Stararchitekt der Ringstraße
Theophil Hansen in Wien
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Stararchitekt der Ringstraße
Theophil Hansen in Wien
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Karl Kraus lässt sein Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ selbstverständlich auf der Ringstraße beginnen, mit dem Zeitungsausrufer an der „Sirk-Ecke“, wo das mondäne Wien tagtäglich zusammenkam.
Die Ringstraße ist neben der Hofburg das Synonym des imperialen Wien, obwohl sie zwar Folge, aber nicht Ausdruck kaiserlichen Handelns ist: Sie beruht auf dem Dekret Franz Josephs II. zur Niederlegung der Stadtmauern und dem daraufhin entwickelten Plan zur Stadterweiterung, ihre bauliche Gestalt ist jedoch Ausdruck des bürgerlichen Anspruchs auf Beteiligung und Selbstdarstellung.
Der Bau der Ringstraße und der angrenzenden Blöcke stellt neben der „Haussmannisation“ von Paris das größte städtebauliche Projekt im Europa des 19. Jahrhunderts dar. Zahlreiche Architekten aus dem deutschsprachigen Raum und darüber hinaus waren beteiligt; vielleicht der bedeutendste, sowohl nach der Zahl seiner Bauten als auch wegen seiner Architektursprache, war der gebürtige Däne Theophil Hansen (1813–1891). Ihm widmet das Museum Wagner:Werk in der berühmten Wagner’schen Postsparkasse eine Ausstellung. Die Verbindung von Otto Wagner zu Theophil Hansen, auf den ersten Blick vielleicht befremdlich, ist eng; Wagner arbeitete ab Herbst 1868 als Bauleiter von Hansens Palais Epstein.
Hansen, an der Kopenhagener Akademie ausgebildet, nutzte das zeittypische Italien-Stipendium 1838 zur Weiterfahrt nach Athen, wo sein älterer Bruder Christian als Hofarchitekt zum Künstler-Kreis um den Wittelsbacher Griechen-König Otto zählte. Der jüngere Hansen studierte insbesondere die Polychromie der griechischen Antike, damals ein heißes Thema der Altertumswissenschaft. Eine Einladung des arrivierten Wiener Kollegen Ludwig von Förster zum Eintritt in dessen Atelier führte Hansen 1843 nach Wien, just in jenen Jahren, da die Hauptstadt sich durch das bald darauf einsetzende enorme Bevölkerungswachstum zur Metropole aufschwang.
Ein Hauptverdienst der Ausstellung und mehr noch des Katalogs ist der beständige Verweis auf die ökonomischen und politischen Bedingungen der „Ringstraßenarchitektur“. Die privaten Bauten auf dem teuer veräußerten Grund (so wurden die gleichfalls dort errichteten öffentlichen Bauten refinanziert) mussten rentabel sein, und das ging nur in Gestalt der „Zinshäuser“. Die spezifisch wienerische Form des mehrgeschossigen Mietshauses sieht die Wohnung der Eigentümer auf der Beletage vor, weitere „hochherrschaftliche Wohnungen“ straßenseitig darüber, während in den eng bebauten, dunklen Hintertrakten zumeist Bedienstete buchstäblich hausten. Nicht der Adel, allein das industrielle Großbürgertum konnte die prachtvollen Zinshäuser am Ring finanzieren. An den anschließenden Quer- und Parallelstraßen betätigten sich nicht ganz so vermögende Bürger als Bauherren und verschuldeten sich dabei oft so hoch, dass die Kreditkosten nur über den sprichwörtlichen Mietwucher hereinzuholen waren. Nebenbei, die hygienische Ausstattung der Häuser war miserabel: Noch 1900 besaßen gerade drei Prozent aller Wiener Wohnungen Wasseranschluss – während die Ringstraßen-Renaissance das Vorbild aller Mietshausfassaden bildete.
Gesamtkunstwerk Zinshaus
Hansens Wiener Bauten wie das ab 1850 anfangs gemeinsam mit seinem nunmehrigen Schwiegervater von Förster geplante Waffenmuseum – das heutige Heeresgeschichtliche Museum – huldigten einem „romantischen Historismus“ mit byzantinischen und venezianischen Einsprengseln. Doch mit der Einrichtung des eigenen Ateliers 1852 klärte sich Hansens Formensprache im Laufe weniger Jahre zum rationalen Historismus einer gern so bezeichneten „griechischen Renaissance“, die jedoch klassizistische Elemente aller Formen der Renaissance vereint. Dies kam der Blockstruktur der Bauvorhaben sehr entgegen, wie die Paläste der zumeist aus allen Teilen der Monarchie zugewanderten jüdischen Fabrikantenfamilien zeigen. Zu ihnen zählen die Palais Todesco, Ephrussi oder Epstein, aber auch der gewaltige Heinrichhof mit seinen Anklängen an die aus dem Kas-tell hervorgegangene Architektur italienischer Stadtpaläste. Mit dem Palais Epstein, in herausragender Lage zwischen den (späteren) Bauten des Parlaments und des Naturhistorischen Museums gelegen, lieferte Hansen 1871 das Meisterwerk des Ringstraßenhauses. Die Innenausstattung der Speise- und Tanzsäle als den Orten bürgerlicher Repräsentation war ein selbstverständlicher Teil von Hansens Entwurfsarbeit. In der Ausstellung sind dazu Möbel, aber auch Kristallgläser für die Manufaktur Lobmeyr zu sehen. Das „Zinshaus“ als Gesamtkunstwerk ist heutzutage kaum mehr zu sehen, schon gar nicht in seiner ursprünglichen Funktion. Der Niedergang der Ringstraße zur Autoverkehrsschneise spiegelt sich in der Umwidmung der Zinshäuser, jedenfalls ihrer vornehmen Etagen, zu Büros und Kanzleien.
Theophil Hansens klarer, nicht zuletzt am ausführlichen Studium der Bauten Schinkels gewonnener Klassizismus wurde stilprägend für die gesamte Gründerzeitarchitektur Wiens, mochten andere herausragende Bauten auch anderen Formensprache gehorchen, darunter Hansens eigenes Meisterwerk, das Parlament (1873–83) mit der Statue der Pallas Athene, in streng antikisierenden Formen als Reverenz an die athenische Demokratie. Der Formulierung eines Nationalstils stand Hansen ablehnend gegenüber: „Bei dem gegenwärtigen Zustande der europäischen Bildung, welcher die gemeinschaftliche Grundlage aller Nationen ist, dürfte die Entwicklung eines nationalen Stils unmöglich sein“, beschied er 1860 dem bayerischen König Ludwig. Athen blieb ihm eine zweite Heimat, wo sein 1888 vollendetes Zappeion den Hauptort der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit bildete. Als Hansen 1873 zu seinem 60. Geburtstag zum Ehrenbürger Wiens ernannt wurde, war die Ringstraße noch nicht zur Gänze fertig. Sein ehemaliger Mitarbeiter Otto Wagner wurde stilistisch zu deren Überwinder, aber man erkennt in der Ausstellung der Postsparkasse genauer denn je zuvor, wo Wagners Moderne ihren Anstoß fand und worauf sie respektvoll bezogen blieb.
0 Kommentare