Bauwelt

Kinderklinik Necker Paris


Ein neues Krankenhaus in einem innerstädtischen Umfeld zu planen, stellt jeden Architekten vor hohe Anforderungen. Am Boulevard Montparnasse gelang es, das Programm sehr kompakt zu organisieren.


Text: Ardenne, Paul, Paris


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    Kreuzung Boulevard Montparnasse/Rue de Sèvres mit der Metrostation Duroc.
    Foto: Philippe Ruault

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    Kreuzung Boulevard Montparnasse/Rue de Sèvres mit der Metrostation Duroc.

    Foto: Philippe Ruault

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    Der Gebäudekomplex mit den unterschiedlichen Fassaden an der Rue de Sèvres.
    Foto: Philippe Ruault

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    Der Gebäudekomplex mit den unterschiedlichen Fassaden an der Rue de Sèvres.

    Foto: Philippe Ruault

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    Die weitgehend offene Passage entlang der Straße.
    Foto: Philippe Ruault

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    Die weitgehend offene Passage entlang der Straße.

    Foto: Philippe Ruault

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    Noch nicht möbliertes Patientenzimmer
    Foto: Philippe Ruault

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    Noch nicht möbliertes Patientenzimmer

    Foto: Philippe Ruault

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    An der Passage entlang der Straßenfassade schließt der Innenhof mit der Patientenanmeldung an.
    Foto: Philippe Ruault

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    An der Passage entlang der Straßenfassade schließt der Innenhof mit der Patientenanmeldung an.

    Foto: Philippe Ruault

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    Über dem Glasdach sind auf vier Ebenen die Patientenzimmer angeordnet.
    Foto: Philippe Ruault

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    Über dem Glasdach sind auf vier Ebenen die Patientenzimmer angeordnet.

    Foto: Philippe Ruault

Der Architekt Philippe Gazeau sah sich mit einem Klinikkomplex konfrontiert, dessen Anfänge ins 18. Jahrhundert reichen und der im Laufe der Zeit ohne einen kohärenten Plan sukzessive zugebaut worden war. Kein Leitkonzept regelte, welche Bereiche für die Patientenaufnahme, die Behandlungszentren oder stationäre Abteilungen vorzusehen sind. Neue funktionale Anforderungen und weitere medizinische Abteilungen bedingten zusätzliche Ergänzungen. Das äußere Erscheinungsbild wurde dabei als zweitrangig erachtet. So spiegelte die Klinik Necker die fortgesetzte bauliche Vereinnahmung einer Parzelle in der Pariser Innenstadt im Namen einer zunehmend sich spezialisierenden medizinischen Versorgung wider. Das Ergebnis war, als logische Konsequenz, eine Inkohärenz bei den Abläufen.
Zum Entwurf des Neubaus befragt, formuliert der Architekt seine Zielsetzungen: „Von der Grundidee her sollte er drei Dinge können: Er sollte natürlich gut funktionieren, die Binnenstruktur des gesamten Geländes neu ordnen und schließlich die Klinik zur Stadt hin öffnen, damit sie sich in das bestehende Quartier einfügt. Wir wollten einen Gegenentwurf zu dem hermetischen, auf sich selbst bezogenen Gebäudekomplex.“
Thema war also vor allem das Bündeln, Verdichten, Zusammenführen. Allein schon die hoffnungslose Überalterung vieler Gebäude machte eine grundsätzliche Neuordnung unumgänglich. Von der historischen Substanz abgesehen lässt Gazeau auf dem Areal, das beim Wettbewerb bearbeitet werden sollte, nur einen einzigen Verweis auf neuere Zeiten stehen: den hohen Schornstein, auf dem Keith Haring einst eines seiner Graffiti sprühte. Ging es den Auslobern um den radikalen Bruch mit dem altehrwürdigen Krankenhaus? Dem Architekten aber lag nichts ferner als der Wunsch nach einem „reinen Tisch“: „Man kann den Bruch auch kontex-tuell handhaben“, betont er. Die dann gewählte Entwurfsvariante zielte in erster Linie auf eine Konzentrierung, die dem bisherigen Zerfließen und In-die-Breite-Gehen etwas entgegensetzt.
Dementsprechend hat der neue Klinikkomplex nicht nur auffallend kompakte Grundrisse, sondern auch eine gewisse Höhe im Vergleich zu den Nachbarbauten. Eine weiterer Kraftakt des Architekten war die Durchsetzung eines weitläufigen Parks, der dank der räumlichen Verdichtung möglich wurde – eine jenem Raum abgetrotzte Anlage, der bislang den alten, über das Gelände „wuchernden“ Krankenhausgebäuden vorbehalten war. Von den Bedürfnissen der Patienten und Rekonvaleszenten her betrachtet macht ein solcher Erholungsort unter freiem Himmel mehr als Sinn – aus der städtebaulichen Perspektive, die Gazeau für sich ins Feld führt, ebenfalls. Die Anlage liegt an der Schnittstelle zwischen Klinik und Wohngebiet, und so war ihm daran gelegen, sie zu einer öffentlichen Grünfläche zu machen.
Der Neubau besetzt das Eckgrundstück Boulevard Montparnasse/Rue de Sèvres: Ein mächtiger Baukörper, der mit seiner Eleganz den Standort aufwertet. Er präsentiert sich in zwei Blöcken als kohärente Gesamtform, die sich ohne Zwang in die Stadtsilhouette einfügt. Das Gebäude auf der Ecke hat eine Doppelfassade. Innen Beton, Aluminiumpaneele und Fensterbänder, außen Glas, das sich im vertikalen Zickzack über den Fünfgeschosser spannt. Im Erdgeschoss liegen die OP-Säle mit kleinen Fenstern nach außen – ein Novum in Frankreich –, in den Ebenen darüber die Büros der Verwaltung und Behandlungs- bzw. Besprechungsräume der Ärzte.

Laennec

An den Eckbau schließt sich entlang der Rue de Sèvres das zweite, gedrungenere Gebäude an, bei dem das Erdgeschoss ebenfalls großflächig verglast wurde. Im Laennec-Bau (nach dem Erfinder des Stethoskops benannt) ist die Patientenaufnahme untergebracht, dazu die Zimmer für die stationäre Unterbringung mit 404 Betten. Ab dem Sockel- und Eingangsgeschoss ist der Bau rundum von einer vorgehängten Fassade gefasst. Die in unregelmäßigem Muster angebrachten Mattglaselemente fungieren als Sonnen- und Sichtschutz. Die beiden Gebäude sind auf der Rückseite in den Obergeschossen über eine Brücke miteinander verbunden. Auch wenn die Bauten bei den Fassaden eine eigenständige Ästhetik aufweisen, wirken sie dank der Ähnlichkeit der gläsernen Hülle eher als Komplementäre denn als Gegensätze. Beim Laennec-Gebäude wurde im Erdgeschoss ein langgestreckter Wintergarten angelegt, wobei zwischen den zwei gläsernen Fassaden entlang der Straße ein Bambushain entstand. Die eher kostspielige Anlage lässt an eine exotische Plantagenpflanzung denken. Ähnlich den traditionellen Baumreihen entlang der Trottoirs bildet sie einen wirkungsvollen Schutz zur unmittelbar angrenzenden Straße. Der Bambus steht aber natürlich auch auf einer assoziativ-symbolischen Ebene für die Verbindung von Natur und Heilen.
Die Klarheit der Fassaden beruht auf dem klugen Einsatz von mattierten Glasflächen, die die gesamte Umgebung in eine sanfte, unaufdringliche Helligkeit rücken und aufwerten. Das Erleben der unterschiedlichen Tageszeiten mit ihren jeweiligen Stimmungen trägt zum Eindruck eines dezenten Raffinements bei, so wenn das Licht auf den Fassaden des Ensembles eine Vielzahl von plastischen Farb-Effekten mit starker visueller Lebendigkeit hervorruft.
Neues!
Auch diese Klinik zeugt von Gazeaus Impetus, der jedem seiner Entwürfe innewohnt: Stadt bauen. So ist die Klinik ein emblematischer Pol und zugleich ein geografischer Bezugspunkt für den Zutritt zum Stadtteil Montparnasse, der südlich anschließt. Die Kreuzung an der Metrostation Duroc hat sich verändert, an Eigenständigkeit gewonnen: Hier geht auch Neues!
Um das sonst vorherrschende Prinzip eines in sich geschlossenen Krankenhauskomplexes  aufzubrechen, bringt der Architekt das Gegenmodell ins Spiel: größte Durchlässigkeit. Die eigentliche Klinik, die weit „offener“ ist, als man es von Krankenhäusern in der Stadt gewohnt ist, lässt sich auf die Welt „da draußen“ ein. Der Laennec-Bau ist von „Passagen“ durchzogen, vor allem der großen Passage entlang der Straße. Der Innenhof in Form eines verglasten Atriums mit den Büros für die Patientenaufnahme schließt an diese „Rue intérieure“ an, die den visuellen Kontakt zur Rue de Sèvres zulässt. Patienten wie Besucher nehmen die Atmosphäre draußen selbst dann noch wahr, wenn sie bereits tief ins Herz der Gebäudes vorgedrungen sind. Diese Nähe zum Geschehen auf der Straße in Verbindung mit dem natürlichen Lichteinfall vermittelt im Kleinen den Eindruck von einem lebendigen städtischen Raum. Sie wird zum übergreifenden Leitmotiv für das ganze Ensemble und findet sich auch in der geschickten Handhabe wieder, mit der der Architekt das leichte Geländegefälle überspielt und für ein reibungsloses Ineinandergreifen verschiedener Eingänge und Bereiche sorgt.
Die Passagen und Flure sind in gedämpften, beruhigenden Farbtönen gefasst. In den Krankenzimmern fällt der Blick durch die Fenster meist auf ein Stück Himmel. Der Zuschnitt der Räume erlaubt gegebenenfalls die Unterbringung einer Begleitperson. Auch hier herrscht nicht das übliche Krankenhaus-Weiß vor, sondern eine freundliche, differenzierte Farbigkeit. Noch immer ist die Gesamtplanung nicht ganz fertig, denn der große öffentliche Park im Herzen des Areals nach Entwürfen des Landschaftsarchitekten Pascal Cribier wird gerade erst angelegt.
Das, was hier von Anfang an eingelöst wurde, war keine Vorgabe des „Nutzungsprofils“, das der Architekt, auch auf die Gefahr hin, den Wettbewerb zu verlieren, umgekrempelt hat. „Ope-rative Verschiebung“, lautete hierfür sein Motto: „Das Nutzungsprofil war ursprünglich in zwei unterschiedliche Partien unterteilt, das medizinisch-chirurgische Programm rund um den Operations-Trakt auf der einen, die Geburtsklinik und die Neonatologie mit der daran angeschlossenen Kardiologie auf der anderen Seite, also Chirurgie und Innere versus Mutter-Kind. Während der Ausarbeitungsphase für den Entwurf als extrem kompaktes Gebäude konnten wir zeigen, dass es möglich ist, diese beiden Schwerpunkte miteinander zu verschränken und gemeinsam zu realisieren.“
Wenn sich überhaupt eine Regel aus den bisher realisierten Bauten von Philippe Gazeau ableiten lässt, dann reiht sich sein Entwurfskonzept für den Klinikneubau Necker hier ein: Es gibt zunächst keine Regeln, das oberste Gebot lautet Anti-Regulation. Wichtig ist allein die Frage nach der Angemessenheit.
Aus dem Französischen von Agnes Kloocke



Fakten
Architekten Gazeau, Philippe, Paris
Adresse 149 Rue de Sèvres, 75015 Paris, Frankreich


aus Bauwelt 37.2015
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