Grundschule
Netzmuster als Hülle
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
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Foto: Hans-Christian Schink
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Foto: Hans-Christian Schink
Foto: Hans-Christian Schink
Die Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule in Berlin-Adlershof erhielt von AFF Architekten ein zusätzliches Gebäude für die Grundschüler. Erstaunlich das gelbe Interieur und die vielen kleinen Punkte auf den Fassaden, am Boden, an den Decken und auf den Vorhängen.
Passanten werden wohl kaum ahnen können, dass sich hinter dem Gebäude der Anna-Seghers-Schule von Ludwig Hoffmann – ein typischer mit Dekorelementen ausgestatteter Ziegelbau des Historismus – geduckt ein kleines architektonisches Juwel ganz anderer Provenienz verbirgt. Auch im rückwärtigen Hof ist der durch seine helle, fein ausgearbeitete Gestalt kostbar wirkende Baukörper für die Grundschulklassen nur im Hintergrund auszumachen. Zunächst besetzen ein Mehrzweckgebäude und eine Sporthalle, die jüngeren Datums ist, sich aber in einem tristen Zustand befindet, den Schulcampus.
Süßer Grund
Der Neubau von AFF Architekten in Berlin-Adlershof zeigt sich, und das sogar in seiner ganzer Länge, nur zu einer schmalen Gasse im Norden mit dem schönen Namen „Süßer Grund“. Nach Osten öffnet er sich mit einem eigenen, gut abgeschirmten Hof zum Grün der unmittelbar angrenzenden Kleingartenanlage. Früher soll hier einmal viel Efeu das Terrain bedeckt haben und ein Schulgarten angelegt gewesen sein. Die vierzügige Grundschule wurde benötigt für den Ausbau des Modells Gemeinschaftsschule von der ersten Klasse bis zum Abitur. Das Gebäude hat architektonisch nichts mit den anderen Bauten der Schule gemein. In seiner bescheidenen Dimension knüpft es an das rückwärtige, sehr heterogene Umfeld an, das sich aus einer Reihe kleiner Wohnhäuser, Werkstätten, Remisen und Lauben zusammensetzt.
Erst wenn man den Weg an der Sporthallen-Rückseite entdeckt hat und ihn entlanggeht, sieht man, dass sich im hinteren Bereich des großen Schulhofs ein weit auskragender Teil des Neubaus hervorschiebt, der mit einem großen Fenster versehen ist. Diesem Teil wurde mit dem Lehrerzimmer eine Sonderfunktion zugewiesen, denn von hier oben lässt sich wie von einer Kanzel nicht nur auf der Südseite der Zugangsweg von den anderen Schulgebäuden her, sondern auf der Nordseite vor allem der Spielhof der Grundschule überblicken. Unter der Auskragung liegt geschützt der Haupteingang.
Rundum gelb
Beim Eintritt ist man zunächst schockiert, denn da tut sich eine ganz andere Welt auf: ein vom Boden bis zur Decke grell-gelber Erschließungsraum mit einigen wenigen schwarzfarbenen Ergänzungen, die entsprechend stark ins Auge springen, besonders bei der eigens entwickelten Grafik mit Tiersymbolen an den Türen der Klassenzimmer. Auch die Sitzflächen und Lehnen der fest installierten Pausenbänke, die doppelten Handläufe der Treppen und sogar der Aufprallschutz der Türen sind schwarz. Der in Form eines oben abgerundeten Kegels auf den Boden geschraubte Aufprallschutz aus schwarzem Gummi ist eigentlich für Industriehallen vorgesehen und fällt daher „kindlich“ groß aus. Ansonsten ist rundum alles in ein kräftiges Gelb getaucht, an das man sich nach anfänglicher Skepsis überraschenderweise gewöhnen kann. Die Kinder haben jedenfalls ihre Freude daran.
Fenstervielfalt
Die Gliederung ist auf den ersten Blick simpel. Es handelt sich um einen zweifach gewinkelten Baukörper mit innen liegendem Erschließungsraum, der sich zu den beiden Enden des Gebäudes hin verjüngt. Durch diesen Zuschnitt der Flurzone wird mit einfachen Mitteln etwas Spannung aufgebaut und eine eindeutige Orientierung erreicht. Den Toiletten im Erdgeschoss ist ein gemeinsamer Waschraum für Jungen und Mädchen vorgelagert, ausgestattet mit zwei wandbreiten Spiegeln, die den Raum für die Kinder riesig werden lassen. Die Klassenzimmer selbst sind fast alle rechteckig und durch großflächige Fenster mit schmalen Rahmen definiert, die in zwei Varianten auftreten: bündig in der Fassade, so dass sich innen eine gut zu nutzende Ablage ergibt, und zurückgesetzt mit Festverglasung. Beide Fenstertypen liegen in freier Folge nebeneinander und bilden auf der Nordseite ein Fensterband. Sie haben seitlich Lüftungsflügel, die durch eine an die Außenhaut angeglichene, dekorativ gestaltete Blechverkleidung abgesichert ist. So können die Kinder nicht aus dem Fenster fallen. Außerdem sind in der Fassade kleine Fenster angeordnet, im Wechsel auf der Höhe der Kinder und der Erwachsenen. Diese Öffnungen sind aber nur im Flurbereich zu finden. Lediglich bei einem Klassenzimmer an der Südseite sind sie ebenfalls vorhanden und bringen zusätzlich Licht in den Raum. Beim Flur wiederholen sich auch die großen Fenster der Klassenzimmer. Es scheint, als ob hier rein formale Entscheidungen mit Blick auf eine stimmige Fassadenkomposition eine wichtige Rolle gespielt haben.
Das Tarnnetz
Der gelbe Flurraum setzt sich im Obergeschoss fort. Die Garderoben der Kinder liegen in den Klassenzimmern und weisen den gleichen Gelbton auf. Damit wird der von den Architekten deutlich gekennzeichneten Funktionsschicht der Erschließung noch einmal in den Lehrräumen Ausdruck verliehen. Zur gelben Garderobe mit schwarzen Haken, die für gewöhnlich Teil des Flurbereichs ist, gehören auch eigens entworfene Einbauschränke, gefertigt von einem Möbeltischler, der bereits beim Museum Schloss Freudenstein im sächsischen Freiberg für die Architekten tätig gewesen ist (Bauwelt 10.2008). Die Garderobe wird verdeckt durch einen speziellen Vorhang aus dem abwaschbaren Kunststoff Tyvek. Die Architekten erzählen, dass sie ihn während einer Reise nach Schweden beim dortigen Militär gesehen haben, wo er bei Schnee als Tarnnetz von Militärfahrzeugen eingesetzt wird. Nach eigenem Bekunden waren sie von seiner Struktur begeistert, aber auch von der Robustheit, die den hohen Anforderungen an den Brandschutz genügt, und ließen aus dem Material die Vorhänge für die Schule in Adlershof herstellen.
2,9 Millionen Euro
Die lebendige Dekorstruktur der Vorhänge, resultierend aus zwei unterschiedlichen Punktgrößen, die ineinander greifen – die größeren Punkte sind perforiert, die kleineren nur aufgedruckt –, wurde als Muster auch auf die Außenfassaden übertragen. Hierfür wurden entsprechende Schablonen angefertigt und diese dann mit Farbe schlicht auf den Putz der geforderten kostengünstigen Wärmedämmverbund-Fassade aufgetragen. Dabei setzte man die einzelnen Schablonen nach einem präzis angefertigten Plan ein (s. Seite 15). Durch die behutsame Variation bei den quadratischen Feldern wurde eine homogene Gesamtfläche erreicht. Die Fenster weisen Faschen verschiedener Breite auf. Es entwickelt sich insgesamt eine besonders feingliedrig strukturierte Fassadenoberfläche, die in ihrer Abstraktheit dennoch auch spielerische Elemente von beachtlicher Wirkung evoziert. Die Unterdecken in den Fluren weisen ebenfalls eine dekorative Rundlochstruktur auf, die mit den Vorhängen und den Fassaden korrespondiert.
Die Kinder nehmen bei dem Neubau eine eigenständige Sprache der Gestaltung wahr, die sie immer wieder neu entdecken können. Den Fachkundigen versetzt er ins Staunen, handelt es sich hier im Rahmen des staatlichen Konjunkturpakets von 2010 doch nur um ein eher bescheidenes, streng an ein Budget gebundenes Bauvorhaben für 2,9 Millionen Euro, das zudem allen Energiesparverordnungen entsprechen musste.
Der zweite Auftrag
Bei einem weiteren Direktauftrag mit allen Leistungsphasen haben die Architekten die Rückseite des Hauptgebäudes von Hoffmann, das in den siebziger Jahren einen Erweiterungsbau erhielt, um einen Aufzugsturm ergänzt. Sie verpackten ihn und schlugen auch hier die helle Fassadengestalt der Grundschule vor. Man hätte sicherlich auch einen Aufzug als „Fertigware“ ansetzen können, doch dank der Überzeugungskraft der Architekten gelang es, eine ästhetische Verbindung zum Neubau herzustellen. Das Bezirksamt zeigte sich offen für ihre Idee und ließ den Sonderbau zu.
Nicht überzeugt ist Sven Fröhlich von AFF Architekten von der etwas aufgeblasenen Spielanlage, die die neue Grundschule im Osten und Süden vorgesetzt bekam. Er hätte sich einfachere, nach seiner Meinung für Kinder angemessenere Geräte gewünscht und beklagt in diesem Zusammenhang eine mangelnde Kooperation bei den Entscheidungen.
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