zusätzlich genutzte Twittern, bei dem einer SMS ähnliche Kurznachrichten an alle eingetragenen „Followers“ gesendet werden, korrespondiert aufgrund seiner Charakteristika Schnelligkeit, Reizüberflutung und Aktualität mit dem Wesen des Urbanen. Die Arbeitsweise der Blogger im Netz spiegelt die urbane Lebensweise. Der Blog wird zum Unterstützer des urbanen Flaneurs. Dies stärkt die Stadt und ihre öffentlichen Räume.
Die Stadtgestalter – Einmischen und Mitmischen
Während die Stadtgestalten mit ihren Blogs eher selten eine politische Meinung vertreten, steht bei vielen anderen Akteuren des virtuellen Raums die aktive Partizipation bis hin zur eigenen Gestaltung von Stadt im Mittelpunkt. Diese Stadtgestalter mischen sich in der Regel unaufgefordert ein und können, wie in Stuttgart, sogar politische Machtverhältnisse verschieben. Diese Initiativen, zum Teil eigens gegründete Institutionen, sind Teil der politischen Öffentlichkeit. Es handelt sich entweder um Aktivisten, die konkrete Ziele zu Veränderung und Gestaltung des Raums veröffentlichen und umsetzen wollen oder um Stadtplaner und verwandte Institutionen, die Teilhabe für die Bürger ermöglichen möchten.
Viele dieser Projekte testen erfolgreich neue Formen der Partizipation, aber es geht den Stadtgestaltern um weitaus mehr als um Beteiligung, es geht ihnen um die aktive Gestaltung auf lokaler Ebene. Die Idee ist keineswegs neu, der Einsatz des Web 2.0 führt aber zu einer spürbar breiteren Beteiligung und aktiveren Mitgestaltung. Durch die Trennung des Diskussionsraumes vom realen Raum und vor allem von Zeit erhöhen sich die individuellen Chancen zur Teilhabe. Was online und damit in der Regel schriftlich zwischen Bürgern diskutiert wird, wird zeitgleich protokolliert und kann von anderen nachvollzogen und weiterentwickelt werden, die aufgrund ihrer individuellen Lebensumstände zu anderen Tageszeiten an der Diskussion teilnehmen.
Das derzeit prominenteste Beispiel einer einflussreichen und gut vernetzten Bürgerinitiative ist „KEIN Stuttgart 21“ oder „K21“, eine Initiative von Gegnern des Projekts Stuttgart 21 (wobei K gleichzeitig für die Forderung nach dem Erhalt des Kopfbahnhofs und für KEIN Stuttgart 21 steht). Auf ihrer Internetseite berichten die Bürgeraktivisten über die neuesten Entwicklungen und Debatten beim Bahnhofsprojekt. Sie informieren hier aber nicht nur, sondern nutzen das Medium vor allem zur Organisation des Protests vor Ort. Unterstützend sind sie durch eine facebook-Seite mit über 100.000 „Freunden“ vernetzt. Die große überregionale Resonanz auf die Aktionen und Proteste und deren erzwungene Beendigung, die vielen Unterstützer und Protestanten in Stuttgart wären ohne die Online-Medien kaum denkbar. Nicht zuletzt ermöglicht es das Medium Internet, die Sympathisanten über einen langen Zeitraum über das Geschehen auf dem Laufenden zu halten und gegebenenfalls zu (re)aktivieren, auch wenn das Interesse der etablierten Medien längst nachgelassen hat.
Ganz anders arbeitet frankfurt-gestalten, eine Website des Politologen und Beraters Christian Kreutz. Nach Vorbildern aus den USA und Großbritannien werden hier in einer Karte die aktuellen lokalpolitischen Diskussionen und Entscheidungen dargestellt und verlinkt. Ziel ist es, zu informieren und vor allem Bürger und Bürgerinitiativen zu vernetzen sowie deren Gründung und Austausch anzustoßen. Damit bietet frankfurt-gestalten eine wertvolle kostenlose und ehrenamtliche Dienstleistung, die im Grunde von der Stadt Frankfurt angeboten werden müsste. Stattdessen übernimmt ein Blog Funktionen der öffentlichen Hand und ist im klassischen Sinne gemeinnützig tätig.
Next Hamburg, eine Initiative des Stadtplaners Julian Petrin, arbeitet noch stärker interaktiv (siehe auch S. 21). Hier sind insbesondere Stadtplaner aktiv. Dies verwundert nicht, bewegt sich die Plattform doch im inhaltlichen und organi­satorischen Kerngebiet der europäischen Stadtplanung. Das „unabhängige und offene Zukunftslabor“, mittlerweile ein Partner der Stadt Hamburg und Teil der Nationalen Stadtentwicklungspolitik des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, motiviert die Bürger zur Einreichung ihrer Ideen für die Weiterentwicklung der Stadt Hamburg. Diese werden online unter den angemeldeten Teilnehmern diskutiert und gemeinsam mit vielen Akteuren weiterentwickelt. Ziel ist es, eine funktionierende Plattform für Bürgerideen zu etablieren und umsetzungsreife Projekte zu kreieren.
Kommunikation im erweiterten öffentlichen Raum
Was in den virtuellen Stadträumen diskutiert wird, hat seinen Ursprung im realen Stadtraum, wirkt dort und wird dort auch weiterentwickelt. Stadtblogs und Social Media sind in ihrem Selbstverständnis urbane Kommunikationsmedien, die sich, in Analogie zu Hans-Paul Barths These von der Entwicklung der Urbanität, aus der Verbürgerlichung und Verstädterung der Gesellschaft entwickelt haben „Die positive Kulturleistung der Entwicklung einer Öffentlichkeit“ so Barth 1961, „besteht zu einem guten Teil darin, Kommunikationsformen zu entwickeln, die die Distanz, die gegeben ist und bestehen bleibt – ja bestehen bleiben soll, überbrücken.“ Es ist das große Potenzial für Blogs und Social Media, dieses Kommunikationsmittel für die Stadt und den öffentlichen Raum zu werden.

0 Kommentare


loading
x
loading

26.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.