Ausbildungszentrum
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Als größter Arbeitgeber am Ort sendet die REHAU AG mit ihrem Neubau positive Signale in die strukturschwache Region. weberwürschinger Architekten aus Berlin, die mit dem Unternehmen seit Jahren zusammenarbeiten, orientierten sich am Bestand und an der Situation.
Die Firma REHAU wurde 1948 in der oberfränkischen Kleinstadt gleichen Namens gegründet mit dem Ziel, herkömmliche Werkstoffe durch Polymere zu ersetzen. Diese Geschäftsidee war ein Erfolg – für die Eigentümer (das Unternehmen ist bis heute in Familienbesitz) wie für das eher strukturschwache bayerische Vogtland. Die Entwicklungen der Firma kommen heute in verschiedensten industriellen Zusammenhängen zum Einsatz, vom Automobilbau bis zum Bauwesen; 15.000 Menschen arbeiten für das in 54 Ländern vertretene Unternehmen. Wie aber eine Corporate Architecture für ein solch breit aufgestelltes, eher mit Know-How als mit einem bestimmten Produkt identifizierten Unternehmen entwickeln? Vor dieser Frage standen die Berliner Architekten Michael Weber und Klaus Würschinger – und konnten mit dem Neubau des Ausbildungszentrums am Stammsitz auch gleich ein Anschauungsobjekt realisieren.
„Ziel unserer Strategien und der Entwicklung von Leitfäden ist es, die Werte des Unternehmens mit der Architektur in Einklang zu bringen“, formulieren die Architekten ihr Vorgehen. Nicht um eine vordergründige Analogie soll es für sie bei dem Thema Corporate Architecture gehen, sondern um etwas, für das Büropartner Haye Bakker einen von Steven Holl in die Architekturdebatte eingebrachten Begriff aufgreift: „Anchoring“, das Verankern des Gebäudes – und damit auch des Unternehmens – am Ort. Oder anders gesagt: Die Präsenz der REHAU AG als größter Arbeitgeber in der Region sollte sich auch in ihrer Verantwortung für das Stadtbild widerspiegeln.
Der Bauplatz des Ausbildungszentrums lieferte einige Anknüpfungspunkte. Zuallererst ist das Gebäude der alten Buntweberei zu nennen, ein backsteinerner Industriebau aus den 1880er Jahren, den das Unternehmen bereits vor dreißig Jahren erworben und seitdem als Lager genutzt hat. Wie bereits bei der Anverwandlung einer ehemaligen Porzellanfabrik für ihre Automotive-Abteilung mit weberwürschinger praktiziert (Bauwelt 7.2005), wollte die Firma den stadtbildprägenden Bau erhalten, was, wie sich zeigen sollte, einige Schwierigkeiten mit sich brachte, war dessen Substanz doch völlig marode. Entwurfsbestimmend war des Weiteren die Lage unmittelbar südlich des Saalezuflusses Schwesnitz. Aus der Fortführung des einen und der Anpassung an das andere resultiert das Volumen des Neubaus: Indem der First des Webereigebäudes für die Verlängerung in einer Linie fortgeführt wurde, der Grundriss darunter aber abknickt und dem Bachlauf folgt, steigt die Traufe auf der Nordseite an, bis sie an der Gebäudeecke den First trifft, während sie an der Südseite fast um Geschosshöhe abfällt.
Entwicklung statt Erfindung
Neben der Fortführung des Bestehenden und der Anpassung an lokale Gegebenheiten sieht sich die REHAU AG aber auch der Innovation verpflichtet. Innovation ist dem Bereich der Technik immanent – in der Architektur aber, sofern diese in das Reich der Ideen ragt, spielt sie eine untergeordnete Rolle. Die Architekten behalfen sich, indem sie den gerade in ihrem Metier leicht überdrehenden Motor „Innovation“ auf die verträgliche Drehzahl einer „allmählichen Entwicklung“ herunterschalteten. Diese erfolgt linear, gemäß der horizontalen Schichtung der Nutzungen im Inneren: vom Disziplinierten, Regelgetreuen, was die erhaltenen Fassaden des Altbaus verkörpern, hin zum Freien, Improvisierten, wofür der Erweiterungsbau steht. Material und Perforation der Webereifassaden werden zunächst aufgenommen, dann aber werden die Fenster zunehmend größer, und die Stürze scheinen ihnen davonzueilen, eine kleine Schattenfuge zurücklassend.
Die formale Entwicklung soll die einzelnen Stufen der Ausbildung im Inneren widerspiegeln. Zu Beginn des ersten Lehrjahres betreten die Auszubildenden das Gebäude an seinem westlichen Ende, am Ende ihrer Lehrzeit bekommen sie im großen Saal im Ostgiebel ihren Gesellenbrief überreicht. Sowohl kaufmännische als auch handwerkliche Berufe werden hier gelehrt, und zwar in beiden Gebäudeteilen. Im Erdgeschoss befinden sich die Maschinen und Werkbänke, unter dem Dach die Unterrichtsräume; Umkleide-, Wasch- und Pausenräume wurden im Geschoss dazwischen angeordnet. Jeder Ebene wurde eine Farbe zugewiesen: ein kühlendes Blau im Erdgeschoss, ein wärmendes Rot in der Mitte und ein beruhigendes Grün ganz oben.
Abgesehen von den Farben ist das Ausbildungszentrum von der Kargheit des Industriebaus gekennzeichnet. Die Primärkonstruktion zeigt sich weitgehend unbehandelt; auf abgehängte Decken und Wandbekleidungen wurde verzichtet, Leitungen finden sich sichtbar auf Wänden und Decken geführt. Dass dies nirgends aufdringlich oder ausgestellt wirkt, verdankt sich auch der relativ bescheidenen Dimensionierung der Gebäudetechnik. Auf eine Klimatisierung wurde verzichtet, stattdessen wird Erdwärme genutzt. Trotzdem ist es
an einem heißen Sommertag selbst unter dem Dach überraschend kühl.
Die schattige Pausenterrasse an der Schwesnitz wird dennoch gerne genutzt. Und schon bald dürfen sich die Auszubildenden über noch mehr Erholungsraum freuen. Der in der Sommersonne brütende Parkplatz und die bescheidenen Häuschen, in denen bislang der Firmenfuhrpark verwaltet wurde, sollen einem öffentlichen Park weichen, finanziert von der Regierung Oberfranken, der Stadt und der REHAU AG.
Fakten
Architekten
weberwürschinger Architekten, Berlin
Adresse
Gerberstrasse 20 95111 Rehau
aus
Bauwelt 28.2010
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