Aufbau-Haus in Berlin
Mehr Platz für die „Kreativwirtschaft“: Barkow Leibinger haben das Aufbau-Haus am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg erweitert. Als Inspirationsquelle für ihren feinsinnigen Lückenschluss nennen sie Bürogebäude von Max und Bruno Taut in der Nachbarschaft – aber auch Fabriken von Albert Kahn in Detroit
Text: Kasiske, Michael, Berlin
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Setzkastenstruktur: Vorgehängte Betonfertigteile zeichnen die Betonkonstruktion des Hauses nach
Foto: Stefan Müller
Setzkastenstruktur: Vorgehängte Betonfertigteile zeichnen die Betonkonstruktion des Hauses nach
Foto: Stefan Müller
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System und Variation: Die beiden Achsen am Elsnerhaus vermitteln zum plastisch stärker gegliederten Nachbarn
Foto: Stefan Müller
System und Variation: Die beiden Achsen am Elsnerhaus vermitteln zum plastisch stärker gegliederten Nachbarn
Foto: Stefan Müller
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Das hölzerne Staffelgeschoss
Foto: Stefan Müller
Das hölzerne Staffelgeschoss
Foto: Stefan Müller
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Räume eines Architekturbüros
Foto: Ina Reinecke/Barkow Leibinger
Räume eines Architekturbüros
Foto: Ina Reinecke/Barkow Leibinger
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Der doppelgeschossige Raum an der Brandwand zum Elsnerhaus ist bei Bedarf in zwei einzelne Geschosse teilbar
Foto: Stefan Müller
Der doppelgeschossige Raum an der Brandwand zum Elsnerhaus ist bei Bedarf in zwei einzelne Geschosse teilbar
Foto: Stefan Müller
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Hoffassade mit Fahrradständern auf der Erdgeschossterrasse und Kletterhilfe für wilden Wein
Foto: Ina Reinecke/Barkow Leibinger
Hoffassade mit Fahrradständern auf der Erdgeschossterrasse und Kletterhilfe für wilden Wein
Foto: Ina Reinecke/Barkow Leibinger
Beim täglichen Weg über den Moritzplatz habe ich die Erweiterung des Aufbau-Hauses zunächst nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Es ist ein „Haus für den zweiten Blick“, wie die Architektin Regine Leibinger feststellt – und als Lückenschließung eine typische Bauaufgabe, spätestens seit vor dreißig Jahren die Internationale Bauausstellung in Berlin den Block als Grundlage für die Raumbildung wieder hat aufleben lassen.
Bei aller Normalität: „Berlin ist so differenziert, dass man immer wieder anders reagieren muss“, sagt Leibinger, die an der hiesigen Technischen Universität studierte. Seit der Bürogründung 1993 mit ihrem Mann Frank Barkow haben die beiden in Berlin erst wenig realisiert. Wobei ihnen mit dem Hochhaus „Tour Total“ am Hauptbahnhof dann gleich ein populäres Wahrzeichen gelang (
Bauwelt 28.2013). Doch anders als in der damals noch unbebauten „Europacity“ am Bahnhof stießen Barkow Leibinger im Stadtteil Kreuzberg auf eine inhaltlich zwar gehaltvolle, planerisch aber weitgehend bestimmte Situation.
Einst Standort der Berliner Warenwelt, wurde der Moritzplatz nach Kriegszerstörung und anschließender Beräumung zum „beschränkten Arbeitsgebiet“ abgewertet, das gemäß Bauordnung nichtstörendem Gewerbe und Büros vorbehalten ist. Die Aufenthaltsqualität des Platzes ist gering, er ist Kreuzungspunkt der stark befahrenen Achsen Oranien- und Prinzenstraße. In dieses, wenn man so will, undefinierte Rauschen stieß 2011 der erste Bauabschnitt des Aufbau-Hauses nach dem Entwurf der Berliner Architekten Clarke und Kuhn wie eine Fanfare – mit seiner wuchtigen Sichtbetonfassade, die nur an wenigen Stellen großzügig geöffnet ist und erstmals der Südwestecke des Platzes wieder eine Kante gab (
Bauwelt 6.2011).
Dieses damals städtebaulich richtige Signal ist nun gedämpft, indem aus dem Solitär ein Haus in der Reihe, aus dem espressivo ein giusto geworden ist, an das Barkow Leibinger ein Moderato-Thema mit Variation angeschlossen haben, vermutlich Chicago Jazz. Das würde historisch zu der rationalen Gewerbearchitektur des frühen 20. Jahrhunderts passen, auf die sich die Architekten berufen. Meinen Einwand, die Kombination von Sichtbeton und Naturstein erinnere doch auch sehr an Westberliner Bürobauten der fünfziger Jahre wie das typologisch verwandte Bayer-Haus am Kurfürstendamm, lässt Leibinger gelten, sie weist aber auf Unterschiede beim Material der Fensterrahmen hin: kein Edelmetall wie dort, sondern eloxiertes Aluminium.
Der Hinweis der Architektin auf das Nichtrepräsentative dient wohl auch zur Abgrenzung von der beschränkten Interpretation der „Europäischen Stadt“ in den neunziger Jahren, die allzu oft in Natursteintapeten vor banalen Inhalten endete. Solch schnöde Flächenmaximierung war dem Bauherrn Matthias Koch fremd. Der Eigentümer des Aufbau-Verlags wünschte vielmehr unterschiedlich nutzbare Innenräume, ohne konzeptionelle Vorgaben an die Architekten.
Der Gestaltfindung des Hauses gingen ausführliche Diskussionen voraus, die beide Seiten bereichert haben, wie Leibinger rückblickend befindet. Das meine ich etwa in der Kubatur wiederzufinden. Die drei Einschnitte – zwei Durchgänge im Erdgeschoss und einer im zweiten Obergeschoss – lösen das Haus aus dem Straßenbild und lassen es als dreidimensionales Gehäuse wirksam werden. Auch die Fassade lebt von der feinsinnigen Differenz der Variationen von Tragstruktur und Füllung. Die Materialien Sichtbeton und gebürsteter Granit für die Brüstungen scheinen Studien im Sinne von „Collage City“ entsprungen zu sein – nämlich dem An-sinnen, aus den Nachbargebäuden, dem Aufbauhaus und dem mit Muschelkalk verkleideten „Elsnerhaus“ von 1914, eine „angemessene Einfügung“ (Leibinger) zu synthetisieren. Auch die drei Abschnitte des Hauses, die auf eine kleinteiligere Vorkriegsbebauung Bezug nehmen, stehen in Relation zur Plastizität der Nachbarn. So sind am Aufbauhaus die Brüstungen bündig in das Betongerüst gesetzt, zum Elsnerhaus hin vergrößern sich die Tiefen.
Die aufmerksam detaillierte, aber im besten Wortsinne unspektakuläre Fassade findet im Innern ihre Entsprechung in unbearbeiteten Sichtbetonwänden, industriell gefertigten Stabgeländern (mit Holzhandläufen) und offener Leitungsführung. Auch die Technik reduziert sich auf Betonkernaktivierung für die Grundleistungen an Wärme und Kälte, für Bedarfsspitzen im Winter sind zusätzlich kleine Heizkörper angebracht. In lärmempfindlichen Seminar- und Lehrräumen haben die Nutzer mechanische Lüftungen installiert, ansonsten wird das Fenster geöffnet.
Insgesamt sollten die Kosten niedrig gehalten werden, um bei der Miete der Zielgruppe „Kreativwirtschaft“ entgegenkommen zu können. Neben der Design Akademie Berlin, die als Mieter zweier Geschosse bereits bei der Planung gesetzt war, sind kleine Agenturen und Büros sowie die Berliner Repräsentanz des Heidelberger
Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma eingezogen.
Der rückwärtigen Fassade wurde, für Berlin eher ungewöhnlich, ebenfalls Beachtung geschenkt. Auf der Terrasse im Erdgeschoss, die über dem niedriger liegenden Lieferhof schwebt, befinden sich die Fahrradstellplätze. Darüber erheben sich Loggien, die sich, nach Südwesten orientiert, zu „grünen Zimmern“ der Büros entwickeln können, zumal sie über kurz oder lang von einer unter anderem aus wildem Wein gebildeten grünen Wand geschützt werden.
Mit der Erweiterung des Aufbau-Hauses ist das Büro Barkow Leibinger endgültig im Berliner Kontext angekommen. Dass hier eine Lücke zu schließen war, mutmaßt Leibinger, hat sie wohl davor bewahrt, auftrumpfen zu wollen. Was der erste Bauabschnitt zweifellos noch machen musste. Diese „Architektur für den zweiten Blick“ hingegen fügt dem Moritzplatz und seiner Umgebung, deren Zukunft mit Prinzessinnengärten, Autovermietungen und unternutzten Gewerbe-gebieten offen ist, einen unaufdringlichen Wohlklang hinzu, den ich nun nach genauem Hinsehen beim täglichen Vorbeiradeln zu würdigen weiß.
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