Bauwelt

Kindergarten


Rück- und Weiterbau


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Foto: Tomas Riehle

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Das evangelische Gemeindehaus in Dinslaken, ein mehrfach erweitertes Konglomerat, sollte weiterwachsen. Jutta Heinze ist es gelungen, die Qualität des Vorhandenen herauszuarbeiten und es mit dem Hinzugefügten in etwas Neuem aufgehen zu lassen.
In der Duisburger Straße in Dinslaken ist auf den ersten Blick nicht viel zu entdecken von der Transformation, die das evangelische Gemeindehaus samt seinem Kindergarten hinter sich hat: Selbstbewusst wie eh und je steht der denkmalgeschützte villenartige Bau aus dem Jahr 1913 mit seinem mächtigen Walmdach da, strahlend weiß gestrichen wie sein Anbau aus den fünfziger Jahren – der Betrachter meint, eine Renovierung vor sich zu haben. Wer aber den Zustand des Gebäudes im Jahr 2008 erinnert, kann Details entdecken, die stutzig machen. Hatte der Anbau nicht ein flach geneigtes, deutlich überstehendes Dach? Sah er im Ganzen nicht etwas weniger scharfkantig aus? War nicht auch die Eingangstreppe eine ganz andere? Und wer daraufhin einen Blick ins Innere werfen möchte, der wird sich des Ausmaßes und der Eleganz des hier vorgenommenen Eingriffs rasch bewusst.
Gartenarbeit Bestandspflege
Abreißen, was falsch gewuchert ist, hegen, was dem Ganzen nützt, und richtige Triebe für gesundes Wachstum ziehen – die Entwurfsarbeit von Jutta Heinze und ihrem Partner Giacomo Riggio lässt an das Wirken eines Gärtners denken, der sich dem gedeihlichen Werden einer ihm anvertrauten Pflanze widmet. Das Duisburger Architektenpaar hat mit wenigen, aber gezielten und alles andere als unsichtbaren Eingriffen aus dem in vielen Erweiterungen unklar gewordenen Bestand wieder ein identifizierbares Ganzes geschaffen. Zunächst: Der Haupteingang ins Gemeindehaus liegt neuerdings in einem Anbau auf der Nordostseite des Altbaus, und zwar, barrierefrei, in dessen Sockelgeschoss; die alte Eingangstreppe zur Straße wurde zwar in ihrer ursprünglich dreiläufigen Anlage wiederhergestellt, die Haustür im Portikus aber bleibt künftig meist verschlossen. Der neue Eingang führt den Besucher über eine einläufige Treppe in die Haupterschließungsachse, die dem Gemeindehaus in ganzer Länge auf der Gartenseite vorgelagert wurde und den Gemeindesaal und das Jugendheim erschließt. An der nördlichen Schmalseite ist dieser lange Gang an einem schmalen, mit vertikalen Holzleisten verkleideten Fassadenstreifen ablesbar, der bündig an die Putzarchitektur des Altbaus anschließt. Diese Holzfassade ist der Mantel für die beiden Hauptbestandteile der Transformation, welche die durch kleinere Abbruchmaßnahmen aus dem Vorgefundenen herausgeschälte L-förmige Gebäudeanlage zu einer neuen Figur ergänzen: für die besagte Haupterschließungsachse und für die in den Garten ausgreifende Erweiterung des Kindergartens im Sockelgeschoss, welche das Gebäudekonglomerat zu einer kubisch gestaffelten Figur auf rechteckiger Grundfläche hat wachsen lassen – zu etwas, das als Zusammengehöriges erkennbar geworden ist. Die Leisten der Fassadenbekleidung bestehen übrigens aus Accoya-Holz. Dieses Kunstwort bezeichnet ein durch Acetylierung widerstandsfähig gemachtes Holz, das sich für die Verwendung im Außenbereich besonders eignet und damit eine Alternative darstellt zu dem von Natur aus harten Tropenholz. Acetylierung ist ein chemischer Modifikationsprozess, bei dem die Zellstruktur einer wenig widerstandsfähigen Holzart durch die Behandlung mit Anhydriden dauerhaft so verändert wird, dass eine Besiedelung der Holz­oberfläche etwa durch Pilze oder Insekten erschwert wird. Auch die Feuchtigkeitsaufnahme wird durch dieses Verfahren reduziert, was das Quellen und Schwinden des Materials verringert und damit der Rissbildung vorbeugt.
Der Kindergarten wird nach der Erweiterung nicht mehr von der Garten-, sondern von der südlichen Schmalseite aus erreicht. Da die Primärkonstruktion des Altbaus nicht zuletzt aus Kostengründen beibehalten wurde, ist durch die Erweiterung ein dreihüftiger Grundriss entstanden. Die Aufenthaltsräume der Kinder orientieren sich nach Südwesten zum Garten hin und sind über eine vorgelagerte Terrasse mit diesem verbunden. An der Straßenseite liegen die Räume des Personals, ein Turn- und ein Schlafraum; in der Kernzone wurden die Nebenräume und eine Art „Allraum“ angeordnet, welcher als erweiterte Spielfläche ebenso dient wie für Zusammenkünfte mehrerer Gruppen. Eine differenzierte, aber zurückhal­tende Farbgebung des Bodens macht die verschiedenen Berei­che leicht erfahrbar: ein warmes Gelb in den Gruppenräumen, Rot für Erschließungsräume und Küche, helles Fliesenmosaik in den Sanitärräumen der Kinder, dunkles in denen der Erwachsenen. Für die von den Architekten sorgfältig geplanten Möbel kam ein Holz von ähnlichem Farbton zum Einsatz wie im Außenbereich.
Altes im Neuen aufgehoben
Der Kindergarten als Unterbau des erwachsenen Gemeindelebens – schon der Verteilung der drei Bestandteile des Programms eignet eine sprechende Bildhaftigkeit. Der im Inneren des Kindergartens kaum spürbare Übergang zwischen alter und neuer Bausubstanz und die außen erkennbare Einheit des Ganzen trotz unterschiedlichen Ausdrucks an den vier Gebäudeseiten aber könnten, unterschwellig, den Kindern eine wichtige Botschaft mitgeben: dass sich Altes, in der Welt schon Vorhandenes, gebrauchen und zu etwas Neuem weiterbauen lässt und in diesem Neuen aufgehoben bleibt. Damit aber wäre nicht weniger gelungen als die beiläufige Vermittlung einer kulturellen Basisleistung.



Fakten
Architekten Heinze, Jutta, Duisburg
Adresse Duisburger Str. 72, 46535 Dinslake


aus Bauwelt 5.2011
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