Flagship-Store
Verdrehung und Verdichtung
Text: Weilandt, Agnes, Frankfurt am Main; de Rycke, Klaas, Paris
Für den Flagship-Store von Hermès haben RDAI Rena Dumas Architecture Intérieure Holzeinbauten entworfen. Unsere Autoren erläutern die Entwicklung der Geometrie und die Ausführungsdetails.
Ein denkmalgeschütztes Schwimmbad in der Pariser Rue de Sèvres sollte der Ort für den neuen Flagship-Store des Modelabels Hermès werden. Aus Rücksicht auf den Bestand entschieden sich die Architekten von RDAI für freistehende Einbauten. Zu Beginn der Planung stellten sie die angestrebte Gestalt als Freiformfläche zur Verfügung. Ausgehend von dieser Form und der architektonischen Idee, der Ausbildung eines Korbgeflechts, entwickelten die Frankfurter Tragswerksplaner Bollinger + Grohmann in ihrer Pariser Dependance die Strukturen der sogenannten „Bulles“ und der großen Treppe, die ins ehemalige Schwimmbad hinunterführt.
Was war von dieser ursprünglichen Idee überhaupt realisierbar? Da die Strukturen aus Holzlatten erstellt werden sollte, mussten deren mögliche Krümmungsradien und Verdrillungen berücksichtigt werden. Entsprechend wurde der Verlauf der Achsen der Latten auf den bereits festgelegten Freiformen platziert. Dort, wo dies nicht möglich war, wurden umgekehrt die Freiformen den möglichen Achsverläufen angenähert.
Weiterhin galt es ein Konzept zu finden, das eine variable Maschenweite der „Körbe“ ermöglichte. Hierzu wurden zwei verschiedene Modelle entwickelt: Ein erstes, bei dem die Stäbe auf die Oberfläche der Freiformen projiziert sind und ein zweites, bei dem die Trägerachsen auf Basis einsinnig gekrümmter Linien, die auf den Freiformflächen verlaufen, entwickelt werden.
Das erste Modell bietet den Vorteil einer gleichmäßigen Maschenweite. Die großen Krümmungen um alle drei Achsen der Stäbe machen die Herstellung aber praktisch unmöglich. Bei der weiteren Entwicklung der Struktur wurden daher Systeme favorisiert, die eine dreisinnige Krümmung der Stäbe vermieden. Hierzu wurden zunächst die im ersten Modell gefundenen Linien auf Ebenen projiziert. Es ergaben sich jedoch zu große Knotenabstände, die sowohl aus ästhetischen als auch aus statischen Gründen wegen der großen Stablängen nicht gewollt waren.
Im zweiten Modelltyp wurde der Ansatz der Schnittfläche weiterverfolgt. Zunächst wurde die Unterkante, eine mittlere Isokurve und die Oberkante der Freiform in gleichmäßige Abschnitte unterteilt. Durch die so gefundenen Punkte auf der Freiform wurden im nächsten Schritt Schnittflächen gelegt. Bei den oberen Linien wurden gegenüber der untersten Isolinie um mehrere Abschnitte versetzte Knoten gewählt, so dass sich mit der Größe des Versatzes der gewünschte Effekt der Verdrehung und die Verdichtung ergab und die Neigung der Stäbe festgelegt werden konnte. Die Achsen der Stäbe ergeben sich jetzt aus der Schnittlinie der Flächen und der Freiformfläche.
Ausgehend von diesen Achsen standen zwei Varianten zur Ausrichtung der Stäbe zur Verfügung. Bei der ersten Variante wurden die Stäbe senkrecht zu den Schnittflächen ausgerichtet. Die so ermittelten Stäbe sind zunächst zweisinnig um die z- und x- (Torsions-)Achse gekrümmt. In den Knoten ergaben sich damit aber zu große Versatzwinkel zwischen den Stäben, die durch ein zusätzliches Tordieren der Stäbe in den Knoten hätte überwunden werden müssen. Dies müsste entweder bereits durch die Herstellung zweisinnig gekrümmter Stäbe oder bei der Verbindung der Knoten erfolgen.
Bei der zweiten Variante wurden die Stäbe parallel zur Freiformfläche ausgerichtet. In diesem Fall ergeben sich um die y- und die z-Achse gekrümmte Stäbe, die nicht tordiert sind, was die Ausführung praktikabel machte. Man entschied sich daher für diese Variante.
Die Parameter
Um verschiedene Geometrien (Stababstände, Neigungen) und Varianten (Verdichtung der Struktur in den unteren Bereichen) effektiv zu prüfen, wurde die gesamte Konstruktion parametrisch aufgebaut. So konnten bis zur Fertigung der Bulles Anpassungen ohne neuen Planungsaufwand nachgeführt werden.
Tragwerksberechnung
Neben der Geometrieentwicklung wurden unterschiedliche Ausbildungen der Verbindungsknoten zwischen den Latten analysiert. Da die Bulles nur durch einen einzigen Ring im obersten Drittel der Freiformen ausgesteift sind, müssen die Verbindungsknoten verdrehsteif sein, um die Stabilität sicherzustellen. Deshalb stecken in jedem Verbindungsknoten exzentrisch zwei Stabdübel und ein zentraler Passbolzen.
Außer den Stabilisierungsringen der Bulles sind nur noch die Leibungen der Eingänge in Stahl ausgeführt. Diese tragen als Bögen die Lasten aus den abzufangenden Stäben ab. Auch bei der Detailausbildung am Anschluss an die Leibungen und bei den Fußpunkten waren die Randabstände für die Gesamtgestalt und die Knotenausbildung entscheidend. Hierbei wurde jeweils auf eine möglichst unsichtbare Befestigung geachtet.
Für das Tragverhalten der Bulles war lediglich deren Eigengewicht maßgeblich. Beim monumentalen Treppengeländer war dies anders. Es ist in regelmäßigen Abständen durch innere Ringe ausgesteift, die entweder am Boden oder an der Treppe selbst befestigt sind. Der Geländerholm ist ebenso an diesen Ringen befestigt, so dass die Holzstruktur praktisch nur durch ihr Eigengewicht beansprucht wird. Aufgrund dieser Ringe konnte bei den Geländern auf eine biegesteife Verbindung der Knoten verzichtet werden. Die Abmessung der Stäbe ist mit 4 x 2,8 Zentimetern entsprechend klein.
Ausführung und Workflow
Der komplexe Entwurf der freiförmigen Geometrie erforderte einen digitalen Workflow und die Umsetzung des Konzepts in einem parametrischen scriptbasierten Rhino-Modell mit einer Schnittstelle zum statischen Berechnungsprogramm. Damit konnten Anpassungen der Geometrie schnell umgesetzt, unterschiedliche Generierungsansätze auf ihre Ausführbarkeit und mehrere Varianten der Struktur auf ihr Tragverhalten hin überprüft werden. Nach der Wahl des Generierungsprinzips wurden während der Strukturoptimierung die Neigung der Latten und damit ihre Kreuzungswinkel, die Lattenabstände und die Steifigkeiten der Verbindungsknoten verändert. Die so entstandene Form stellt ein Kompromiss aus Gestaltung und Tragfähigkeit dar.
Die komplexe Geometrie erforderte zudem frühzeitig eine enge Zusammenarbeit mit der ausführenden Firma, um die Geometrie hinsichtlich der Realisierung zu optimieren. Das Konzept des bayrischen Unternehmens Holzbau Amann sah vor, die Holzstäben aus drei Lagen auf einem Lehrgerüst in der endgültigen Form zu verleimen. So war es möglich, die Stäbe in einer Richtung zu krümmen. Die Krümmung um die zweite Achse wurde durch die Verwendung gebogener Stabelemente erreicht, die aus Platten herausgeschnitten wurden.
Im Anschluss an die Verleimung in der Werkstatt wurden die zweifach gekrümmten Stäbe in Paris erneut auf den Lehrgerüsten montiert und in den Knoten miteinander verbunden. Anschließend wurden die Lehrgerüste entfernt, es folgte die Endbehandlung der Stäbe und der gesamten Holzkonstruktion.
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