Hörsaalzentrum und Mensa, Campus Westend
Text: Elser, Oliver, Frankfurt/Main
Der erste Bauabschnitt auf dem Campus Westend ist vollendet: Zwei Institutsbauten von Jan Kleihues/Norbert Hensel und Müller Reimann Architekten sowie das Hörsaalzentrum und die Mensa von Ferdinand Heide reihen sich ordentlich hinter Hans Poelzigs IG Farben-Haus auf. Hat die „Berliner Schule“ hier ihr natürliches Umfeld gefunden?
Haus sucht Hüter – so lässt sich die Situation knapp zusammenfassen, die 1994 nach dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus dem Frankfurter Westend entstanden war. Wie aus einem Dornröschenschlaf erwacht, stand das ehemalige Verwaltungsgebäude des IG Farben-Konzerns in einem bemerkenswert gepflegten Zustand wieder zur Verfügung, nachdem es zuletzt als militärische Kommandozentrale gedient hatte. Die Amerikaner schätzten „the Farben building“ so sehr, dass sie dauerhaft einen Architekten mit Rangabzeichen für die Bauunterhaltung eingesetzt hielten. Die Deutschen taten sich zunächst schwer, eine Nachnutzung für das 1928–31 durch Hans Poelzig errichtete „Haus der 1000 Fenster“ zu finden. Ob die Architektur „protofaschistisch“, also eine Vorwegnahme der NS-Bauten sei, wurde seinerzeit, aber selbst noch auf einem Frankfurter Poelzig-Symposion im Jahr 2008 leidenschaftlich diskutiert. Vor allem aber wegen der unrühmlichen Rolle der IG Farben im NS-Regime und der direkten Verbindung zum Massenmord durch das Firmenprodukt „Zyklon B“ fiel es schwer, eine Perspektive für den Bau zu entwickeln. Als Sitz der Europäischen Zentralbank erschien er ebenso wenig geeignet wie als neues Polizeipräsidium.
Die Lösung brachte das Gedankenspiel der Frankfurter Goethe-Universität, den bisherigen Campus in Bockenheim aufzulösen, dessen sanierungsbedürftige Nachkriegsbauten hinter sich zu lassen und mit allen nicht-naturwissenschaftlichen und nicht-medizinischen Fakultäten einen Neubeginn im IG Farben-Gebäude und auf dem dahinter liegenden ehemaligen Kasernengelände zu wagen, das dafür komplett abgeräumt wurde.
Im Jahr 2001 wurde das IG Farben-Haus – wie es nun offiziell heißt, nachdem sich „Poelzig-Bau“ als tendenziell geschichtsklitternde Bezeichnung nicht durchsetzen konnte – nach einer Renovierung wiedereröffnet (Heft 46.2001). Im Jahr 2003 fand der städtebauliche Wettbewerb für den dahinter anschließenden Campus statt, den der in Frankfurt und Berlin ansässige Architekt Ferdinand Heide gewann. Im Jahr darauf schloss der Realisierungswettbewerb für den ersten Bauabschnitt an. Innerhalb dieses Verfahrens wurden fünf Baufelder vergeben, die mit Beginn des Wintersemesters 2008/09 größtenteils fertiggestellt wurden: Auf der zentralen Bebauungsachse im Anschluss an Poelzigs Wirtschaftsgebäude (später Casino, nun Mensa und Veranstaltungssäle) sind dies ein weiteres Mensagebäude, das Hörsaalzentrum und das Wohnheim der katholischen Hochschulgemeinde. Westlich davon wurden das „House of Finance“ und ein Doppelgebäude für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften realisiert. Der zweite Bauabschnitt (Fachcluster Gesellschaftswissenschaften, Erziehungswissenschaften, Psychologie und Humangeographie) wurde 2007 entschieden. Weitere Bauabschnitte folgen, da der Masterplan Ferdinand Heides erst zur Hälfte abgearbeitet ist.
Bereits jetzt lässt sich jedoch die Stärke der ursprünglichen städteplanerischen Idee überprüfen, da mit der zentralen steinernen Achse und den flankierenden Grünbereichen die wesentlichen Bausteine erkennbar sind. Heides Entwurf setzt, verglichen mit den übrigen seinerzeit prämierten Arbeiten (Heft 16.2003), ein überschaubares und dadurch ungleich prägnanteres Regelwerk. Entscheidend ist nicht, in welcher Grundrissfigur und -größe die Gebäude realisiert werden, sondern ob die durch die Poelzig-Bebauung vorgegebene Zonierung beibehalten wird. Dies ist bisher gelungen, auch wenn die Belegung der Baufelder teilweise ausgetauscht wurde, ihre Größe sich geändert hat oder strikte „Blockkanten“ zugunsten von großzügigen Fahrradabstellplätzen aufgegeben wurden.
Maßgeblich zur Ensemble-Wirkung beigetragen haben das Fassadenmaterial und die „Sprache“ der Bauten. Heides Mensa und sein Hörsaalzentrum auf der mittleren steinernen Achse nehmen mit einem toskanischen Travertin die Farbigkeit von Poelzigs Cannstatter Travertin auf. Die beiden westlichen, am Rande des Grüneburgparks errichteten Institutsbauten der Büros Kleinhues+Kleihues (House of Finance) und Müller Reimann (Rechts- und Wirtschaftswissenschaften) hingegen verwenden eine deutlich hellere, fast weiße Travertinsorte. Beide variieren das Thema der „Berliner Lochfassade“, während Heides Bauten als gemäßigt „skulpturale“ Großformen angelegt sind.
Wächter über diese in der Summe überraschend disziplinierte Gestaltung war jedoch nicht der Masterplaner, sondern der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler. Ihm gelang es, für die bisherigen Realisierungswettbewerbe des ersten und zweiten Bauabschnitts als „Sonderberater“ hinzugezogen zu werden und bei den zuständigen hessischen Landesministern für Finanzen und Wissenschaft sowie beim Universitätspräsidenten Gehör zu finden mit seinem Plädoyer für Natursteinfassaden und eine – wie etliche Frankfurter Architekten beklagen – konservative Haltung bei der Entwicklung der Baukörper.
Statt aber vorschnell aus der Herkunft der Architekten und der Schirmherrschaft Mäcklers zu folgern, hier sei eine „Berliner Enklave“ entstanden, empfiehlt sich eine genaue Betrachtung des Ensembles. Nicht vergessen werden sollte, dass das, was mittlerweile zur Berliner Steintapetenarchitektur gezählt wird, in der Hauptstadt oft Investorenarchitektur schmückt, bei der der Einflussbereich der Architekten schon Millimeter hinter der ersten Steinschicht endet. In Frankfurt hingegen tritt die öffentliche Hand als Bauherr auf, und es zeigt sich, insbesondere an dem Gebäude der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, welche Möglichkeiten in dieser Spielart des Neorationalismus stecken, wenn die Architekten nicht gezwungen sind, jeden Quadratzentimeter an vermietbarer Fläche herauszuquetschen. Das Stäbchenspiel der Fassade mag irritierend rigide sein; im Innenraum aber finden Müller Reimann zu einer unerwarteten Variationsbreite. Angefangen von den grünlich- und bräunlich eingefärbten Wänden über die aufwendigen Holzverkleidungen der offenen Treppenhäuser bis hin zur Bibliothek, die sich über zwei Geschosse um einen Gartenhof erstreckt, ist hier ein gleichermaßen heiter gestimmtes wie offensichtlich in seiner Benutzbarkeit robustes Lehrgebäude entstanden.
Im „House of Finance“ indes herrscht die klirrend-kühle und gleichzeitig billig-aufgesetzte Atmosphäre eines Bankgebäudes neueren Datums. Das mag damit zusammenhängen, dass hier verschiedene Bankhäuser als Stifter auftraten. Aber es ist ja im Grunde grotesk, dass sich diese, von vielen Seiten als nicht wissenschaftsverträglich angefeindete institutionelle Konstruktion derart deutlich aus dem Bauwerk selbst, insbesondere aus seinen Innenräumen herauslesen lässt. Da stehen beispielsweise in der nicht nur erschreckend leeren, sondern auch auf ein unsinniges Ziel hin ausgerichteten zentralen Halle an den Wänden vereinzelte Ledersesselpaare, die ein Chrom-Glas-Tischchen in die Zange nehmen. Das wirkt auf lächerliche Weise steif, weil in allen anderen Uni-Gebäuden an solchen Orten ungezwungene Lounge-Möbel bereitstehen und auch rege genutzt werden. Sollen hier keine Studenten herumlümmeln? Stattdessen erleben Investmentbanker von morgen ihre ästhetisch katastrophale Sozialisation in einem im Grunde nüchternen Bürobau, der etwas aufgeprotzt wurde. Einzig die ungewöhnlichen, U-förmigen Hörsäle lassen ahnen, dass auch bei diesem Bauwerk hinter der tadellos detaillierten Fassade noch etwas zu entdecken sein könnte.
Für die beiden öffentlichsten Bauten des neuen Campus, das Hörsaalzentrum und die Mensa, hat Ferdinand Heide deutlicher als seine Kollegen an Poelzigs Architektur Maß genommen. Durch die Wahl eines ähnlichen Steins und das „Kopieren“ des Bauvolumes des Casinos entsteht eine Gebäudekette, die dem Campus als Rückgrat dient. Der steinerne Platz zwischen Hörsaalzentrum und Mensa ist der belebteste Ort; ein schönes Detail auf dem Platz ist der Pusteblumen-Brunnen, der vom alten Bockenheimer Campus hierher umgesiedelt wurde – eine gute Entscheidung. Verglichen mit dem seriellen Poelzig-Bau und den Institutsgebäuden der beiden Berliner Kollegen, erscheint das Hörsaalzentrum jedoch ein wenig plump. Man spürt förmlich, wie der Architekt zwischen skulpturaler Gestaltungslust und seinem eigenen Reglement hin und her schlingerte. Mit dem Innenraum, wo eine Treppenskulptur bis zu den im Sommer auch tatsächlich genutzten Freiluftseminarflächen auf dem Dach führt, ist er deutlich souveräner umgegangen.
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