Hörsaal Center in Kassel
Der Ausbau der Kasseler Universität schreitet voran. Mit dem Hörsaal Campus Center vom Architekturbüro raumzeit wurde das Hochschulquartier um bislang fehlende Funktionen ergänzt
Text: Kasiske, Michael, Berlin
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Eine große Auskragung signalisiert den Haupteingang zum Hörsaalzentrum. Der Knick in der Fassade lenkt den Blick auf die Norderweiterung des Campus.
Foto: Werner Huthmacher
Eine große Auskragung signalisiert den Haupteingang zum Hörsaalzentrum. Der Knick in der Fassade lenkt den Blick auf die Norderweiterung des Campus.
Foto: Werner Huthmacher
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Sichtbeton und Streckmetallpaneele aus Aluminium prägen das Foyer (Blick zum Eingang Moritzstraße)
Foto: Werner Huthmacher
Sichtbeton und Streckmetallpaneele aus Aluminium prägen das Foyer (Blick zum Eingang Moritzstraße)
Foto: Werner Huthmacher
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An der Gebäudefront zur Moritzstraße verstärken Einschnitte die Plastizität des Baukörpers
Foto: Werner Huthmacher
An der Gebäudefront zur Moritzstraße verstärken Einschnitte die Plastizität des Baukörpers
Foto: Werner Huthmacher
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Das Foyer offenbart die räumliche, konstruktive und funktionale Vielfalt; im obersten Geschoss befinden sich Studienberatung und Studentenwerk
Foto: Werner Huthmacher
Das Foyer offenbart die räumliche, konstruktive und funktionale Vielfalt; im obersten Geschoss befinden sich Studienberatung und Studentenwerk
Foto: Werner Huthmacher
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Die wellenförmige Decke überhöht die Dimension des größten Hörsaals
Foto: Werner Huthmacher
Die wellenförmige Decke überhöht die Dimension des größten Hörsaals
Foto: Werner Huthmacher
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Farbakzent: Im kleinen Hörsaal haben Fußboden, Vorhänge und Bestuhlung den gleichen Farbton bekommen. Im Vordergrund die Plätze für Rollstuhlfahrer
Foto: Werner Huthmacher
Farbakzent: Im kleinen Hörsaal haben Fußboden, Vorhänge und Bestuhlung den gleichen Farbton bekommen. Im Vordergrund die Plätze für Rollstuhlfahrer
Foto: Werner Huthmacher
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Das postmoderne Kasseler Uni-Dorf aus den achtziger Jahren wurde von Beginn an verhöhnt. Immerhin endet die Diagonale der Tram-linie durch dieses „Lieblichheim“ nun mit zwei selbstbewussten Ausrufezeichen aktuellen Bauens: Rechts lugt die Erweiterung der Zentralmensa von Augustin Frank Architekten um die Ecke (
Bauwelt 33.2013), links glimmert silbern das soeben fertiggestellte Hörsaalzentrum von den Berliner Architekten raumzeit.
Hörsaal Campus Center
Der viergeschossige, homogen mit Aluminium verkleidete Bau beendet den ewigen Raummangel, der zu Vorlesungen in Kinos und sogar Kirchen führte. Der Unterschied zu anderen Hörsaalzentren, etwa in Frankfurt a.M., Chemnitz oder Cottbus, liegt im fünfeckigen Grundriss; dieser entspricht dem Konzept, mit dem das Architekturbüro raumzeit seinerzeit den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen hat (
Bauwelt 4.2009). Maßgebend für die Grundrisskonfiguration sind die Moritzstraße im Norden und die verkehrsfreie Arnold-Bode-Straße im Süden, an denen sich vom Untergeschoss bis zum zweiten Obergeschoss sechs Hörsäle und acht Seminarräume aufreihen. Dazwischen spannt sich ein über drei Geschosse offenes Foyer auf, das durch zwei asymmetrisch trichterförmige Oberlichter großzügig zum Himmel geöffnet ist. Auf der obersten Etage befinden sich kleinteilige Büros mit Serviceeinrichtungen wie Studienberatung und Studentenwerk, die sich um zwei begrünte, seitlich der Oberlichter angelegte Höfe gruppieren.
Die Form der asymmetrischen Trichter findet sich in den Fassadenöffnungen der Hörsäle wieder. Hier sind es Einschnitte, die nicht nur das Ansteigen der Sitzreihen nach außen spiegeln, sondern vor allem dem Gebäude Tiefe geben und dadurch einen Eindruck von Massivität entstehen lassen, der einem von allen Fachbereichen zentral genutzten Gebäude gut ansteht.
Im Inneren zeitigt der Sichtbeton eine visuell kraftvolle Solidität. Die schiere Größe des Foyers und die Raumbildung in die Höhe sorgen für eine offene Atmosphäre, die Veranstaltungen wie Kongresse und Ausstellungen begünstigt; ein entsprechend nutzbarer Raum in dieser Größe fehlte der Universität bislang. Dass das Gebäude mehr im Schnitt als im Grundriss entworfen wurde, offenbart sich an der schlüssigen Anlage von Treppen und Galerien. Das Einstufen der Treppen als Fluchtwege, zusätzlich zu den fünf Fluchttreppenhäusern, hat störende Mittelhandläufe zur Folge gehabt, die die Großzügigkeit empfindlich stören. Apropos: Man kann sich leicht vorstellen, welche elegante Leichtigkeit das Foyer erhalten hätte, wenn man, wie ursprünglich vorgesehen, statt lackierter Stabgeländer Glasbrüstungen eingebaut hätte, was vier mal so teuer geworden wäre.
Bei den großen Spannweiten der Hörsäle erstaunt es, dass diese im Unter- und Erdgeschoss platziert wurden. Die Architekten wünschten ei-ne stärker Belebung für das Foyer. Allerdings wird dafür in Kauf genommen, dass aufgrund der Eingrabung die Fenster des größten Hörsaals mit 650 Plätzen hoch liegen und – im Gegensatz zu den oben liegenden Sälen – ein Kellergefühl aufkommen lassen. Das kann der wellenförmige, als Heiz- und Kühldecke angelegte obere Raumabschluss nur wenig mildern. Immerhin gibt es hier, wie nur in einem weiteren Saal, ein Fenster zum Innenraum, zur Galerie im ersten Obergeschoss; dieser den Architekten wichtige Bezug wurde an anderen Stellen mit der Begründung unterbunden, das lenke Studenten und Lehrende zu sehr ab.
Die Farbigkeit des Bauwerks beschränkt sich auf die Einbauten, die erst in den Räumen sichtbar werden, sowie auf die grüne Verkleidung der Aufzüge. Das Gestühl in den Hörsälen ist in den Farben Grün oder Gelb gehalten, mit darauf abgestimmten Vorhängen und ebenfalls passenden Vorlesungspulten. Im unteren Bereich fransen die Sitzreihen in Einzelplätze aus, die für Rollstuhlfahrer vorgesehen sind.
Mit dem Einzug nahm die Universität den Betrieb in die Hand. Für das Foyer hat sie im Kontrast zu Sichtbeton, grauen Geländern und der Deckenverkleidung aus leichtem Streckmetall das Sitzmobiliar ebenfalls in kräftigem Gelb und Grün sowie Orange angeschafft. Weniger glücklich sind die Entwerfer mit den Bildschirmen unterhalb der Geländer oder dem Anzeigenterminal der Tram, die ohne Rücksprache installiert wurden. Man wünscht, dass das noch ausstehende Leitsystem die notwendige visuelle Ordnung schafft.
Science Park
Der südliche Campus ist mit dem Hörsaalzentrum komplett, nördlich der Moritzstraße ist die Entwicklung in vollem Gange: Das Studentenwohnheim von Berger Röcker, Stuttgart, eine vollständig verglaste Zeile wie aus der Strangpresse, wird seit 2014 bewohnt; der dunkel gehaltene Bau für den Fachbereich Architektur, ebenfalls vom Architekturbüro raumzeit, soll Ende des Jahres bezogen werden, das Selbstlernzentrum von schönherr + juli Architekten, Fulda, steht im Rohbau; für die großen Gebäude der Naturwissenschaften sind die Ausschreibungen in Vorbereitung.
An der äußeren nordöstlichen Ecke ist in diesem Jahr der „Science Park Kassel“ bezogen worden. Im Nachgang zum Wettbewerb für das „Gründungs- und Innovationszentrum“ haben sich Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten, Stuttgart, durchgesetzt, als wegen finanzieller Kürzungen die vier Preisträger gebeten worden waren, ihre Entwürfe zu „optimieren“. Das verhieß möglichst konventionelles Bauen, denn die Universität und die Stadt Kassel als Betreiber wol-len günstige Mietkonditionen bieten, um attraktiv für Ausgründungen der Forschung oder Start-up-Unternehmen zu sein. Der realisierte Entwurf lag auch nach der Schlussrechnung nur 1,5 Prozent über der vorgegebenen Kostenobergrenze, bietet mit Mieten von 7,50 Euro pro Quadratme-ter günstige Flächen an und sieht dennoch außen wie innen nicht banal aus.
Die „Brezelform“, die sich aus der mit zwei Höfen versehenen, polygonalen Form ergibt, war durch das städtebauliche Gestaltungskonzept vorgegeben. Vom Campus, von dem aus das Gebäude erschlossen wird, zum Freiraum an der Ahne war ein Geschoss zu überbrücken, was im größeren Hof durch einen Höhensprung erfahrbar wird. Im unteren Bereich sind folgerichtig die zweigeschossigen Werkhallen und Studios einseitig angeordnet; die Bürostruktur in den Ober-geschossen hingegen ist klassisch mit einem Mittelgang versehen.
Die Fassade besteht aus vorgesetzten, hell eloxierten Aluminium-Kästen mit raumhoher Verglasung im Rastermaß von 1,5 Metern; in die äußerlich deutliche Laibung ist der Sonnenschutz in-tegriert. Material und Farbe folgen dem städtebaulichen Gestaltungskonzept und stehen auf den ersten Blick im Gegensatz zum Sichtbeton und dem reduzierten Ausbaustandard im Inneren. Die Architekten sprechen von einem „veredel-ten Rohbau“, mit dem sie den Wunsch nach größtmöglicher Flexibilität der Raumzuschnitte erfüllen. Das gilt ebenso für die offen geführten Installationen, die der Bauherr erst akzeptierte, als in Nutzerworkshops für die Ästhetik des Unfertigen plädiert wurde. Gemeinschaftlich genutzte Bereiche wie das Café wurden hochwertig ausgestattet, auch die Treppenwangen aus weiß lackiertem Streckmetall erhielten Handläufe aus Holz.
Die Vermietungsquote beträgt bereits jetzt siebzig Prozent, auch besondere Räume wie das „Idea Lab“, das mannigfaltige Möglichkeiten für gemeinsames Arbeiten bietet, oder der Cowork-ing-Space, in dem einzelne Arbeitsplätze ab 9 Euro pro Tag erhältlich sind, werden rege nachgefragt.
Im Gegensatz zu der rauen Ästhetik des Bauwerks steht die Ausstattung, die aus einem gesonderten Budget finanziert wurde. Für die Einrichtung des Coworking-Space wurde ein Wettbewerb unter Designern ausgeschrieben, den das ortsansässige Studio aust & amelung mit „Set up your Space“, bestehend aus rollbaren Schreibtischen und stoffbespannten Trennwänden, sowie die Produktdesignstudenten Fabian Kolpack und Tim Mackerodt mit „Idea Hub“, einer fahrbaren Regalwand, gewonnen haben.
Der Science Park wird als Raum der Hochschule wahrgenommen und das ist gut so. Denn ob Hang und vermeintlicher Zwang der Universitäten, mit der Speckseite „öffentliche Forschung“ nach der Wurst „Drittmittel“ zu werfen, sprich, die Wissenschaft mit wirtschaftlichen Interessen zu verquicken, die richtige Entscheidung in dem auf seine wissenschaftliche Unabhängigkeit stets stolzen Deutschland ist, bleibt offen. Die beiden Neubauten glänzen unabhän-gig davon – für den Hochschulstandort Kassel.
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