Im Süden, jenseits eines großen Freizeitparks, liegen noch Reisfelder. Diese sollen durch mehr als zehn Hochhäuser ersetzt werden. Die Straßen sind extrem breit. Der Abstand zwischen zwei Gebäuden ist größer als hundert Meter. Bei diesem Maßstab gibt es kein urbanes Gefühl. Der Architekt erkennt, dass hier die Stadtstruktur nicht mehr zu retten ist. Wir haben uns deshalb entschieden, ein Wesen mit Eigenleben zu entwerfen. Dabei haben wir versucht, von der Natur zu lernen. Interessant ist, dass es in dem Freizeitpark gegenüber dem Museum einen künstlichen Berg aus Beton gibt, der wiederum die Kopie eines echten Bergs sein soll. Wir wollten einen noch künstlicheren Berg bauen. Vielleicht versteht man so eher die Würde eines echten Bergs.
Bedeutung vermeidenDas Ningbo Museum wurde als Teilstück eines Gebirges entworfen. Ein Gebirge ist fortlaufend, so wie eine organische Stadtstruktur auch ununterbrochen sein soll. Dieses Gebäude
hat eine scharfe Kante, als hätte man mit einem Beil ein Stück vom Gebirge abgeschlagen. Es steht verlassen in der leeren Landschaft und lässt an die nicht existierende Umgebung denken. Die Grundfläche des Gebäudes ist rechteckig, aus der Entzenfernung betrachtet ist das Museum eine Kiste. Wenn man aber näher herantritt, spaltet sich der Baukörper nach oben auf und wird zu einer Felsformation. Das Gebäude erzählt die Geschichte einer monotonen Schachtel, die sich in eine natürliche Erscheinung verwandelt. Der rechteckige Grundriss verhindert überflüssige Bedeutungen, die wesenhafte Materialität ist das Einzige, was dieses Gebäude bedeuten will. Seine Nordseite verschwindet in einem künstlichen Wasserbecken, dessen Ufer mit Schilf bepflanzt ist. Außer der schwierigen städtebaulichen Situation hat man noch ein anderes Problem, wenn man in China ein Museum entwerfen möchte. Das Raumprogramm ändert sich ständig. Am Anfang wurde uns gesagt, dass die Ausstellungsobjekte geheim bleiben müssen, der Architekt dürfe davon nichts erfahren. Nach der Fertigstellung des Rohbaus hatte man die Ausstellung inhaltlich noch immer nicht festgelegt, der Architekt solle nicht an deren Planung beteiligt werden. Unsere Arbeit verwandelte sich mehr und mehr in einen städtebaulichen Entwurf, jeder Ausstellungsraum ist ein unabhängiges Gebäude, dessen Inhalt später von dem Ausstellungsplaner bestimmt wird. Die einzelnen Räume addieren sich wie Gesteine in einem Gebirge. Die öffentliche Erschließung setzt sich aus mehreren Wegen zusammen, sie muss für alle erdenklichen Arten von Ausstellung geeignet sein. Sie fängt im Erdgeschoß an und verzweigt sich nach oben. In dem Labyrinth gibt es sowohl einen Wanderweg als auch Fahrstühle und Rolltreppen.
Die Bautechnik der armen LeuteDas Gebäude ist ein mit Bambusschalungen gegossener Betonskelettbau. Die Fassade ist mit mehr als zwanzig verschiedenen alten Baumaterialien gefüllt. Zwischen 2000 und 2008
haben wir bei einigen Projekten versucht, altes Mauerwerk und Dachziegel wiederzuverwenden und dabei mit verschiedenen Methoden experimentiert. Eine Methode kommt aus dem Umland von Ningbo. Die armen Leute sammeln jede Art von Baumaterial, das sie umsonst bekommen können, und schichten es zu einer Mauer auf. Manchmal kommen bis zu
achtzig verschiedene Materialien zusammen. Diese Art von Mauer wird Ziegelscheibenmauer (Wapan) genannt. Bei dem Bau des Ningbo Museums haben wir diese Technik erstmals in großem Maßstab angewendet, wofür wir anfangs stark kritisiert wurden: Wir würden in dem neuen Stadtteil eine „zurückgebliebene“ Lebensweise darstellen. Unser Argument dagegen war, dass ein Museum vor allem die vergängliche Zeit aufbewahrt. Als bauliches Experiment interessierte uns zudem, wie man die traditionelle Technik mit moderner Betonkonstruktion verbinden kann. Die herkömmliche Ziegelscheibenmauer kann höchstens acht Meter hoch sein, unsere Fassade ist aber 24 Meter hoch. Das zwölf Zentimeter dicke Mauerwerk wird gehalten durch ein weitgehend verdecktes Fachwerk aus dünnen Betonträgern, das vor die Konstruktion gehängt ist. In unregelmäßiger Abfolge durchstoßen Teile der Betonträger das Mauerwerk. Es gab kein Vorbild, Bauherr, Bauleiter und Arbeiter mussten experimentieren. Das Ergebnis ist nicht berechenbar. Wir haben zwar eine Fassadenabwicklung für die Materialmuster gezeichnet, aber kontrollieren konnten wir sie nicht immer. Wenn die Arbeit nicht dem Plan entsprach, gab es Streit darüber, ob man alles noch einmal machen sollte. Wir mussten gelassen bleiben, Kompromisse finden.
Was uns sehr freut: Dass man seit der Eröffnung immer mehr einheimischen Besuchern begegnet, die dieses Gebäude lieben. Die Handwerker sind jetzt stolz auf ihre Arbeit. Sie nennen uns statt wie sonst „Gelehrte“, nun „Meister“. Manche bekommen neue Arbeit, sie sollen bei anderen Projekten die Mauer in der gleichen Technik bauen. Dieses Phänomen bestätigt die Überlegung, dass die chinesische Architekturtradition bei den zahlreichen Museumsbauten und im heutigen Architekturdiskurs nur dann überleben kann, wenn man altes Handwerk, kombiniert mit moderner Technik, weiter verwendet. Man muss das reale Leben wieder entdecken.
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