Bauwelt

Atelier von Donald Judd


Permanente Installation


Text: Spertus, Juliette, Brooklyn


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    Foto: Joshua White

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    Foto: Joshua White; © Art Judd Foundation, lizenziert von VAGA, NY/VG Bild-Kunst, Bonn 2014

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Um 1970 eroberten New Yorker Künstler leerstehende Fabrikgeschosse in SoHo und erfanden in den weitläufigen Etagen das Loftwohnen. Donald Judd nutzte sein Haus auch als Atelier und als Ausstellungsort – ein frühes Beispiel für die Adaption der flexiblen Struktur eines Skelettbaus, vom Architectural Research Office renoviert und zum Museum gemacht
Die Werke Donald Judds finden sich zwar weltweit in Museen, um sie aber wirklich zu erleben, muss man sein Haus besuchen. Das ist jedenfalls der Eindruck, den ich bei einem Besuch des fünfgeschossigen, im 19. Jahrhundert aus Gusseisen errichteten Gewerbegebäudes auf dem Grundstück 101 Spring Street an der Ecke Mercer Street im New Yorker Stadtteil SoHo gewonnen habe. Hier lebte und arbeitete Judd von 1968 bis zu seinem Tod im Jahr 1994 und zog seine Kinder groß. Die Ausstattung ist vollständig erhalten; nach einer dreijährigen, 17 Millionen US-Dollar teuren Restaurierung unter Leitung des New Yorker Architekturbüros ARO wurde das Haus nun als Museum für Besucher geöffnet. Die Aufgabe der Architekten war klar definiert: Es galt, das Gebäude zu erhalten und Klimakontrollen einzubauen, um Kunstwerke sicher ausstellen zu können. Darüber hinaus musste es an geltende Vorschriften angepasst werden, um es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Schließlich sollten noch die zwei Untergeschosse in Büros für die Judd Foundation umgewandelt werden. All diese Eingriffe sollten das Erscheinungsbild in keiner Weise verändern.
Diese Renovierung ist schon die zweite – die erste führte Judd selbst durch. In dem 1989 veröffentlichten Aufsatz „101 Spring Street“ erklärt er dazu: „Ich meinte, das Gebäude sollte instand gesetzt, aber grundsätzlich nicht verändert werden.“ Judds wichtigster Eingriff bestand in der Entfernung der Trennwände rund um die Treppe im dritten und vierten Obergeschoss. Diese waren nach der Brandkatastrophe in der wenige Blocks entfernten Triangle Shirtwaist Factory im Jahr 1911 eingebaut worden. Die offene Treppe war, wie ARO-Mitinhaber Adam Yarinsky erklärte, für Judds Konzeption des Gebäudes so entscheidend, dass die Judd Foundation zunächst untersuchen ließ, ob Brandsicherheit gewährleistet werden könne, ohne die Treppe einzuschließen, bevor sie sich dazu entschloss, die Restaurierung fortzusetzen. Dem Ingenieurbüro Arup gelang es, die Brandschutzauflagen zu erfüllen. Die durch Hitze aktivierten Rauchklappen und die von einem Notstromgenerator gespeisten Notausgänge wurden schottweise unterteilt, die Holzflächen mit einem Flammschutzmittel imprägniert und strenge Nutzungsregeln eingeführt: Nur 16 Besucher dürfen sich gleichzeitig im Gebäude aufhalten. Judd hatte die Sprinkleranlage in den obersten Geschossen entfernt. Arup baute wieder eine ein, von der aber nur die Sprinklerköpfe sichtbar sind, weil die Steigleitungen durch die hohlen Gusseisensäulen der Fassade geführt sind.
Judd arbeitete mit reinen rechteckigen Formen, er schrieb über die Bedeutung von Proportionen, und er wusste die geometrische Lesbarkeit der 25 x 75 Fuß (7,50 x 22,50 Meter) messenden Bodenplatten zu schätzen. Um zu erklären, wie Judd die Böden als Intervalle eines unsichtbaren Ganzen entwarf, verweist Yarinsky auf eine Skizze, die dieser von den Geschossflächen des Gebäudes anfertigte. Auf ihr sind die Böden als eine Folge separater Rechtecke so über das Blatt verteilt, dass sie an seine berühmten gestapelten Boxen erinnern.
Heute heben der dunkel und alt wirkende Leerraum der Treppe und die darin gehängten Kunstwerke die lichte Weite der oberen Geschosse hervor. Judd veränderte nichts an der  Gleichartigkeit der Geschosse: jedes ein rechteckiges Volumen, in einer Ecke von einer eingefassten Öffnung für den
ursprünglichen Seilaufzug durchbrochen. Zwei rechtwinklig auf­ein­ander zulaufende Fensterbänder bilden einen, wie Judd es nannte, „rechten Winkel aus Glas“. Indem er jedem Geschoss eine eigene Funktion zuwies (Arbeiten, Essen, Schlafen), machte er sie voneinander unabhängig. Jeder dieser Räume ist anders behandelt: In einem betonte Judd die Wandfläche, indem er die Sockelleiste entfernte und das Material des Fußbodens von der Wand zurückzog, in einem anderen steigt dieser an der Wand hoch, um eine „flache, zurückgesetzte Ebene“ zu erschaffen, im dritten präsentiert sich die mit Bodenbelag überzogene Decke als Parallelfläche zum Boden.
Judds Möbelentwürfe gehen auf den Charakter der Geschosse als einheitliche Räume ein und verstärken ihn. Das gilt besonders für den massiven, rechteckigen Esstisch mit Stühlen, deren Rückenlehnen bündig mit der Tischkante abschließen, so dass das Mobiliar wie ein einziges Volumen im Raum erscheint (s. Seite 35). Einige Kunstwerke, etwa Dan Flavins Lichtspiel (das ARO an den Notstromgenerator anschloss und so auf eine zusätzliche Notfallbeleuchtung verzichten konnte), wurden speziell für diese Räume geschaffen. Sie in­spirierten Judd zu den großflächigeren Installationen in den Gebäuden, die er nach 1970 in der texanischen Wüstenstadt Marfa und deren Umgebung erwarb.
Auf die Frage, was er bei der Auseinandersetzung mit Judds Arbeiten gelernt habe, erklärt Yarinsky, dass sich für sein Büro keine Änderungen ergeben hätten: ARO war bereits für sensible Eingriffe in komplexe Umgebungen bekannt. Er habe jedoch, so Yarinsky, Judds „antifetischistischen“ Ansatz, mit möglichst geringen Eingriffen ein Ziel zu erreichen, zu schätzen gelernt.  Er steht in hartem Kontrast zum kostspieligen, bruchlosen Minimalismus der zeitgenössischen Architektur, mit dem Judd so häufig assoziiert wird. Yarinsky erinnert Judds Herangehensweise an Adolf Loos, an dessen Vorstellungen vom Material im Dienst einer einheitlichen Raumkonzeption. Judds Bibliothek lässt keinen Zweifel daran, dass er sich intensiv mit  Loos beschäftigt hat. Es ist paradox, dass die Strategien, die das Architektenteam einsetzte, um Judds Antwort auf die Schlichtheit des 19. Jahrhunderts zu erhalten, am Ende mindestens genauso umfassend und kostspielig ausfielen wie jene der modernen Minimalisten, die Yarinsky anführt.
Das Projekt verwandelt aber nicht nur ein privates ästhetisches Unterfangen in ein öffentliches, es bewahrt zugleich ein Kapitel Architekturgeschichte: Hier ist das einzige, für eine einheitliche Nutzung bestimmte Gebäude aus dem 19. Jahrhundert zu besichtigen, das in SoHo heute noch existiert. Das Bauwerk ist ein wichtiges Beispiel für die „Lichtgewölbe“-Konstruktionen dieser Zeit: Über in den Bürgersteig eingelassene Glaslinsen wird Tageslicht in mehrere Untergeschosse geführt. Diese Konstruktion nutzte ARO, um die Büros der Judd Foundation zu belichten. Darüber hinaus ist 101 Spring Street aber auch ein Zeugnis für die Adaption von Architektur durch Künstler in den sechziger Jahren. Sie mussten sich zunächst das Recht erstreiten, in einem Gewerbegebiet wohnen zu dürfen und in die offenen Geschossflächen Küchen und Bäder einzubauen. Die von ihnen erfundene Form des Wohnens vermarkten Projektentwickler heute gern als „Loft-Style“.
Jeder Restaurierung wohnt etwas Künstliches inne. Das zu vermeiden, ist schwer: In der Judd Foundation findet man abblätternde Farbe und narbige Holzböden (was nicht unbedingt repariert werden musste, blieb unverändert); das Licht fällt durch restauriertes Glas in neuen Isolierfenstern (die glücklicherweise in die originalen Gusseisenprofile passten); beim Anblick des Kanonenofens denkt man in dem perfekt klimatisierten Raum plötzlich daran, wie zugig und kalt es hier einst im Winter gewesen sein muss; und auch die Waschbecken und Toiletten sind so erhalten, wie zu der Zeit, als Judd hier wohnte (allerdings nicht funktionstüchtig, denn die In­stallationen wurden entfernt, um Wasserschäden auszuschließen). Doch dieses leichte Unbehagen ist ein kleiner Preis für die Möglichkeit, Judd aus seinen Lebensumständen zu begreifen, zu erfahren, was „Raum und Zeit“ für ihn bedeuteten.
Aus dem Amerikanischen: Christian Rochow



Fakten
Architekten Architectural Research Office, New York
Adresse 101 Spring Street, New York, NY 10012


aus Bauwelt 20.2014
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