Louvre Erweiterung
Die achte Abteilung
Text: Hofmann, Franck, Nantes/Berlin
Im Pariser Louvre hat die Kunst des Islams unter einem gewellten Dach im Cour Visconti endlich einen Platz bekommen, der ihrer Bedeutung entspricht. Die Architekten Mario Bellini und Rudy Ricciotti entschieden sich für ein feierliches und schützendes Gewand aus Bronze, das keine Einblicke von oben zulässt.
Mit einer programmatischen Rede eröffnete François Hollande, gerade eben erst gewählter Präsident Frankreichs, im September des vergangenen Jahres die Räume für die „Künste des Islams“. Der Louvre, der viel mehr als ein Museum eine Institution der Republik sei, möge mit seiner achten Abteilung, so Hollande, keine Grenzen mehr kennen. Wie die Werte der Republik, die dieses Museum in einem revolutionären Akt noch vor ihrer eigenen Konstituierung 1792 per Dekret gründete, seien auch die Werte der ihr so eng verschwisterten Kultur universell und Teil eines politischen Kampfes. Dieser Kampf sei nun in eine neue Phase getreten: Die in den Depots wie auch im kulturellen Bewusstsein ausgelagerten Kunstwerke des Islam würden endlich den ihnen angemessenen Platz bekommen. Es bleibt aber angesichts anschwellender Islamophobie zu fragen: Finden sie auch ihren Platz in der französischen Gesellschaft? Kann der Neubau im Cour Visconti des Louvre den zu seiner Einweihung formulierten hohen Ansprüchen gerecht werden? Der nach einem Entwurf von Mario Bellini und Rudy Ricciotti realisierte Bau musste also nicht nur 2800 Quadratmeter neue Ausstellungsfläche und Nebennutzungen in einem Hof mit den Abmessungen von gerade einmal 40 auf 53 Meter unterbringen.
Für die Kunst gilt, was Sophie Makariou, die Direktorin der neuen Abteilung, für sie in Anspruch nimmt: Die Werke solle man nicht zu bloßen „Anwälten der Gegenwart“ reduzieren und mit politischen Ansprüchen überlasten. Diesen Schutz kann Architektur nicht für sich in Anspruch nehmen: Stärker noch als Werke aus der Kunstgeschichte, ist sie ein „Werkzeug der Lektüre der Gegenwart“. Als solches will Makariou den von ihr in vier historischen und sieben thematischen Kapiteln konzipierten Ausstellungsparcours verstanden wissen. Ein Parcours, der die Bedeutung des Ornaments und der Kalligraphie, der Technik, der Dinge und der Architekturen ebenso erhellt, wie die Bedeutung der Stadt, den Bezug der Künste zur politischen Verfasstheit der Gesellschaft und die Stellung von Juden und Christen in dieser. Dieser Parcours kann neben seine Präsentation auf ein begleitendes Ausstellungsbuch zurückgreifen. Die Architektur muss für sich selbst sprechen – im Zusammenspiel mit einer von Renaud Piérard konzipierten Szenographie, der man bisweilen eine größere Lesbarkeit wünscht.
Der Raumentwurf für eine Präsentation der Zivilisationen des Islam in der Weltgesellschaft, die im Louvre nun neben die der griechisch-römischen Antike rücken, hat zunächst den gezeigten Werken gerecht zu werden. Ihnen einen Rahmen zu geben, ist seine nobelste Aufgabe. Und bei aller Präsenz der Architektur von Bellini und Ricciotti – sie nimmt sich zugunsten der Objekte zurück. Die Besucher betreten den Hof durch Eingangsschleusen, die als Betonkuben in die historischen Zugänge gelegt worden sind. Von hier aus gelangen sie in den Ausstellungsraum unter einem ondulierten, mit einem filigranen Flechtwerk verkleideten Glasdach.
Das Tuch
Bellini erinnert sich an die architektonische Geste, mit der der Entwurf des Ausstellungsgebäudes seinen Anfang nahm: Ein Tuch aus einem der oberen Geschosse in den Cour Visconti gleiten zu lassen, es in seinem Flug gleichsam einzufrieren und so das Dach als schwebenden Schleier im Zusammenspiel mit dem Untergrund des Hofs zu gestalten. In einem durch die komplizierte Geometrie des Entwurfs bedingten, hochkomplexen Rechenprozess, nahm, so Ricciottis pointierter Kommentar, der Computer den Platz des Ingenieurs ein, um die Konstruktion der aus 2350 Dreiecken gebildeten Struktur zu ermöglichen. Imagination und technologische Präzision sind es, die es der Architektur erlauben, auf die Herausforderungen der Politik ästhetisch – und damit immer auch politisch – zu antworten: Mit einem Raum, der letztlich die Allegorie für den bis heute verweigerten Platz ist, der dem Islam in der französischen Gesellschaft zukommt, mit der er vielfältig verschränkt ist – gebaut in einer Herzkammer der kolonialen europäischen Kulturgeschichte. Dies führt auch die Geschichte der Sammlung und ihrer Ausstellungsstücke vor Augen, zu denen etwa das um 1330 von Muhammad ib al-Zayn vermutlich in Syrien oder Ägypten gefertigte Taufbecken der französischen Könige zählt.
Ein vom Atlantik und den Küsten des Mittelmeers bis nach Europa und an die Grenzen Chinas reichender Kulturraum, der hier in seiner historischen Tiefe zur Darstellung gebracht wird, ist in eine ästhetische Raumerfahrung übersetzt worden, die den Cour Visconti gleichsam aufsprengt. Gegen die Enge des Hofes setzen die Architekten die Weite des Pariser Himmels. Dieser, mithin der Erdkreis, ist der eigentliche Referenzpunkt ihres Entwurfs, nicht die Fassaden des Louvre, auf denen sich, wie auch auf dem golden schimmernden Schleier, das Licht der Welt reflektiert. Diese Fassaden bleiben, an keiner Stelle von Dach berührt, von den umliegenden Galerien aus bei Tageslicht sichtbar.
Der Cour Visconti wird in seinem historischen Bestand zugleich respektiert und geöffnet. Wie das? Der Hof wird in eine Spannung gesetzt, mit den entspiegelten Glasfassaden der neuen Ausstellungshalle, mit ihren schwarzen, feine Metallspäne inkorporierenden Bodenplatten und der ondulierten Dachkonstruktion, die ihn dem Blick des Betrachters entzieht. Dieses gewellte Dach, das an manchen Stellen den Boden beinahe berührt und an keiner Stelle über das erste Geschoss des historischen Baus hinausragt, schützt die Ausstellungsstücke. Die Werke werden abgeschirmt von der Autorität der Fassaden, die als Allegorie einer eurozentrischen Kulturgeschichte und ihrer Institutionen interpretiert werden. Zu einem Schutz wird der Schleier jedoch auch im wörtlich Sinn: durch die konservatorische Funktion des Lichtschutzes, die ihm, an Stelle der Vitrinen, übertragen wurde. Letztere werden so selbst zu einer Variation der gläsernen Außenhaut des Gebäudes.
Hochwasser?
Der Entwurf war in seiner formalen Radikalität zunächst umstritten. Steckten hinter den ästhetischen doch auch – auf höchster Ebene diskutierte –, kulturpolitische Fragen: Es galt, der Herausforderung gerecht zu werden, die komplexen Beziehung Frankreichs und Europas zu den Kulturen des Islam in Architektur zu übersetzen. Während der Louvre mit dem neuen Gebäude auch sich selbst ausstellen und den Blick auf die Fassaden des Hofs durch eine möglichst hohe und transparente Glasüberdachung gewährleisten wollte, setzten die Architekten auf die Sprengkraft der ondulierten Form des Schleiers und auf Verschattungsgrade, die sich aus dessen komplexer Konstruktion ergeben. Und statt in die Höhe zu bauen, in-
tegrierten sie die neue Abteilung in der Tiefe des Louvre und platzierten die Kunstwerke in räumlicher Distanz zum historischen Gebäude. Diese Haltung bleibt bis heute in der Kritik: Setzt sie die Sammlungen doch den Risiken des Hochwassers der Seine in besonderer Weise aus. Für den Fall von Überschwemmungen zirkulieren im Museum Notfallpläne.
Im Schatten der monumentalen Treppe, auf der die Besucherströme zur Nike von Samothrake hinauf drängen, gelangt man auf einer schlichten, in einem Stück gegossenen Betontreppe in den Untergrund und tritt in eine Ausstellungshalle, für die der gesamte Hofbereich bis auf 12 Meter Tiefe ausgeschachtet, der Boden mit der revolutionären, ein Bindemittel unter Hochdruck injizierenden Technik des Jet-Grouting verdichtet und ein angrenzender Flügel des Louvre unterkellert worden ist.
Die Hof-Ebene ist charakterisiert durch die Arbeit mit dem Licht, durch das Spiel von Verschattung und Sichtbarkeit, von Schließung und Aufsprengung des Raums, das Untergeschoss hingegen ist geprägt durch die Sensibilität für die Materialien, vor allem den Beton, der, schwarz eingefärbt, nun die Raumerfahrung bestimmt und die Arbeit mit dem Wechsel von Licht und Schatten akzentuiert. Eine Spannung, die – zentrales Element islamischer Bautradition –, auch den Entwurf von Bellini und Ricciotti auszeichnet. Der je nach Tageslicht glänzende Schleier bleibt auch vom Untergeschoss aus sichtbar. Dessen auf 12 polierten Rundstützen aus Beton ruhende Decke ist auf zwei Seiten des Hofs durchbrochen. Vier der acht schräg gestellten Stützen von 30 Zentimeter Durchmesser, die die mit nur 135 Tonnen extrem leichte Dachkonstruktion tragen, lenken den Blick des Betrachters in die Höhe.
An einem ihrer prominentesten Orte brechen die Architekten mit der Form- und Raumordnung europäischer Wissenstradition, in die sich die Pyramide Ieoh M. Peis noch einschrieb. Diese hat der Besucher im Rücken, blickt er von der Galerie Daru, dem historischen Ort des Musée Napoléon, auf die organische Form im Cour Visconti. Fliegender Teppich, Sanddüne, Beduinenzelt, Libellen-Flügel sind die schlecht sitzenden Metaphern für das neue Emblem der Künste des Islam im Louvre, das der Architekturkritiker von Le Monde, Frédéric Edelmann, als Ausdruck eines Ali-Baba-Syndroms verurteilte.
Die Stimme und die Kalligraphie
Bei der Abteilung für islamische Kunst galt es nicht nur mit der Tradition des europäischen Museums und seiner symbolischen Raumordnung zu brechen. Zugleich sollten neue Elemente in dessen Formensprache eingeführt werden, die sich nicht nur von einem eurozentrischen Rationalismus, sondern auch von einem bis heute vitalen Orientalismus freizuhalten hat. Dazu wurden Bauelemente wie die Moucharabieh – filigran gearbeitete Fenstergitter – nicht nur ausgestellt, sondern in der Verkleidung des überdachenden Schleiers auch in die Formensprache der architektonischen Moderne übersetzt. Neben die visuelle Wahrnehmung treten die Schrift und die Stimme. In der Spannung von Licht und Schatten, von Verbergen und Verschleieren, durchwebt die Stimme eines Erzählers den Raum an drei Stationen. Hier wird türkische, persische und arabische Lyrik zu Gehör gebracht, ohne dass die Klangquellen vom Zuhörer eindeutig bestimmt werden könnten. Und an einer prominenten Stelle des Ausstellungsparcours überzieht die Kalligraphie, die nobelste Kunstform des Islam, die schwarze Betonwand: „Im Namen Allahs, des gnadenvollen und mitfühlenden“ steht dort in ephemer Leichtigkeit die Anfangsformel von 113 der 114 Suren des Koran. Die Kalligraphie steht zugleich für den Prozess des Schreibens – und so-mit auch den der Erkenntnis selbst.
Bleibt die Aufgabe, die architektonische Geste, die diesem Bau zugrunde liegt, in gesellschaftliches Bewusstsein zu übersetzen, mithin auch durch Formen einer Architektur, die neue Spielräume für das religiöse und kulturelle Leben des Islam im Rahmen der laizistischen Republik entwirft; in einem fortgesetzten Kampf, der darauf zielt, diesen Andachtsraum über die Grenzen eines Universalmuseums hinaus zu öffnen: zu einer Stadt hin, die, wie der Louvre, auch ein Ort des Islam und seiner Künste ist, hin zum neuen Raum einer Begegnung Europas und der arabischen Welt, die sich gerade in ihren Künsten und Architekturen entgegentreten können.
Fakten
Architekten
Bellini, Mario, Mailand; Ricciotti, Rudy, Bandol/Paris
Adresse
Musée du Louvre 75001 Paris, Frankreich
aus
Bauwelt 5.2013
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