Bauwelt

Bau Eins in Basel


Basel hat ein neues Wahrzeichen: Der Bau Eins von Roche ist das höchste Haus der Schweiz. Doch niemand frohlockt. Was ist geschehen? Eine Rekonstruktion der Ereignisse


Text: Herzog, Andres, Zürich


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    Der Turm führt in Basel einen völlig neuen Maßstab ein: der Bau Eins auf dem Roche-Areal am Rhein.
    Foto: Ruedi Walti

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    Der Turm führt in Basel einen völlig neuen Maßstab ein: der Bau Eins auf dem Roche-Areal am Rhein.

    Foto: Ruedi Walti

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    Die gebänderte Fassade betont die Horizontale, ...
    Foto: Roche

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    Die gebänderte Fassade betont die Horizontale, ...

    Foto: Roche

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    ... unten fließt der Rhein.
    Foto: Roche

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    ... unten fließt der Rhein.

    Foto: Roche

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    Bis 2022 soll das Areal zu einem Cluster mit Hochhäusern werden, das eine davon mit 205 Metern nochmals deutlich höher als der Bau Eins.
    Foto: Roche

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    Bis 2022 soll das Areal zu einem Cluster mit Hochhäusern werden, das eine davon mit 205 Metern nochmals deutlich höher als der Bau Eins.

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    Die hellen Großraumbüros sind mit perforierten Stellwänden zoniert.
    Foto: Roche

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    Die hellen Großraumbüros sind mit perforierten Stellwänden zoniert.

    Foto: Roche

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    Auf jedem zweiten Geschoss können die Mitarbeiter auf der Terrasse Höhenluft schnuppern. Foto: Roche

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    Auf jedem zweiten Geschoss können die Mitarbeiter auf der Terrasse Höhenluft schnuppern.

    Foto: Roche

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    In der Cafeteria im 38. Stock spielgelt sich die grandiose Aussicht an den Wänden
    Foto: Ruedi Walti, Roche

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    In der Cafeteria im 38. Stock spielgelt sich die grandiose Aussicht an den Wänden

    Foto: Ruedi Walti, Roche

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    Die bis zu dreigeschossigen Kommunikationszonen durchbrechen luftig die Vertikale.
    Foto: Ruedi Walti, Roche

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    Die bis zu dreigeschossigen Kommunikationszonen durchbrechen luftig die Vertikale.

    Foto: Ruedi Walti, Roche

Es handelt sich um die gewalttätigste und respektloseste Architektur, die bis jetzt in der Schweiz gebaut wurde.“ Mit diesem Satz wetterte Carl Fingerhuth 2013 in der „Neuen Zürcher Zeitung“ gegen den Roche-Turm in Basel und sorgte damit für hörbares Raunen im Blätterwald. Wenn der ehemalige Kantonsbaumeister mit solchen Worten über das neue Wahrzeichen der Stadt herzieht, ist etwas im Argen. Dabei hatte alles doch so gut angefangen.
Als Roche 2006 erstmals Herzog & de Meurons Pläne für das Bürohochhaus vorstellte, herrschte Freude. Ihr Entwurf war nichts weniger als eine Tollkühnheit. Spiralförmig schwang sich der Turm in die Höhe und erinnerte an die Doppelhelix des menschlichen Gens. 8000 Fensterformate umhüllten die 160 Meter projektierte Waghalsigkeit. Ein Zeichen für Fortschritt. Für Aufbruch. Für Eleganz. Das Publikum war begeistert, alles lief nach Plan. Andreas Albrecht, der damalige Präsident der Bau- und Raumplanungskommission, sprach von „hochqualitativer Architektur“, einer „spannenden Form“ und schwärmte vom „Spiel mit der Aerodynamik“. Eindrücklich, avantgardistisch, ja genial, meinten einige gar.
Die Roche-Führung wusste: Architektur gehört zum Geschäft. Das haben Firmen weltweit begriffen, auch in Basel. Mit Stahl und Beton verleiht man in einer Welt aus Bits und Tweets der eigenen Ausstrahlung Gewicht. Novartis, der zweite Pharmariese in der Stadt, der mit Roche um Patienten und Expats konkurriert, hatte es mit seinem Campus vorgemacht, den vielzitierte Architekten mit ihren Kreationen schmückten. Roche wurde nervös. Ab den 1930er Jahren hatten die Architekten Otto R. Salvisberg und Roland Rohn die Baukultur der Firma mit reduzierten, sorgfältigen Entwürfen geprägt. Doch im neuen Zeitalter musste ein Gebäude nicht nur Dauerhaftigkeit ausstrahlen, sondern auch schnelle Aufmerksamkeit garantieren. Darum ein Turm. Und zwar nicht nur der höchste, sondern der spektakulärste im ganzen Land.
Doch dann rüttelte die Finanzkrise die globale Wirtschaft durch, und plötzlich zählte der harte Franken mehr als luftige Visionen. Mit der Abzockerschelte änderten sich zudem die Vorzeichen: Die Hochhaus-Pläne drohten als überhebliche Geste, als Hybris des obersten Prozentes verstanden zu werden. 2008 begrub die Roche-Spitze hastig das tollkühne Projekt und schickte die Architekten zurück an den Zeichentisch. Ein Jahr später präsentierten diese den neuen Entwurf. Dieser war zwar 18 Meter höher, sonst aber vor allem eines: bescheidener. Die geschwungenen Linien verwandelten sich in gerade Kanten wie in einer Exceltabelle.
Wie es zu der Form kam, hat die Öffentlichkeit nie erfahren. Es gab keinen Architekturwettbewerb, wie dies bei den meisten Hochhäusern in der Schweiz der Fall ist. Der Auftrag ging direkt an Herzog & de Meuron. Laut Roche hat das Büro 80 Volumenstudien erstellt, die aber nie publiziert wurden. Die Architektur wurde quasi als Notwendigkeit vorgestellt. Die Höhe ergab sich aus der Fläche, die Roche für die 2000 Arbeitsplätze benötigt, welche die Firma im Turm zusammenzieht. Grundlage für die abgetreppte Form ist laut den Architekten das „bebaubare Lichtraumprofil“. Die wenigen Reaktionen klangen nach Ernüchterung. Die „Basler Zeitung“ sprach zurückhaltend von einer „neuen Sachlichkeit“, „begeistert“ zeigte sich gewissenhaft nur noch Konzernchef Severin Schwan.

Fehlende Debatte

Ob geschwungen oder abgetreppt: Carl Fingerhuth hat mit dem Turm ein generelles Problem. Das Roche-Areal liegt am Rhein, nur einen Steinwurf von der Kleinbasler Altstadt entfernt neben dem Tinguely Museum. „Die Stellung eines solchen Akzents so nah an der Altstadt finde ich grundsätzlich falsch“, legte Fingerhuth in einem Interview mit „Schweiz am Sonntag“ 2014 nach. „Er schadet dem Stadtbild.“ Basel verliere damit seine einmalige Identität mit der Pfalz und der Altstadt direkt am Rheinufer. Mit dem Roche-Projekt werde das Stadtbild globalisiert. „Der Stapel sagt überhaupt nichts über Roche aus.“
Das Frappante dabei: Herzog & de Meuron selber zeigen sich mitunter sehr empfindlich, was das historische Stadtbild angeht. Als sie beim Wettbewerb für den Ausbau des Uni-Spitals Basels auf dem zweiten Platz landeten, wehrten sie sich vehement gegen das Siegerprojekt von Giuliani & Hönger Architekten, die einen 60-Meter-Turm vorschlugen. Jacques Herzog bezeichnete die Turmlösung als „völlig unverständlich“. Natürlich würden sie den Entscheid akzeptieren, gab das Büro per Medienmitteilung bekannt. Ihnen gehe es um eine Diskussion, so Pierre de Meuron, „ein normaler und grundsätzlich konstruktiver Vorgang“.
Doch eine solche blieb beim Roche-Turm weitgehend aus. Kaum ein Architekt wagte, die Roche-Pläne öffentlich zu kritisieren. Schließlich gehört die Firma zu den wichtigsten Bauherren in der Stadt. Einer der wenigen war der Architekt Ingemar Vollenweider, der in der Zeitschrift „Hochparterre“ 2010 von einem „formal rückwärtsgewandten Turm“ sprach, „der Eingliederung vortäuscht, aber singulär bleiben wird“.
Nur drei Parlamentarier stimmten im Großen Rat gegen den Turm, im Sommer 2010 wies die Regierung alle 19 Einsprüche gegen den Bebauungsplan ab. Fast zeitgleich präsentierte die Stadt ein Hochhauskonzept mit ausgewiesenen Arealen, das den Roche-Turm im Nachhinein legitimierte. „Roche darf sich diese Art der Präsenz leisten“, nickte die Bau- und Raumplanungskommission in Ehrfurcht vor dem Pharmariesen. Auch die Stadtbildkommission legte kein Veto ein, obschon die Meinungen laut Insidern auseinandergingen. Im Gleichschritt marschierte Basel Richtung neues Wahrzeichen. Der Spielraum für eine städtebauliche Diskussion sei von Beginn weg sehr klein gewesen, weil die politische Unterstützung dermaßen ausgeprägt gewesen sei, zitiert die „Tages-Woche“ Fritz Schuhmacher, den damaligen Kantonsbaumeister.
Die Debatte blieb aus, selbst als der Rohbau stand. An der Podiumsdiskussion, zu der das Schweizerische Architekturmuseum Anfang 2015 einlud, wollte weder ein Vertreter von Roche noch von Herzog & de Meuron teilnehmen. Erst kurz vor der Eröffnung meldeten sich kritische Stimmen zu Wort. Voller Zorn schrieb Michael Bahnerth in der „Basler Zeitung“ an gegen diesen „Turm ohne Charakter, dessen Größe nur die Höhe ist“. Und wurde am Schluss melancholisch: „Es ist, als ob die Roche der Stadt den Himmel gestohlen hat.“ Doch die Empörung kam zu spät. Längst war das Projekt in Beton gegossen.

Unantastbare Pharmariesen

Dabei hätte es dringend einer öffentlichen Auseinandersetzung bedurft. Der Turm ist fast von jeder Stelle in Basel zu sehen. Wer so brachial ins Stadtbild eingreift, muss sich Kritik gefallen lassen. Doch diese Haltung ist typisch für Basel: Die beiden Pharmariesen Roche und Novartis sind unantastbar. Zu groß ist ihre wirtschaftliche Bedeutung. Auch als Novartis für seinen Campus eine Straße privatisierte, gab es keinen Aufschrei. Nun tut Roche dasselbe mit dem Himmel. Dabei ist der Bau Eins erst der Anfang. Bereits 2014, lange bevor das Hochhaus eingeweiht wurde, verkündete die Firma ihre Pläne für weitere Türme, einer davon ist mit 205 Metern nochmals deutlich höher als der erste. Seine Erscheinung gleicht exakt der des ersten Turms: Eine skalierte Kopie.
Abermals blieb Kritik aus. Die Politiker jubelten ob der Prognose, dass Roche kräftig in den Standort investiere, insgesamt dreieinhalb Milliarden Franken. Sie lobten die Hochhausstrategie, denn sie spare Boden und bewahre so die Landschaft vor den Betonmischern. Doch sie wussten auch: Wer so hoch baut, der spielt seine Macht aus. Martin Steinmann, Präsident der Stadtbildkommission, gab 2014 gegenüber der „Basler Zeitung“ offen zu, dass es bei diesen Investitionen um wirtschaftliche, politische und soziale Fragen gehe. Und zwar von einer Wichtigkeit, bei der das Stadtbild weit hinten anstehen müsse. „Ob das Projekt jemandem gefällt oder nicht, ist in diesem Zusammenhang schlicht nicht relevant“, so Steinmann.
Mit den Ausbauplänen sind die Befürchtungen des grünen Großrates Thomas Grossenbacher eingetroffen, der schon 2010 mahnte, der Roche-Turm dürfe „kein Präzedenzfall werden für ähnliche Mammutbauten in Basel“. Dabei ist der Wolkenkratzer am Rhein schweizweit relevant. Er könnte in anderen Gemeinden Tür und Tor öffnen für Bauprojekte, die den städtebaulichen Maßstab ähnlich radikal sprengen. Warum sollten Nestlé oder die UBS ihre wirtschaftspolitische Macht nicht ebenso wuchtig im Stadtbild darstellen? Was hält andere Architekten davon ab, wenn das weltberühmte Büro aus Basel es vormacht? Welche Argumente bleiben da einer Stadtbildkommission überhaupt noch?
„Wir leben in einer Zeit, in der alle Traditionen und Regeln zerstört worden sind“, sagte Jacques Herzog vor ein paar Jahre in einem Interview. „Deshalb muss sich die Architektur bei jedem einzelnen Projekt die Regeln wieder selber geben.“ Beim Roche-Turm lautet eine davon: Höher als die anderen. Die Pharmafirmen stehen über der Stadt, über allem. Doch Roche weiß: Die Höhe ist ein heikles Thema. Mit keinem Wort erwähnte der Pharmakonzern bei der Eröffnung im Herbst vergangenen Jahres den Schweizer Rekord. Konzernchef Severin Schwan sprach geflissentlich von einer „evolutionären Entwicklung“ am Standort Basel und verwies auf die Tradition seit Otto Rudolf Salvisberg. „Ein Höhenrekord ist weder für Roche noch für uns Architekten ein Thema“, erklärte Jacques Herzog. Natürlich sei dieser Maßstab neu für Basel und die Schweiz. „Aber das hat nichts mit Macht zu tun“, meinte Herzog. Und fügte an: „Wir leben nicht mehr im 20. Jahrhundert.“

Der Büroberg

Der Bau Eins ist ein Riese, jedenfalls für Schweizer Verhältnisse. 178 Meter ragt er am Rheinknie hinauf, 111 Meter höher als das Basler Münster, 73 Meter himmelsnaher als der Messeturm, 52 Meter länger als der PrimeTower in Zürich, das bisher höchste Haus im Land. Doch die Architektur will das Gegenteil. Mit dem abgetreppten Volumen versuchen Herzog & de Meuron das Roche-Massiv mit der Stadt zu versöhnen. Auch die weißen Brüstungsbänder führen die Bautradition fort, die zurückgeht auf Otto Rudolf Salvisberg und Roland Rohn. Doch damit negiert sich das neue Wahrzeichen ein Stück weit selbst: Es ist ein Turm, der nicht hoch sein will. Ein Hochhaus nicht als vertikale Spitze, sondern als horizontale Stapelung von Geschossen.

Im Inneren überrascht der Turm mit Großzügigkeit. Zwei- und dreigeschossige Aufenthaltsbereiche durchbrechen die Stapelung auf fast jedem Stockwerk, was die Zusammenarbeit erleichtert. Und dank der Terrassen auf jedem zweiten Geschoss ist hier niemand im Elfenbeinturm gefangen. Roche baut hoch – und wertig. Perforierte Trennwände gliedern die hellen Großraumbüros. Im Flur liegt Eichenparkett, in der Lobby Terrazzo. Der Höhepunkt ist die Cafeteria im 38. Stock, welche die Aussicht wie im Spiegelkabinett allseits reflektiert. Zugänglich ist sie nur für Mitarbeiter. Interessierte können sich aber für Rundgänge durch den Bau und die Firmengeschichte anmelden.



Fakten
Architekten Herzog & de Meuron, Basel
Adresse Grenzacherstrasse 122,4058 Basel,Schweiz


aus Bauwelt 11.2016
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