Bauwelt

Kindergarten


Maßstäblich verkleinert


Text: Dransfeld, Agnes, Berlin


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    Foto: Hertha Hurnaus

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Als die Südtiroler Gemeinde Terenten für ihren Kindergarten einen Neubau beschloss, setzte sich der Bürgermeister für die Mitwirkung der Erzieherinnen im Planungsprozess ein. Das Ergebnis der Zusammenarbeit von Architekten, Pädagogen und Gemeinde ist eine von pädagogischen Grundsätzen geprägte Architektur und eine durch Architektur veränderte Pädagogik.
Der Ort Terenten liegt auf einem Hochplateau an der Strada del Sole auf halbem Weg zwischen Bruneck und Brixen in Südtirol. Vom Ort aus blickt man Richtung Süden weit über das Pustertal, im Norden ziehen die Zillertaler Alpen den Blick auf sich. Der neue Kindergarten steht in der Ortsmitte neben der Grundschule, auf der Fläche des ehemaligen Minigolfplatzes, welcher für den Neubau verlegt wurde.
Dem Bau des Kindergartens ging 2007 eine Machbarkeits­studie voraus, die vom Wiener Büro feld72 architekten durchgeführt wurde. Die zu jenem Zeitpunkt vom Kindergarten genutzten Räume im Gebäude der Grundschule reichten für die große Anzahl an Kindern schon lange nicht mehr aus. Mit der dringenden Lösung dieses Platzproblems war auch die Neuordnung der Ortsmitte verbunden. Nachdem ein Erweiterungsbau der Grundschule aus technischen und finanziellen Gründen verworfen worden war, entstand das Programm für einen eigenständigen Neubau. Fünf Architekturbüros wurden zur „Anbotslegung“ eingeladen, bei der sie sich mit Referenzprojekten und einem Honorarangebot um das Projekt bewerben mussten. Den Zuschlag erhielten feld72 architekten.
Der damalige Terentener Bürgermeister wollte in dem Projekt einen Konsens zwischen Architektur und Pädagogik erreichen. Auf seine Initiative hin wurden sowohl das Kindergartenpersonal als auch die übergeordnete Direktion in den Entwurfsprozess mit einbezogen. In regelmäßigen Treffen wurden mit den Architekten die Bedürfnisse der Kinder und Erzieher besprochen. Martha Unterhofer, Leiterin des Kindergartens, betont, dass sich das Kollegium in gestalterischen Fragen jedoch zurückgehalten habe.
Der Neubau bietet auf 1045 Quadratmetern Platz für 74 Kinder und acht Erzieherinnen. Von der Straße aus betrachtet, scheint der Kindergarten aus drei „Häusern“ zu bestehen, die durch zwei verglaste Zwischenbauten miteinander verbunden sind. Die beiden größeren Häuser sind zweigeschossig. Im Erdgeschoss liegen nach Süden orientiert die Gruppenräume und nach Norden die Waschräume. In den zum Teil offenen Obergeschossen befinden sich Sondernutzungen wie kleinere Spielflächen, eine Galerie und ein Puppen- und Rollenspielbereich.
In Längsrichtung verläuft im Inneren ein langer Flur, der sich an den Glasfugen aufweitet. Der Haupteingang liegt in dem verglasten Bereich zwischen dem mittleren und dem kleinsten Haus, das von der Ortsmitte aus gesehen den Auftakt zum Kindergarten bildet. Direkt neben dem Eingang befindet sich ein offener Raum, in dem sich Eltern etwas länger aufhalten können, wenn sie ihre Kinder bringen. Daran angeschlossen ist der Personal- und Büroraum mit einer abgetrennten Koje für Elterngespräche. Diese Funktionen wurden von den Erzieherinnen eingefordert, da sie im alten Kindergarten nicht vorhanden waren.
Über eine lange, relativ flache Treppe gelangt man vom Eingang nach unten, zunächst in den Bewegungsraum und weiter in den dritten Gruppenraum. Durch die Hanglage liegen auch diese Räume ebenerdig. Das Dach des Untergeschos­ses ist die Spielterrasse der beiden oberen Gruppen. In allen drei Gruppenräumen ist eine Art „Höhle“ integriert: ein abgedunkelter, niedriger Raum mit kleinen Öffnungen.
Unerwünscht Vernakuläres
Die Architekten wollten mit dem Neubau des Kindergartens die Südtiroler Architektur thematisieren, ohne sie zu imitieren, und sie den Kindern nahebringen. Zunächst war das Gebäude in Anlehnung an traditionelle Tiroler Stadel als Holzbau geplant gewesen. Die Dorfbewohner wehrten sich jedoch vehement gegen diese Analogie. Mehr aus Trotz denn aus wirklicher Gestaltungsabsicht schlugen die Architekten daraufhin eine Sichtbetonfassade vor, worauf die Ortsbewohner zu ihrer Überraschung eingingen. Das einzig deutlich sichtbare Element der Stadelidee sind heute die vertikalen Lamellen vor den Waschräumen, denn der weiß eingefärbte Sichtbeton gleicht trotz Bretterschalung aus der Ferne nahezu den Putzfassaden in der Nachbarschaft. Um die Idee der einzeln stehenden Häuser auch im Inneren sichtbar zu machen, sind die Wände im Eingangsbereich ebenfalls aus Sichtbeton. Die übrigen Innenwände sind wie die schallschluckenden Decken schlicht weiß. Ein helles Grün akzentuiert als einzige Farbe besondere Bereiche wie die „Höhlen“ oder die bespielbare Fläche des Einbauschranks im Bewegungsraum. Dieses Maßmöbel ist Trennwand, Spielgerät und Stauraum in einem.
Die Dächer sind mit handgespaltenen Lärchenschindeln gedeckt. Das Dach des östlichen „Hauses“ wird in der Glasfuge weitergeführt, so dass die Kinder auf der Galerie über die Schindeln streichen können. Die zur Grundschule weisende Seite des Untergeschosses ist mit einer vertikalen Lärchenscha­lung verkleidet, die die großen Öffnungen des Bewegungsraumes fasst.
Die Architektur als Betreuer
Martha Unterhofer berichtet, dass die Kinder besonders die vielen Fenster und großen Glasflächen mögen. Sowohl die Durchblicke im Gebäude als auch die Ausblicke würden von ihnen stark wahrgenommen. Häufig lägen Kinder auf der Fensterbank, um das Geschehen auf der Terrasse, dem Sportplatz und dem öffentlichen Spielplatz zu beobachten. Die horizon­talen Glasflächen böten ihnen völlig neue Perspektiven. Vor allem den ersten Schnee hätten sie begeistert durch die Dachverglasung beobachtet, bis er sie allmählich zudeckte.
Dank der großen Offenheit der Strukturen und der sehr sparsa­men Verwendung von Türen und Abtrennungen können sich die Kinder frei im Gebäude bewegen. Sie dürfen jederzeit alle Räume nutzen. Erschließungs- und Nutzflächen werden so zu Spielflächen. Der breite Flur ist Garderobe und „Rennbahn“ in einem. Die Sorge der Eltern, dass sich ihre Kinder bei so vielen Nischen, Räumen und Möglichkeiten nicht orientieren können, hat sich nicht bewahrheitet – die Kinder hätten das neue Gebäude sofort erkundet und fänden sich sehr gut darin zurecht, so die Leiterin. Eine weitere Angst der Eltern, nämlich dass die Kinder über die Geländer der Galerie klettern könnten, hat sich ebenfalls als unbegründet erwiesen. Erstens seien die meisten Kinder schlicht zu klein dafür, und zweitens gäbe es gar keinen Anlass dazu, da sie durch die groben Maschen der Absturzsicherung freien Blick auf das Geschehen haben.
Die neuen Strukturen verlangten aber auch von den Erzieherinnen ein Umdenken. Es gibt im Kindergarten viele Ecken und Nischen, in die sich die Kinder zurückziehen, eingebaute Möbel, in die sie kriechen können. Die Erzieherinnen hätten lernen müssen, die Kinder loszulassen und ihnen mehr Selbstverantwortung und Verantwortung füreinander zu übertragen, sagt Martha Unterhofer. Das Gebäude übernimmt seinen Teil der Betreuung, indem es die Kinder anregt, sich selbst zu beschäftigen. So bleibt den Erzieherinnen mehr Zeit, sich jenen Kindern zu widmen, die im Augenblick besondere Aufmerksamkeit brauchen.



Fakten
Architekten feld72 architekten, Wien/Bozen
Adresse St Georgstr 3,I-39030 Terenten


aus Bauwelt 5.2011
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