Bauwelt

Großstadthaus in Berlin


Alterssitz, WG, Wohnen auf Zeit: In dem Neubau von roedig.schop in Berlin-Mitte haben einige Wohnformen Platz – und dazu noch ein Hoftheater. Die Bauherren schätzen die Freiheit, Dinge auszuprobieren. Und holen sich das Leben ins Haus


Text: Kleilein, Doris, Berlin


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    Silbergraue, wetterfeste Vorhänge schützen die Bewohner vor Sonne und vor Blicken. Bei Wind können die Vorhänge zusätzlich mit Gummiösen an der Brüstung befestigt werden.
    Foto: Stefan Müller

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    Silbergraue, wetterfeste Vorhänge schützen die Bewohner vor Sonne und vor Blicken. Bei Wind können die Vorhänge zusätzlich mit Gummiösen an der Brüstung befestigt werden.

    Foto: Stefan Müller

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    Die Maisonettes mit Luftraum
    Foto: Stefan Müller

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    Die Maisonettes mit Luftraum

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    Der Veranstaltungsraum öffnet sich zum Hof und zur Straße
    Foto: Stefan Müller

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    Der Veranstaltungsraum öffnet sich zum Hof und zur Straße

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Unter einer Lochfassade hat sich das Stadtplanungsamt bestimmt etwas anderes vorgestellt. Die großen Öffnungen in der Sichtbetonfassade sind unregelmäßig gesetzt, dahinter liegt eine über alle Geschosse durchlaufende Loggia, die mit Außenvorhängen geschlossen werden kann. Keine Fensterkreuze, kein Naturstein, auch die beiden Parzellen des Doppelgrundstücks 15/16 sind nicht mehr ablesbar, sondern lediglich durch die sehr hohen Eingänge rechts und links angedeutet. Traufkante und Straßenflucht wurden eingehalten, darüber hinaus haben roedig.schop Architekten die Vorschriften eher lässig interpretiert. Das Diktum der „Neuen Berlinischen Architektur“ verblasst – diesen Eindruck kann man zumindest in der kleinen Schönholzer Straße gewinnen, die parallel zur Bernauer Straße am ehemaligen Mauerstreifen verläuft. Dort reihen sich Baugruppen unterschiedlichster Couleur auf. Der Neubau schließt die letzte Lücke, die Nachbarschaft ist gentrifiziert. Auf der Rückseite, zum Mauerstreifen hin, sieht die Welt allerdings noch ganz anders aus: Der Blick fällt über die Ausläufer der Mauergedenkstätte auf den Wedding, zunehmend versperrt durch die gesichtslose, verklinkerte Investorenarchitektur, die entlang der Bernauer Straße entsteht.

Ein stabiles Gerüst

Der Neubau passt in kein Schema, ist weder eine Baugruppe noch ein herkömmliches Investorenprojekt: Die Bauherren Claudia und Daniel Thorban haben das 900 Quadratmeter große Grundstück 2006 erworben und sind mit den Architekten in einen offenen Entwurfsprozess gestartet: Nicht nur Eigentumswohnungen sollten entstehen, vielmehr gab es den Wunsch, die Öffentlichkeit ins Haus zu holen, sogar bis ins eigene Wohnzimmer. Die Architekten haben für die verschiedenen Nutzungen ein stabiles Gerüst entworfen: Zwei Treppenhäuser trennen den Mittelteil des Gebäudes von den beidseitig angeordneten „Pockets“, kleineren Maisonettes mit 80 Quadratmetern.
In der Mitte, von beiden Treppenhäusern erschlossen, stapeln sich verschiedene Programme: Die zweigeschossige Clusterwohnung ganz oben ist als Wohngemeinschaft geplant, in der auch die Bauherren ein Zimmer haben – von der WG-Küche führt die Treppe nach unten in eine Etage mit Schlaf- und Arbeitszimmern mit separaten Bädern, die auf Zeit vermietet werden. Darunter liegen zwei große Eigentumswohnungen. Das Herzstück des Hauses ist nicht allein dem Wohnen vorbehalten, sondern beherbergt eine wirklich erstaunliche Mischung: einen 5,50 Meter hohen Veranstaltungsraum im Erdgeschoss, der sich vollständig zum Hof und mit einem großen Schaufenster zur Straße hin öffnet. Dieser Raum ist nicht nur ein Gemeinschaftsraum, wie man
ihn vereinzelt in Baugruppen findet, sondern ein komplett ausgestattetes Theater, von dem so manche Berliner Off-Bühne nur träumen kann: mit professioneller Bühnentechnik, ebenerdig über ein Foyer von der Schönholzer Straße aus erschlossen, dazu Sanitäranlagen, Umkleiden, Kantine. Um die Bewohner des Hauses nicht zu stören, besteht das dritte Geschoss aus einer Übernachtungsetage nach dem Vorbild japanischer Ryokans: kleine Zimmer, Gemeinschaftsküche, zwei Bäder.
Noch ist das Haus ruhig, es wurde gerade erst bezogen. Die Gäste, die hier arbeiten, schlafen, kochen, debattieren, präsentieren, feiern sollen, sind noch nicht da – ein Zustand der Offenheit, der gewollt ist, aber manchmal schwer auszuhalten, berichten die Bauherren. Mit diesem Haus haben sie ihren Alterssitz verwirklicht, jetzt muss es bespielt werden. Die Thorbans haben viel vor, sie sind umtriebige Bauherren mit einem Hang zur Perfektion: Immer wieder wurde umgeplant, wurden Bäder verlegt, Steckdosen umgesetzt. Sie haben eine genaue Vorstellung vom komfortablen Leben in der Stadt, und die ist autofrei und ressourcenschonend. Zur Haustechnik gehören unter anderem die Erdwärme, die über Bohrpfähle im Garten gewonnen wird, ein Blockheizkraftwerk, eine Grauwasseranlage. Eine Tiefgarage gibt es nicht, dafür einen geräumigen Aufzug in den Fahrradkeller.
Weder bei der Haustechnik noch bei der Architektur wurde gespart, sondern auf lange Sicht investiert. Räumlich macht sich das auf jeden Fall bezahlt: Die Treppenhäuser sind tageshell und öffnen sich zu den Loggien; die Flure, die Türen, die auskragenden Terrassen auf der Nordseite – alles in diesem Haus ist einen Tick größer, höher und hochwertiger als gewohnt. Die raumhohe Verglasung, oft ein Problem in engen Straßenräumen, wird aufgefangen durch die eineinhalb Meter tiefen Loggien: Die Räume wirken großzügig, und doch müssen die Bewohner nicht im Schaufenster sitzen. Von der Idee der Architekten, die Loggien gemeinschaftlich zu nutzen, waren die Bewohner allerdings nicht zu überzeugen: Loggientrenner (aus dem Drahtgewebe wie im Treppenhaus) werden bereits montiert.
Trotz seiner Opulenz ist das Haus nirgends protzig. Es ist ein gebautes Understatement, eine gut geölte Maschine. Architektonisch nimmt es Anleihen an Japan (Shigeru Bans „Curtain Wall House“ von 1995), ohne aufdringlich zu zitieren. Die Umwege im Lauf der langen Entstehungszeit von acht Jahren sieht man dem Haus nicht an.



Fakten
Architekten roedig.schop, Berlin
Adresse Schönholzer Str. 15/16, 10115 Berlin


aus Bauwelt 6.2015
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