Firmenzentrale AachenMünchener Versicherungen
Kommunikation?
Text: Kegler, Karl R.
Die Architekten Klaus Kada und Gerhard Wittfeld fügten in der Innenstadt von Aachen ihre Bürobauten für die AachenMünchener Versicherung mit einem „Boulevard“ zusammen. Dazu entwickelten sie eine öffentliche Wegeverbindung mit großer Freitreppe durch das Areal, die nur zum Teil den Effekt eines neuen lebendigen Stadtensembles erfüllt.
Die Aufgabe bestand darin, dass zwei bisher eigenständige Firmenteile der AachenMünchener Versicherung in ihrem neuen Gebäudekomplex in der Aachener Innenstadt nicht nur räumlich, sondern auch hinsichtlich Teamwork und Organisation zueinander finden sollten. Die Architekten Kada und Wittfeld lösten diese Aufgabe durch die Verbindung von vier Bauteilen über eine weitläufige „Kommunikationsebene“, auf der sich alle Mitarbeiter begegnen müssen.
Auch einem ortsfremden Besucher ist auf dieser Ebene immer klar, wo er sich gerade im Gebäudekomplex befindet; dazu reicht ein Blick aus dem Fenster. Er eröffnet aus immer wechselnder Perspektive den Ausblick auf ein neues architektonisches Gefüge, das gewissermaßen eine Stadt in der Stadt darstellt und dabei leicht vergessen lässt, dass man sich in der Aachener Innenstadt befindet. Die Ebene verbindet ein Bestandsgebäude – eine zehngeschossige Büroscheibe aus den siebziger Jahren – mit drei deutlich niedrigeren Neubauten, die trotz ihrer unterschiedlichen Volumen und Formen als homogenes Ensemble wahrgenommen werden. „Eine interne Wegweisung oder Ausschilderung ist weitgehend überflüssig“, erläutert Dieter Schumacher, Verwaltungsleiter der Versicherung, die Vorteile der geschosshoch verglasten Ebene, die auch Besucher der Versicherung durchqueren müssen, um in die richtige Abteilung zu gelangen.
Entscheidung für die Innenstadt
Die großzügige Ausstattung, aber auch die intensive Nutzung einer internen Kommunikationszone waren von Beginn an Leitlinien der Planung. Nach Prüfung der Entwicklungsmöglichkeiten an den beiden Standorten der zwei bisher eigenständigen Firmenteile, von denen einer in der Innenstadt und einer in der Peripherie lag, erwiesen sich die im Zentrum als aussichtsreicher. Vor sechs Jahren führte die Versicherung einen beschränkten städtebaulichen Wettbewerb durch, den das Büro kadawittfeld, das seinerzeit nur wenige Meter von der zukünftigen Baustelle seinen Sitz hatte, für sich entscheiden konnte. Wesentliches Merkmal des siegreichen Wettbewerbsbeitrags war schon damals die Verknüpfung der neu zu errichtenden Baukörper über den beschriebenen internen „Boulevard“.
Auf diesem Erschließungs- und Kommunikationsgeschoss sind auch alle gemeinsam genutzten Funktionen des im September letzten Jahres eingeweihten Verwaltungskomplexes untergebracht – Konferenz- und Sitzungsräume, Cafeteria und Betriebsrestaurant. Je nach Nutzung sind diese Bereiche unterschiedlich einsehbar. Ein Teil der Besprechungsräume ist voll verglast und vom Boulevard einsehbar, andere Teile sind durch schwarz lackierte hölzerne Zwischenwände der direkten Einsicht entzogen. Die Cafeteria und eine Reihe von informellen Sitzgruppen sind als „Kommunikationsinseln“ frei im Raum gruppiert, der sich wie ein Straßenraum teilweise aufweitet, teilweise verengt. Auch ein kleiner innen liegender Garten und eine Reihe von Decks, die auf den begrünten Flachdächern der darunter liegenden Geschosse aufliegen, sind vom Boulevard aus zugänglich.
Noch in einer weiteren Hinsicht stellt die Kommunikationsebene gewissermaßen den Nabel des Gebäudeensembles dar. Oberhalb befinden sich die Büro- und Vorstandsgeschosse, unterhalb liegen die Anlieferung, Werkstätten und die Tiefgarage. Jeder dieser drei Bereiche – Sockel, Kommunikationsebene und Bürogeschosse – ist in Auf- und Grundriss nach einer eigenen Logik gestaltet. Das weitgehend geschlossene, fast festungsartig wirkende Sockelgeschoss ist mit goldeloxierten Aluminiumtafeln verkleidet. Die scharfkantigen schwarzgerahmten Bürogeschosse ragen auf sehr schlanken Rundstützen teilweise weit über diese Ebene hinaus.
Begegnung
Wer über den Haupteingang am Fuß der Freitreppe oder einen zweiten Zugang im Bestandsgebäude an der Aureliusstraße zu seinem Arbeitsplatz oder zu einem anderen Gebäudeteil gelangen möchte, muss den internen Boulevard durchqueren; eine andere Erschließung gibt es nicht. Der Bauherr und die Architekten erhoffen sich durch dieses Konzept eine Vielzahl von ungeplanten Begegnungen zwischen Mitarbeitern unterschiedlicher Abteilungen, welche die alltägliche Zusammenarbeit erleichtern, verbessern und letztlich auch beschleunigen sollen.
Ein erstes Fazit fällt positiv aus. Auch wenn die „Qualität unternehmensinterner Kommunikation“ kaum mit Zahlen zu messen ist, lassen sich, so Schumacher, im neuen Gebäude deutliche Verbesserungen in den internen Abläufen konstatieren. Die Entscheidung für den Boulevard ist auch in anderer Beziehung aus Sicht des Unternehmens wirtschaftlich. Diese Zone stellt nicht nur die einzige Verbindung zwischen den verschiedenen Gebäuden her. Durch die Auslagerung aller gemeinsamer Nutzungen konnte besonderer Wert auf den rationellen Entwurf der eigentlichen Bürogeschosse gelegt werden, die sich durch eine relativ geringe Tiefe von 12,40 Metern auszeichnen. Ein Stahlbetonskelett mit einem Achsmaß von 8,10 auf 11,0 Metern erlaubte wirtschaftliche Rohbaukosten. Das Standardbüro ist als Zweipersonenraum auf Basis von drei Achsen eines 1,35 Meter Ausbaurasters ausgelegt. Mehrere Büros können flexibel zusammengelegt werden. Die innen liegenden Flure haben eine Breite von 1,60 Meter wirken jedoch optisch größer, da die Eingangstüren in die Zellenbüros rhythmisch zurückspringen.
Treppe und Platz
Städtebaulich berührt der Komplex aus Bestands- und Neubauten die Randbereiche zweier Blocks südlich und nördlich der Borngasse, die etwa auf halber Höhe von der brückenartigen Kommunikationsebene überquert wird. Als Ensemble aus Solitären, die über erhöhte Fußgängerpassagen miteinander verbunden sind, stellt die Planung einen Gegenentwurf zur traditionellen Blockrandbebauung dar. Dass sich die Gebäude trotzdem gut in die Stadtstruktur einfügt, ist der Maßstäblichkeit und der sorgsamen Gestaltung der Anschlussstellen an die traufständige Blockrandbebauung zu verdanken.
Die Öffnung der Innenbereiche ermöglicht auch die Gestaltung von neuen Freiräumen und Fußgängerverbindungen. Einen Geländeversprung zwischen der Borngasse und dem höher gelegenen Marienplatz im Süden nutzten die Planer zur Anlage einer 63 Meter langen und 20 Meter breiten Freitreppe (die Kosten von 600.000 Euro wurden vor allem über Städtebaufördermittel finanziert). Auf der Schnittstelle zwischen Treppenanlage und Borngasse liegt der neue Haupteingang des Unternehmens. Der dort gestaltete Platzraum wurde von der Stadt bereits nach der Versicherungsgruppe benannt. Treppenanlage und die anknüpfenden Wege durch den Innenbereich ermöglichen eine geradlinige Wegeverbindung vom Bahnhof zum Aachener Grabenring, der die Altstadt umschließt. Das Aufbrechen des Blockrandes legt andererseits nördlich der Borngasse einen teils heterogenen Innenbereich frei und erzeugt durch die rückwärtige Erschließung der Tiefgarageneinfahrten hinter dem „AachenMünchener-Platz“ eine neue Rückseite. Der Planung ist freilich zugute zu halten, dass sie sich deutlich zurückhaltender als ihre Vorgängerbauten
in eine heterogene städtebauliche Situation einfügt. Eine einheitliche Blockrandbebauung entlang der Borngasse hat es seit der erstmaligen Bebauung dieses Areals um 1820 nie gegeben.
An der Einmündung der Borngasse zur vielbefahrenen Franzstraße ist auf dem Gelände des ehemaligen Landesbehördenhauses – eines zehngeschossigen Waschbetongebäudes aus den späten sechziger Jahren – ein neuer Quartierspark entstanden. Dieser Park im Winkel der beiden Straßen, von den Planern als Pocketpark bezeichnet, wird im Osten durch ein Gebäude der Versicherung gefasst. Im Norden steht ein Neubau, der ebenfalls im Zuge der aktuellen Baumaßnahme entstanden ist, derzeit aber an Dritte vermietet wird. Während dieser blockartige Baukörper für den Park eine klare Raumkante formuliert, ist der Anschluss des Gebäudes an die Bestandsbebauung entlang der Franzstraße nicht befriedigend. Obwohl die Maßstäblichkeit stimmt, wirkt das neue Gebäude hier wie ein riesiges Teil aus einem Baukasten, das an einer Zeile traufständiger Häuser lehnt. Der Eindruck entsteht dadurch, dass an der Nahtstelle zum Bestand die untersten beiden Geschosse über eine Breite von gut zehn Metern herausgeschnitten sind, um einer übergroßen Einfahrt Raum zu geben. Funktional ist dieser Umstand dadurch begründet, dass durch diese Einfahrt die Anlieferung von Transformatoren für ein Umspannwerk im Blockinnenbereich möglich sein muss.
Der neue Park ist durch ein Streifenmuster von schmalen Rasenflächen sowie dunklen Betonsteinplatten und -bänken gestaltet. Er hat keine Mitte und eignet sich eher als Rückzugs- und Pausenraum. Die Baumbepflanzung besteht – höchst ungewöhnlich für eine Innenstadt – aus Kiefern.
Hier wie im übrigen Ensemble zeigt sich der Wille des Bauherrn, ein eigenständiges Ensemble zu realisieren; es ist ein Ensemble, das nicht nur gut funktioniert, sondern auch repräsentiert. Es öffnet sich einem bisher wenig attraktiven Bereich der Stadt und bietet öffentliche Räume auf privatem Grund.
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