Bauwelt

Der Superkeil


Neue Haymat


Text: Reeh, Henrik, Kopenhagen


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    Topotek 1

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Braucht die Einwanderungsgesellschaft neue öffentliche Räume – und wenn ja, wer nutzt sie? In Kopenhagen ist ein spektakulärer Stadtraum zwischen multiethnischer Immigration und kosmopolitischer Mittelschichtskultur entstanden: der Superkilen, ein artifizieller Park mit Stadtmobiliar aus 57 Ländern, vom marokkanischen Brunnen bis zur chinesischen Palme.
Auf dem Weg aus dem Zentrum Kopenhagens gen Nordwesten fährt man, nach drei oder vier Kilometern, über eine riesige Gleisanlage. Dort, wo die Stadt eine kurze Pause macht, ist man am äußeren Rand von Nørrebro angelangt, nahe der Mjølnerparken-Siedlung, deren Bewohner zu über neunzig Prozent „einen anderen ethnischen Hintergrund haben als einen dänischen“, wie es so schön formuliert wird. Als Autofahrer bemerkt man sofort, dass die Menschen hier die breite Straße anders überqueren; man fährt vorsichtiger.
Inmitten dieser multiethnischen Wirklichkeit fällt ein sonderbarer Laternenpfahl auf, der am Eingang eines Fahrradwegs steht und ganz oben einen Donut trägt. Mit dem Slogan „Delightfully Different Donuts“ wirbt das Schild um Kunden, doch weit und breit ist kein Donut-Laden in Sicht – nur geklinkerte dänische Mietshäuser und einige Autogeschäfte. Es sieht aus, als habe sich das „große Schild“ (ein Thema in Learning from Las Vegas von Robert Venturi und Denise Scott Brown) von seinem präzisen Kontext, der US-amerikanischen Auto-und-Casino-Kultur, losgemacht. Aber warum ist es, vierzig Jahre später, ausgerechnet in der Fahrradstadt Kopenhagen gelandet?
Seit 2004 genießt das äußere Nørrebro die Aufmerksamkeit der Stadtverwaltung: Es wird viel gebaut. Die oberirdischen Bauarbeiten für eine neue Metrolinie, die diese Gegend besser ans öffentliche Verkehrsnetz anbinden soll, sind fast beendet. Einige Abschnitte des „Grünen Fahrradwegs“, der quer durch Kopenhagen führt, sind bereits landschaftsarchitektonisch gestaltet und infrastrukturell verbessert worden: Dazu gehören der Nørrebro-Park (2007, Steen Høyer) und die Fahrrad- und Fußgängerbrücke „Åbuen“ (2008, Dissing & Weitling) über eine stark befahrene Einfallstraße. Das Projekt „Superkilen“ (zu deutsch: Superkeil) setzt die Aufwertung der Fahrradstrecke fort: Diese verläuft in einer offenen Schneise von 750 Meter Länge in dem dicht bebauten Viertel, von der lebendigen, überwiegend autofreien Geschäftsstraße Nørrebrogade im Süden bis zur äußeren Grenze des Viertels nach Tagensvej, wo jener Donut steht.
Superkilen, vom dänischen Architekturbüro BIG und der Künstlergruppe Superflex gemeinsam mit den Berliner Landschaftsarchitekten Topotek 1 entworfen, verwandelt die vormals ruhige Fahrradstrecke mit ihren angrenzenden Flächen in einen ikonischen Stadtraum. Der Fahrradweg, der bisher eine monofunktionale Rückseite des Viertels war, entsteht neu als bunte Stadtlandschaft mit sozialen Funktionen und architektonischen Elementen. Auf die Auswahl der Elemente hatten auch die Anwohner – sie kommen aus 57 Nationen –  Einfluss. Aus ebensovielen Ländern gibt es „Objekte“, die zu Beginn der Planung auf Workshops und per e-Mail vorgeschlagen werden konnten. Eine Menge sehr verschiedener Bänke und Mülleimer, Laternenpfähle und Bäume, inklusive Palmen aus China, füllen den Keil. Diese Objekte, Stadtmöbel im weitesten Sinne, sollen eine multiethnische Stimmung widerspiegeln und erzeugen. Der Keil selbst ist in drei Zonen untergeteilt, die rote, die schwarze und die grüne. Die Architekten behaupten, dass die Farben und Materialien neutral sind und erst später einen Sinn bekommen. Die Neutralität ist jedoch begrenzt; die Kontraste machen sich bemerkbar – sowohl innerhalb des Keils als auch zwischen diesem spektakulären Stadtraum und dem Viertel. Dies ist ein Projekt, das auffallen will.
Objektmontage auf farbigem Grund
Superkilen ist seit 2007 in Planung und wird am 1. Juli eröffnet – „wenn alles gut geht!“, wie auf der Webseite des Projekts zu lesen ist. Vielleicht ist es noch zu früh, das gesamte Gelände zu beurteilen. Vieles ist unfertig, und der Winter arbeitet gegen die Renderings der Architekten mit ihren intensiv gefärbten Böden und pittoresken Stadtmöbeln. In der Bildwelt des Projekts schlendern sorglose Verbraucher durch die urban stilisierten Umgebungen. Die vormaligen Rasenflächen des sozialdemokratischen Arbeiterviertels sind durch ultra-schwarzen Asphalt mit weißen Leuchtstreifen ersetzt, die unter dem Sommerhimmel glühen.
Anfang Februar traut man seinen Augen kaum und möchte trotzdem überprüfen, ob die Wirklichkeit auf der Höhe der Bilder ist. 2009 hatte ich die Gegend schon einmal besucht, um dem Verlauf des Grünen Fahrradwegs zu folgen. Damals fiel auf, dass die große Wohnsiedlung Mjølnerparken mit ihren 2500 Bewohnern ethnischer Herkunft keinerlei Verbindung zum Fahrradweg hatte, obwohl sie direkt an ihn grenzt. Man konnte vorbeiradeln, ohne überhaupt auf den Gedanken zu kommen, dass jene Mietshäuser das „Ghetto“ sein sollen, von dem in der Lokalpresse immer wieder zu lesen ist. 2012 hat sich die Situation kaum verändert. Der Maschendrahtzaun eines Fußballplatzes ist mit Schildern ausgestattet, die den Namen „Mjølnerparken“ offen bestätigen. Ein zweiter Asphaltpfad führt in die begrünten Höfe der Siedlung.
Der Asphalt in der grünen Zone ist noch nicht grün gestrichen, doch die Veränderungen sind auffällig. Schon früher führte der Fahrradweg ein wenig auf und ab, jetzt hat die Strecke ihre eigenen kleinen Hügel bekommen. Einige rahmen einen Multi-Spielplatz mit Skateboardrampe. Anderswo stehen bunt gestreifte Bänke aus Beton oder Holz. Es gibt Gerüste mit Ringen und eine Schaukel so groß wie die im Berliner Mauerpark.
In der schwarzen Zone überblendet die neue Wirklichkeit alles, was vorher da war: Ein Asphalthügel mit einem riesigen tag der „GLBcrew“ markiert den Anfang eines Platzes. Dort stehen in schnurgerader Linie drei gemauerte Grills und 25 Terrazzo-Schachtische, deren Hocker Skulpturen von Brancusi ähneln. Nebenan befindet sich ein sternförmiger Brunnen mit orientalischen Fliesen, im Hintergrund ein meterhohes Kletterobjekt, das wie eine Skulptur daherkommt, aber lediglich eine typische japanische Tintenfisch-Spielplatz-Rutsche ist. Palmen in schützenden Plastiktüten (es ist Winter in Dänemark) stehen neben Zederbäumen. Eine hohe Stange ist gerade mit zwölf gelben Vogelhäuschen bestückt worden. Über dem Platz hängt eine weitere Ikone, ein grüner Neon-Neumond.
Der Überfluss von heterogenem Stadtmobiliar setzt sich in der roten Zone fort. Allerlei Sportgeräte kämpfen mit Doppelschaukeln und verschiedensten Bänken um die Aufmerksamkeit der Passanten. Wegen der Neon-Schilder aus Russland und China heißt diese Gegend bereits „Der Rote Platz“. „Glatt bei Nässe“, warnt das Schild auf dem Fahrradweg. Die Farbe lässt den Platz zur Rutschbahn werden; der Belag muss zweifellos noch einmal neu gemacht werden. Die Farbe ist durch Schnee und Salz verblasst; es fällt schwer, den Platz so zu fotografieren, dass er rot erscheint. Im Prinzip ist alles ganz neu, aber der Zahn der Zeit nagt bereits an der digitalen Farbenästhetik.
Um diesen Stadtraum besser zu verstehen, muss man auch die Aktivitäten in den angrenzenden Hallen kennen. Ein Hauptelement der Stadterneuerung ist die Modernisierung der „Nørrebrohallen“, mit einem Restaurant und Spielfeldern für Fußball, Badminton und Squash, die im Dezember 2011 eingeweiht wurden. In dem ehemaligen Straßenbahndepot fanden in den siebziger Jahren politische Massenversammlungen statt, später spielten hunderte von Rentnern hier Bingo – bis heute kann ein Saal dafür gemietet werden. Bei meinem Besuch am Samstag treiben überwiegend Anwohner nordeuropäischer Herkunft hier Sport. Einige Kinder "ethnischer Herkunft" spielen zwar Fußball, bevölkern aber sonst einen Spielplatz in der großen Halle. In den Schaukeln auf dem Roten Platz, die aus dem Irak stammen sollen, sitzen Kinder und Eltern der dänischen Mittelschicht. Die Idee der „multiethnischen Kulturen“ spielte bei der Auswahl der Objekte offensichtlich eine wichtigere Rolle als bei den Menschen, die ihn nutzen.
Stadtmobiliar im Zeichen der Heterogenität
Superkilen ist Alltagsstadtraum und urbane Szenographie zugleich. Obwohl viele Elemente noch gar nicht installiert worden sind, ist die Dichte der Objekte auffallend. Die kontrastreiche Verwendung von Stadtmobiliar und Bäumen aus vielen Ländern und Kulturen unterscheidet diese Montage etwa von der Piazza d’Italia in New Orleans (1976–79) – einem Hauptwerk der postmodernen Stadtraumgestaltung von Charles Moor, mit eindeutig italienischen Hinweisen. Superkilen hebt keine bestimmte Herkunft hervor. Die Objekte sind nicht nur dekorativ, sondern haben praktische Funktionen für das Spiel und den Aufenthalt in der Kopenhagener Wirklichkeit. Man fragt sich allerdings, ob deren Auswahl tatsächlich von den spezifischen nationalen Herkünften der Bewohner bestimmt worden ist. Ganz ohne Zweifel handelt es sich um eine hochgradig kuratierte Ansammlung von Zeichen und Dingen, die die Architekten und Künstler fasziniert haben müssen.
Für die Bürgerbeteiligung, die Gestaltung und die Realisierung des Stadtraums wurde viel Geld ausgegeben. Etwas überrascht von der Masse der Graffiti, die das eigens angefertigte Wandbild des chilenischen Ex-Präsidenten Allende bereits komplett bedecken, fragt man sich, ob auch ein ausreichendes Budget für die Instandhaltung vorgesehen ist. Die Designer scheinen sich wenig Gedanken über Graffiti gemacht zu haben. Ob am Bildschirm Entworfenes Graffiti gar fördert?
Durch die Auswahl der Elemente brechen die Architekten mit der Tradition des standardisierten Stadtmobiliars, die bis auf die Haussmann’sche Gestaltung von Paris um 1850 zurückgeht. In dieser Tradition sind eindeutige Standards für Laternenpfähle, Bänke, Abfallbehälter, Gitter, Deckel, Poller, Schilder und andere Elemente festgelegt, um deren Pflege zu erleichtern. In der Kopenhagener Collage dagegen ist die Heterogenität der Dinge wichtiger. Einige sind Standardobjekte im Land ihrer Herkunft, aber Raritäten in Dänemark. Andere mussten sorgfältig kopiert werden, weil sie nicht als Serienprodukt erhältlich waren. Jedes Objekt bekommt eine Bronzeplatte, die im Boden verankert wird und über Charakter und Herkunft des Gegenstandes informiert. So werden Dinge und Pflanzen zu Ausstellungsgegenständen, ja fast wie Kunstwerke präsentiert.
Vom Arbeiterviertel zum multiethnischen Quartier
Die „Mimersgade-Gegend“, wie das Viertel nach der zentralen, seit kurzem nicht mehr mit dem Auto befahrbaren Straße auch heißt, hat sich innerhalb der letzten Generation grundlegend verändert. Vor 35 Jahren bin ich, weg von den grünen Vorstädten, in dieses Arbeiter- und Industrieviertel aus dem frühen 20. Jahrhundert gezogen; ich war damals der einzige Student im Haus. 1989 zog ich wieder fort – da war die Schwarzbrotfabrik im Hinterhof, die den sanften Duft von Malz verbreitete, bereits einem gemeinnützigen Wohnungsbau gewichen, in dem nicht nur dänische Mieter wohnten. Während des Ramadans sah man, wie nachts in hell beleuchteten Zimmern gefeiert wurde, hinter Verbundfenstern und vorgefertigten Betonelementen mit aufgeklebten Klinkern. Dieses Leben war ganz anders als die traditionelle Arbeiterkultur, die in lokalen Kneipen noch präsent war – zumindest aus meinem Küchenfenster gesehen. Besonders nach 2000 ist die Entwicklung der Stadträume in Kopenhagen schnell verlaufen. Ein wirtschaftlicher Wendepunkt war Mitte der neunziger Jahre, als junge Akademikerfamilien nach der Studienzeit in Kopenhagen blieben statt in die Vorstädte zu ziehen. Seither sind auch viele wohlhabende Senioren („das graue Gold“) in die einst so arme Hauptstadtkommune gezogen.
Diese Konjunktur der Innenstädte war die Grundlage für eine neue Politik der Stadträume. Lange hatte der dänische Architekt Jan Gehl, bekannt durch sein Buch „Leben zwischen Häusern“ (1971, deutsch 2012), empfohlen, Stadträume so zu gestalten, dass Menschen Lust haben, zu Fuß zu gehen und Zeit dort zu verbringen. Von Gehl inspiriert, und mit Hilfe des französischen Stadtplaners Jean-Pierre Charbonneau, der erfolgreich Stadträume in Lyon und Saint-Etienne entwickelt hatte, begann die Stadt Kopenhagen 2004, ein Aktionsprogramm auszuarbeiten, den „Copenhagen Urban Space Action Plan“. Im selben Jahr gründeten die Stiftung Realdania und und die Stadt Kopenhagen eine Partnerschaft für die Mimersgade-Gegend. Superkilen und die Nørrebrohallen wurden bald als Hauptprojekte definiert. Von den 12 bis 13 Millionen Euro Budget ist die Hälfte dem Projekt Superkilen gewidmet.
Unterschiedliche Realitätsperspektiven
Superkilen ist bunt und seine Objekte heterogen. Sind sie aber auch dazu geeignet, einen Austausch zwischen den verschiedenen Anwohnermilieus zu unterstützen? Von Anfang an gab es die Idee, einen großzügigen und spektakulären Stadtraum in einem multiethnischen Viertel zu gestalten. Ohne Nostalgie sollte er die kulturelle Mannigfaltigkeit anerkennen, besonders die der Immigranten. Diese machen zwar einen großen Teil der Bevölkerung aus, haben aber nicht den entsprechenden Anteil am kulturellen und urbanen Leben der Stadt. Gleichzeitig sollte Superkilen soziokulturelle Prozesse anstoßen, in denen auch gut situierte Bevölkerungsgruppen eine Rolle spielen.
Mit dem Motto „Drei Farben, 57 Länder und ein Park“ wird eine Allianz zwischen diesen unterschiedlichen Realitätsperspektiven vorgeschlagen. Die Immigranten liefern die Referenzen und die Legitimität der Objekte, aus denen die Stadtraumcollage komponiert wurde. Es steht zu hoffen, dass diese multikulturelle Bevölkerung mit den verschiedenen Bänken, Laternenpfählen und Gullideckeln aus der ganzen Welt auch umgehen kann. Andererseits bedeutet das allgegenwärtige Styling, dass Superkilen auch für eine zweite multikulturelle Bevölkerung attraktiv ist: die der international orientierten Mittelschichten. Aufgrund ihrer Ausbildung und der kulturellen Globalisierung sind diese „kreativen“ Gruppen ein wichtiges Publikum, das sowohl mit den Objekten der Stadtlandschaft als auch mit deren Zeichen und Bedeutungen etwas anzufangen weiß.
Die Szenographie des Superkilen ist daher letztendlich ein Kompromiss zwischen einer multiethnischen und einer kosmopolitischen Perspektive. Der Widerspruch bleibt: Die Rhetorik des Konzeptes betont die Multi-Ethnizität der Objekte. Aber bereits die Renderings, und bislang auch der Stadtraum, sind mit Menschen bevölkert, die ganz sicher nicht in der Mjølnerparken-Siedlung wohnen. Werden auch die Bewohner des vermeintlichen Ghettos den Platz nutzen und sich mit der urbanen Mittelschicht mischen?
Im Sommer wird man beobachten können, wie Superkilen angenommen wird. Wahrscheinlich wird das urbane Leben radikal die Copy-and-Paste-Welt übersteigen, in der die Designer der Photoshop-Ära mitunter in fataler Distanz zur sozialen und kulturellen Komplexität bleiben.



Fakten
Architekten BIG, Kopenhagen; Topotek 1, Berlin; Superflex, Kopenhagen
Adresse Mimersgade, 2200 Kopenhagen, København N, Dänemark


aus Bauwelt 12.2012
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