Kultur- und Kongresszentrum in Thorn
Organische Architektursprache in Polen, importiert von den Kanaren: Fernando Menis hat das Kultur- und Kongresszentrum Jordanki tief in die Wallanlagen der Stadt Thorn eingegraben
Text: Kleilein, Doris, Berlin
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Das CKK Jordanki ist der jüngste Baustein der Kunst- und Kulturmeile am nördlichen Eingang zum UNESCO-Weltkulturerbe der Altstadt von Thorn
Foto: Iwan Baan
Das CKK Jordanki ist der jüngste Baustein der Kunst- und Kulturmeile am nördlichen Eingang zum UNESCO-Weltkulturerbe der Altstadt von Thorn
Foto: Iwan Baan
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Der warme Ziegelton bestimmt den großen Saal. Die Decke ist absenkbar, die schwarze Wand zum kleinen Saal lässt sich öffnen.
Foto: Iwan Baan
Der warme Ziegelton bestimmt den großen Saal. Die Decke ist absenkbar, die schwarze Wand zum kleinen Saal lässt sich öffnen.
Foto: Iwan Baan
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Wandrelief aus Beton im Probenraum, ...
Foto: Roland Halbe
Wandrelief aus Beton im Probenraum, ...
Foto: Roland Halbe
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... schallschluckender Tuffstein in Restaurant und Foyer
Foto: Roland Halbe
... schallschluckender Tuffstein in Restaurant und Foyer
Foto: Roland Halbe
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An der Außenfassade und im Konzertsaal zeigt sich ein roter Stein, wie er auch die Backsteingotik der Altstadt bestimmt
Foto: Jakub Certowicz
An der Außenfassade und im Konzertsaal zeigt sich ein roter Stein, wie er auch die Backsteingotik der Altstadt bestimmt
Foto: Jakub Certowicz
Und wieder macht eine polnische Stadt mit einem Kulturbau von sich reden, den südeuropäische Architekten entworfen haben: Nach der Philharmonie in Stettin und dem Shakespeare-Theater in Danzig (Bauwelt 10.15) hat sich auch die Stadt Thorn auf die Zusammenarbeit mit einem Architekten vom anderen Ende Europas eingelassen. Fernando Menis aus Teneriffa, hierzulande bekannt durch das Berliner Badeschiff, hatte 2008 den Wettbewerb für ein Kultur- und Kongresszentrum in Thorn gewonnen. Im Dezember 2015 wurde das CKK Jordanki eingeweiht, und seither kommen viele Besucher nicht nur wegen des kulturellen Angebotes, sondern auch, um diese eigenwillige Architektur zu sehen, die so gar nicht repräsentativ im klassischem Sinne ist, sondern roh und skulptural und dabei vor allem im Innenraum eine große Wärme ausstrahlt.
Die Stadt Thorn hat viel vor
Das „Jordanki“ ist ein großes Projekt für die 200.000-Einwohner-Stadt Thorn, die mitten in Polen liegt, eine gute Stunde nördlich der Bahnlinie Berlin-Warschau. Städtebaulich besetzt es eine zentrale Schnittstelle: Auf der einen Seite das UNESCO-Weltkulturerbe – die stolze, am Ufer der Weichsel gelegene Altstadt mit ihren Kirchen, Stadthäusern und dem Rathaus in Backsteingotik – auf der anderen Seite die Neustadt, deren Wohnhochhäuser und -zeilen sich weit nach Westen erstrecken. Dazwischen hat Fernando Menis ein opulentes Programm in den Grüngürtel der historischen Wallanlage, eingebettet. 22.000 Quadratmeter Fläche verteilen sich auf vier langgestreckte Baukörper, die bis zu 18 Meter tief in den Boden eingegraben wurden. Zwei schmale Riegel, einer für die Verwaltung, der andere für die Technik, rahmen zwei breite Riegel, in denen ein großer und ein kleiner Saal Seite an Seite stehen. An keiner Stelle überragt das Ensemble die Nachbarschaft. Auf den Plänen sieht das Gebäude so organisch wie logisch aus. Vor Ort muss man sich das Konzerthausmassiv erlaufen: Zum Park hin ist es eingegraben und nur als Betonfindling auf einem grünen Hügel zu erkennen, auf der Rückseite lässt sich ein haushohes Tor zu einem neuen Platz hin öffnen, sodass im Sommer die Bühne des großen Saals open air genutzt werden kann. An dieser Rückseite ist noch viel Platz: Einst war dort ein Leichtathletik-Stadion, heute erstreckt sich eine große Brache mitten in der Stadt, flankiert vom Jordanki, dem neuen Kunstmuseum CoCA und einem Verwaltungsbau aus den dreißiger Jahren. Weitere Kulturbauten könnten folgen, so Stadtarchitekt Adam Popielewski, man sei noch auf der Suche nach Investoren und Ideen. An der Solidarność-Straße hingegen, die geradewegs in die Altstadt führt, ist alles fertig: Dort liegt der unspektakuläre Haupteingang des Jordanki auf einem schrägen, mit Betonplatten belegten Plateau. Die vier Baukörper zeigen ihre Gesichter der Straße und bleiben dennoch stumm und verschlossen. Die unregelmäßig geschnittenen Sichtbetonfassaden wirken hier rigide, fast abweisend, käme nicht an den Unterseiten und Faltungen jenes Material zum Vorschein, das die Innenräume fast vollständig beherrscht: ein gebrochener Ziegelstein, dem Beton beigemischt und am Ende mit dem Hammer herausgeklopft. „Picado“ nennt Fernando Menis diese Technik, für die man auch in Polen eine spanische Firma engagiert hat, die nach vielen Prototypen und Praxistests den Hammer auf die perfekte Art geschwungen hat.
Die Meister des Hammerschlags
Dass Menis eng mit den Handwerkern zusammenarbeitet, dass er ein Perfektionist und ein Sturkopf sein muss, wird bereits im Foyer klar: Was für ein Aufwand, aus dem Betonbau eine Höhle zu formen, die der Anmutung der bildhauerischen Modelle des Architekten entspricht. Die Oberfläche aus Beton und Stein legt sich in vielen Faltungen über Decken und Wände, sie zieht sich an Pfeilern entlang und endet, effektvoll indirekt beleuchtet, kurz vor dem Boden. Bei genauerer Betrachtung erkennt man das Zusammenspiel aus massiven Bauteilen und etwa 15 Zentimeter dicken Picado-Platten, die mit einem Stahlgerüst vor die tragende Konstruktion gehängt wurden. Treppen und Gänge führen von dieser Eingangshöhle in immer neue Bereiche. Sie verbindet die Baukörper auf drei Geschossen miteinander und setzt sich auch im Restaurant fort. Die volle Wucht der organischen Architektursprache trifft den Besucher allerdings erst mit Betreten des großen, für knapp 1000 Stühle ausgelegten Saals: Eine warme, rot-graue Riesenhöhle erstreckt sich weit hinunter in die Tiefe. Über den Köpfen schweben beinahe bedrohlich fünf Akustikbrocken, die allerdings nicht massiv in Beton und Ziegelstein, sondern als hohler Picado-Fake ausgeführt wurden: Die absenkbare Decke wäre sonst zu schwer geworden.
Der weitverzweigten Ahnengalerie organischer Architektur, die von Steiner über Häring zu Scharoun springt, hat Menis Innenräume hinzugefügt, in denen man sich sofort wohl fühlt. So überbordend die Balkone in den Saal ragen und die Wände sich krümmen, so vergeblich das Auge nach Linearität sucht: Es ist ein großartiger Konzertraum. Selbst skeptische Besucher erliegen der Illusion, in eine große Höhle unter der Stadt Thorn gelangt zu sein. Eigentlich fehlt nur noch ein Lagerfeuer, das an den Wänden widerscheint. Der allgegenwärtige Backstein bricht nicht nur den Schall (die Akustik soll hervorragend sein), sondern auch das Schroffe des Betons.
Flexible Kultur- und Kongressmaschine
Es hätte auch schief gehen können: Ein Architekt, der seine skulpturale Sprache aus der kanarischen Landschaft, ihren Farben und Materia-lien entwickelt hat, baut in der polnischen Stadtlandschaft. Würde es ein zweites „Magma“ werden, jenes Kongresszentrum vergleichbarer Größe, das Menis 2005 auf Teneriffa realisiert hat?
Doch der Architekturtransfer ist gelungen. Das Jordanki ist ein offenes Haus, das auf intuitive Weise erschlossen wird, die Übergänge zwischen einzelnen Bereichen und zum Stadtraum hin sind fließend. Es hält eine große Flexibilität vor, und das muss es auch: Einmal in der Woche spielt das städtische Symphonieorchester, an allen anderen Tagen muss Direktor Grzegorz Grabowski mit einem bunten Programm aus Festivals, Konzerten, Theater, Kongressen und Banketten die Betriebskosten des Hauses zu 50 Prozent einspielen – die Produktionsbedingungen des Kulturbetriebs haben sich im postsozialistischen Polen längst verschärft. Die beiden Auditorien können bei Bedarf zusammengeschaltet werden, die Bestuhlung ist herausnehmbar. Der Auf- und Abstieg durch das große, bisweilen labyrinthische Ensemble birgt Überraschungen: den Probenraum mit seinem elaborierten Betonrelief an den Wänden, die langen, hoch über Kopf verglasten „Aquarien“ zwischen den einzelnen Bauteilen (die als Fluchtwege direkt nach außen führen), schwere Türen aus Beton, Schiebewände aus Lochblechen, Decken aus mit Backstein gefüllten Gabionen – viele, viele Handwerkerstunden auf der einen und unverblümt eingesetzte industrielle Materialien auf der anderen Seite geben dem Haus seinen rohen und dennoch heimeligen Charakter. Ob er nun von den Kanaren importiert wurde oder nicht, spielt am Ende keine Rolle mehr. Thorn hat ein Stück zeitgenössischer Architektur, die zu einem belebten Ort in der Stadt zu werden scheint, und vor allem bei jungen Besuchern sehr gut ankommt.
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