Headquarter der Tamedia AG
2000 Kubikmeter Fichtenholz
Text: Gabler, Christiane, Basel
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Foto: Didier Boy de la Tour
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Foto: Didier Boy de la Tour
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Foto: Didier Boy de la Tour
Foto: Didier Boy de la Tour
Ein weiteres Experiment für ein mehrgeschossiges Bürogebäude aus Holz: Shigeru Ban baute für die Tamedia AG in Zürich das neue Headquarter. Das Äußere verrät allerdings wenig von der innen sehr markanten Konstruktion.
„Konzern sucht berühmten Stararchitekt zwecks Errichtung eines neuen Firmensitzes“, eine immer häufiger anzutreffende Konstellation. Ein markantes, einzigartiges und medial bestens verwertbares Projekt wird gesucht, dessen Bild positive Eigenschaften wie Innovationsgeist, Kreativität oder Transparenz auch auf das Image der Firma überträgt. Die Tamedia AG, eines der großen Medienunternehmen der Schweiz mit Sitz in Zürich, hatte über einen Architekturwettbewerb zunächst ein zeichenhaftes Hochhaus für ihren neuen Firmensitz favorisiert. Da das Bauen in die Höhe in der Schweiz traditionell aber eher auf Skepsis stößt, verwarf man diese Lösung bald wieder und beauftragte stattdessen direkt den japanischen Architekten Shigeru Ban, bekannt vor allem für seine genialen Lösungen für provisorische Bauten in Katastrophengebieten und für seine temporären Ausstellungsarchitekturen.
Die Anfänge der Tamedia gehen zurück auf das Jahr 1893, als zum ersten Mal der Tages-Anzeiger, das Flaggschiff des Hauses, erschien. Im Laufe der Zeit wuchs Tamedia zu einem Multimedia-Konzern heran, mit verschiedenen, über die ganze Stadt verteilten Adressen. Diese sollten nun aufgegeben und die gesamte Firma an ihrem historischen Standort mit einem Neubau repräsentativ verortet werden. Doch anders als viele Stararchitekten, die eigentlich jedem beliebigen Ort ihre eigene Marke überstülpen, strebt Shigeru Ban stets nach einer Lösung, die der jeweiligen speziellen Lage adäquat ist. Für den Standort an der Sihl, fußläufig vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt, sicher ein Glücksfall, waren hier doch schon seit über einhundert Jahren die Redaktion und die Druckerei vom Tages-Anzeiger angesiedelt. Shigeru Bans Ansatz für diesen Ort ist sehr integrativ gedacht: Das in einem städtischen Block liegende Gebäude nimmt dessen Bebauungshöhe, das überhöhte Erdgeschoss und die Mansard-Dachform konsequent auf. Das fünfgeschossige Gebäude formuliert mit einer 45-Grad-Ecke den Haupteingang an der Straßenkreuzung zum Fluss – eine Rückbesinnung an eine vor vielen Jahren aufgegebene städtebauliche Situation. Der Neubau ist komplett verglast, im Vergleich zu den derzeit am Zürcher Hauptbahnhof entstehenden Bürohäusern hat Shigeru Bans Gebäude eine geradezu spielerische Leichtigkeit. Das Medienhaus wurde im Juni bezogen und bietet knapp 500 neue Arbeitsplätze, sodass nun am Konzernsitz über 1500 Menschen mitten in der Zürcher City arbeiten.
Während eine recht konventionell wirkende gläserne Haut das Gebäude umhüllt, dominiert das Innere eine kunstvoll gestaltete Holzkonstruktion. 2000 Kubikmeter Fichtenholz aus der Steiermark wurden zu einem gewaltigen Holzrahmenwerk verbaut – ein immer wiederkehrendes Element in Bans Arbeiten, das sich aus seiner Auseinandersetzung mit der Einfachheit und Klarheit traditioneller japanischer Holzbauten herleitet. In Anlehnung an die japanische Zimmermannskunst, die auf hohe Passgenauigkeit gründet und sich durch reine Holzverbindungen auszeichnet, kommt auch das gesteckte Holzrahmenwerk in Zürich ohne Schrauben, Nägel und Leim aus. Die Tragstrukturen werden begreifbar und sind das ästhetisch prägende Moment des Gebäudes.
Millimetergenau gefräst
Studien und monatelange Vorarbeiten waren notwendig, um diese auf den ersten Blick einfache Konstruktion technisch so zu realisieren, dass sie die hohen Anforderungen an Tragsicherheit, Brandschutz und Montagefähigkeit erfüllt und am Ende doch ganz einfach erscheint. Holz ist traditionell ein weit verbreiteter Baustoff in der Schweiz. Entsprechend hoch ist das technische Know-how bei Firmen und Holzbauingenieuren. Wie schon beim Centre Pompidou in Metz (Bauwelt 22.2010) arbeitete Shigeru Ban auch beim Tamedia-Gebäude mit dem Schweizer Holzbauspezialisten Blumer-Lehmann (Seite 34) zusammen. Verleimte und millimetergenau gefräste Elemente wurden auf der Baustelle zu fünf Geschosse hohen Rahmen zusammengesteckt und anschließend mit einem Kran aufgerichtet. Danach wurden die 5,5 Meter langen Querbalken eingefügt, die Kranseile gelöst, und der fertige Rahmen stand frei. Rahmen für Rahmen wurden aneinandergebaut – nicht wie üblich von unten nach oben, sondern von einer Seite zur anderen. Aufgrund der Citylage war eine besondere Baustellenlogistik erforderlich: Jedes einzelne Stück wurde zunächst bei der Holzbaufirma im ostschweizerischen Gossau eingelagert und „just in time“ auf die Baustelle geliefert.
Um eine solche ungewöhnliche Holzkonstruktion in dieser Höhe auch realisieren zu können, wurde ein alternatives Brandschutzkonzept entwickelt, das eine Sprinklerung und leicht überdimensionierte Stützen und Rahmen vorsah. Damit ist gewährleistet, dass die tragende Wirkung nach einem Abbrand von Material weiterhin erhalten bleibt. Im Bereich eines Brandabschnittes sind die Querbalken im Kern aus speziellem Brandschutzmaterial gebaut und überfurniert.
„Bei Holz haben Sie automatisch das Gefühl, dass Sie sich in einer Landschaft befinden“, sagte Shigeru Ban in einem Interview zur Eröffnung des Hauses. Eine Landschaft am Fluss, denn unmittelbar am Haus fließt die Sihl vorbei. Die Nähe zum Fluss inszeniert Ban in einer fünfgeschossigen Zwischenzone im Gebäude, die sich längs des Ufers erstreckt. Diese rund fünf Meter breite Schicht erfüllt mehrere Funktionen. Sie wirkt vor allem als Klimapuffer und natürliches Ventilationssystem. Filigrane einläufige Treppen in der offenen Struktur verbinden die Geschosse. Einzelne Plattformen stecken in der Struktur – offen als Lounge und Treffpunkt für die Mitarbeiter oder geschlossen als Sitzungszimmer zu nutzen. Für diese Bereiche wurden gewaltige Glas-Sektionaltore als Prototypen entwickelt. Sie erlauben, die Fassade großflächig zu öffnen, um den Loggien den Blick auf den Fluss freizugeben.
Der Innenausbau führt die warme und natürliche Atmosphäre der hölzernen Tragstruktur weiter. In der großen lichten Empfangshalle und im Multifunktionsraum wachsen die Holzstützen wie Stämme aus einem Terrazzo, in welchem große runde Flusssteine aus dem Tessin eingelegt sind. Eigentlich sollten es Steine aus der vorbeifließenden Sihl sein, aber diese waren dann doch zu gleichförmig grau. Stühle und Tische, gebaut aus den einfachen und gleichsam visionären Kartonröhren von Shigeru Ban, stehen in der Lobby.
Für die Großraumbüros in den Obergeschossen gibt die Holzkonstruktion die Unterteilung der Räume vor. Sämtliche Trennwände sind komplett verglast, sodass das Haus als ganze Struktur erfahrbar bleibt. Die Treppen aus Stahl schweben leicht und elegant in der Struktur. In den Büros liegt ein Sisal-Teppich. Die technischen Einbauten sind sorgsam versteckt: In den Doppelböden befinden sich neben der Elektroinstallation auch die Quellluftauslässe für das Geschoss. Hier werden ebenfalls die Kühldecken der darunter liegenden Ebene erschlossen. Das Gebäude wird CO2-frei und ohne Einsatz von Atomstrom betrieben. Bei Heizung und Kühlung kommen keine fossilen Brennstoffe zum Einsatz.
Weitere Projekte
Das Tamedia-Gebäude ist Shigeru Bans erstes Projekt in der Schweiz. Auf der Terrasse der Villa Wesendonck in Zürich ist in diesem Sommer noch ein weiteres Projekt des japanischen Architekten eingeweiht worden: ein eleganter Sommerpavillon für das Museum Rietberg. In den Wintermonaten werden seine Kartonröhren-Säulen, die aufklappbaren Fenster aus Polycarbonat und das Dachtragwerk aus ultraleichtem Carbon eingelagert und dann im nächsten Sommer wieder aufgebaut. Auch Omega/Swatch hat den japanischen Stararchitekten „gebucht“: in den nächsten Jahren wird er für den Uhren-Weltkonzern einen neuen Firmensitz in Biel bauen – natürlich mit hölzerner Tragkonstruktion.
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