Ins Licht
Der Kirchenraum von St.Trinitatis in Leipzig
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
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Die Gemeinde gruppiert sich im „offenen Circumstantes“ um den ebenerdigen Altarbereich.
Foto: Simon Menges
Die Gemeinde gruppiert sich im „offenen Circumstantes“ um den ebenerdigen Altarbereich.
Foto: Simon Menges
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Scheint die Sonne durch das Fensterkreuz in der Westwand, „verdoppelt“ sich das Altarkreuz.
Foto: Simon Menges
Scheint die Sonne durch das Fensterkreuz in der Westwand, „verdoppelt“ sich das Altarkreuz.
Foto: Simon Menges
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Der Blick in die seitliche Werktagskapelle.
Foto: Simon Menges
Der Blick in die seitliche Werktagskapelle.
Foto: Simon Menges
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Der Künstler Jorge Pardo hat die liturgischen Orte gestaltet. Die Rot-Weiß-
Goldenen Muster sind ein Spiel auf Grundlage des Kreuzmotivs.
Foto: Simon Menges
Der Künstler Jorge Pardo hat die liturgischen Orte gestaltet. Die Rot-Weiß-
Goldenen Muster sind ein Spiel auf Grundlage des Kreuzmotivs.
Foto: Simon Menges
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Das horizontale Kirchenfenster in der Nordwand ist eine Arbeit von Falk Haberkorn. Von außen sind darauf die vollständigen Texte von Neuem und Altem Testament zu lesen – auf zwei Scheiben übereinander – , von innen der Anfang des Johannes-Prologs, „Im Anfang war das Wort“.
Foto: Simon Menges
Das horizontale Kirchenfenster in der Nordwand ist eine Arbeit von Falk Haberkorn. Von außen sind darauf die vollständigen Texte von Neuem und Altem Testament zu lesen – auf zwei Scheiben übereinander – , von innen der Anfang des Johannes-Prologs, „Im Anfang war das Wort“.
Foto: Simon Menges
Philosophisch gesprochen bedeutet für die katholische Propsteigemeinde in Leipzig der Wechsel vom alten zum neuen Kirchenraum die Differenz ums Ganze. Ohne künstliche Beleuchtung wirkt der bisherige Kirchensaal aus DDR-Zeiten im Vergleich wie eine Gruft: Sehr gedämpft dringt das Tageslicht durch die Wände aus Glassteinen, die in Betonwaben eingegossen sind. Das gefühlte Dunkel verstärkt die künstlerische Ausstattung durch den Metallgestalter Achim Kühn. Als „Zelt Gottes unter den Menschen“ umfängt den Altarbereich eine mehrfach gefaltete Rückwand in rostbraunen Tönen.
Der neue Kirchensaal von St.Trinitatis verkörpert das genaue Gegenteil. Nach außen hin durch die homogenen Fassaden aus sorgfältig gefügten Porphyr-Steinen fast geschlossen, überrascht der Raum mit 14,50 Metern lichter Höhe den Besucher durch eine vibrierende Helligkeit. Maßgeblich dafür ist das Oberlicht auf der Ostseite in 22 Metern Höhe: Aus einer für die Gläu-bigen unsichtbaren Quelle fällt Zenitlicht unterschiedlicher Intensität auf die gesamte Rückwand hinter dem Altar. Durch diese Lichtführung, sozusagen aus dem Himmel heraus, wird das Empfinden von Transzendenz noch gesteigert. Bei unserem Rundgang betont Ansgar Schulz die Absicht der Architekten, der Gemeinde ein „auratisiertes Wohnzimmer“ zu schaffen. Das „Licht aus der Höhe“ sorgt für eine klare Orientierung auf den Altarbereich hin – das Licht erweist sich auch hier als jener immaterielle Baustoff, den der herausragende finnische Kirchenarchitekt Juha Leiviskä als sein wichtigstes Material bezeichnet hat.
Schönheit der Raumgestalt
In seiner Disposition folgt der neue Kirchensaal den grundlegenden Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils: Aufhebung der Trennung zwischen Priester- und Gemeindebezirk, Volksaltar anstelle von Hochaltar, Versammlung der Gläubigen im Sinne der „Communio“ um die liturgische Mitte. Erschlossen wird St.Trinitatis vom Pfarrhof aus durch den breiten, zum Hof hin einladend verglasten Vorraum. Nach dem niedrigen Durchgang unter der Empore öffnet sich der helle Saal in seiner ganzen Höhe und Weite. Schon beim ersten Blick erschließt sich die Schönheit der Raumgestalt: durch die guten Proportionen, die ruhigen Wandflächen, die großzügigen Wege. Der nach Osten orientierte Saal ist jedoch quer angelegt, damit sich die Gläubigen möglichst nah um den Altar versammeln können. Am Eingang steht auf der Mittelachse der Taufstein, welcher der wachsenden Gemeinde auch als zentrales Weihwasserbecken dient. Von dort aus erreicht man über ein leichtes Gefälle den Gegenpol zum Taufstein, den Altarbezirk. Ist dieser gewöhnlich erhöht angeordnet, so soll er hier keine Schwelle zum Bereich der Gemeinde bilden. Auf zwei Seiten wird der Saal von der Empore umschlossen, auf der dritten von der Werktagskapelle, die durch den Standort des Tabernakels auch als Sakramentskapelle für das stille Gebet fungiert. Zur gestalterischen Schönheit trägt nicht zuletzt die Beschränkung auf wenige Materialien bei: heller Putz, Eichenholz und Travertin.
Liturgische Vielfalt
Die Architekten sollten im Kirchenraum liturgische Vielfalt ermöglichen; Propst Gregor Giele, der „Mission als Vorschlagen des Glaubens in der heutigen Gesellschaft“ versteht, formulierte das so: „Der missionarisch ausgerichteten Gemeinde geht es darum, einen Raum zu erhalten, der für vielfältige liturgische und geistliche Vollzüge geeignet ist. Eine zu starre Festlegung des Raumes scheint da kontraproduktiv. Gerade der Osten Deutschlands entwickelt sich zunehmend zu einem pastoralen und liturgischen Experimentierfeld.“ Diese Vorgaben für unterschiedliche Handlungsformen erfüllt St.Trinitatis. Die Bankreihen mit 600 – notabene – bequemen Sitzplätzen sind in sechs Segmente unterteilt, sodass vom Altar aus die anderen kultischen Orte, darunter die Nische zur Marienverehrung, auf direkten Wegen erreicht werden können. Weil die Kirchenmusik in der Gemeinde eine lange Tradition hat, betont Propst Giele die Bedeutung von Orgel und Chorempore als „dritten Verkündigungsort“. Musik sei die wichtigste „Kontaktstelle“ zu Menschen, die nicht zur Gemeinde gehören. Wie im früheren Kirchensaal befindet sich die Orgel auf der Empore links von Altar und Ambo, was es dem Organisten ermöglicht, in Sichtbeziehung zum Zele-branten zu spielen.
Kunst im Bau
Der ansonsten schmucklose Kirchenraum enthält zwei überzeugende künstlerische Beiträge, die
in Wettbewerben ermittelt wurden. Das ebenerdige, 22 Meter lange und drei Meter hohe Kirchenfenster, das als „Schaufenster zur Stadt“ in der Nordfassade liegt, gestaltete der Leipziger Künstler Falk Haberkorn. Seine Arbeit besteht aus transluzenten Glasscheiben in drei Schichten mit aufgebrachter Schrift. Je nach Lichtszenario kann man auf der Außenscheibe den vollständigen Text des Neuen Testaments lesen, auf der dahinterliegenden Scheibe den des Alten Testaments – als Schnittstelle zwischen profaner und sakraler Welt soll das Kunstwerk auf den Glauben neugierig machen. Bei der Innenscheibe im Kirchenraum entschied sich Haberkorn für die ersten Sätze des Johannes-Prologs, „Am Anfang war das Wort“.
Der in Los Angeles lebende kubanisch-amerikanische Künstler Jorge Pardo erhielt den Auftrag für die Gestaltung der liturgischen Orte – der Altar, der Taufstein, der Ambo, der Tabernakel, die Sedilien (Sitze für Priester, Diakone und Ministranten) sowie das – hier griechische – Altarraumkreuz. Jenseits aller Bildhaftigkeit setzt Jorge Pardo auf einfache Formen, auf Farbe und Ornament. Diese Radikalität mag verstören, tut aber dem Kirchensaal gut: Mit einer Ornamentik, die man sogar interreligiös deuten darf,
bilden die in Rot und Gelb leuchtenden Objekte festliche Blickpunkte im vermeintlich „leeren“ Raum. Hierzu sei an ein Wort des Kirchenbaumeisters Rudolf Schwarz erinnert, den die Architekten Schulz und Schulz zu ihren Vorbildern zählen: „Es ist gut, dass unsere neuen Räume so ‚leer‘ sind, dass sie erst durch die menschliche Gestalt erklärt werden.“
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