Mahnmal zur Erinnerung an die Abschaffung der Sklaverei
Das Meer ist Geschichte
Text: Hofmann, Franck, Nantes/Berlin
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Philippe Ruault/Julian Bonder
Philippe Ruault/Julian Bonder
The sea is history. Derek Walcotts Verse sind mehr als ein Motto des neuen Mahnmals am Quai de la Fosse in Nantes. In den Zeilen, die der karibische Dichter 1979 schrieb, scheint das Entwurfsprogramm von Krzysztof Wodiczko und Julian Bonder für das „Mémorial de l’abolition de l’esclavage“ bereits formuliert zu sein.
Where are your monuments, your battles, martyrs?
Where is your tribal memory? Sirs,
in the gray vault. The sea. The sea
has locked them up. The sea is history.
(Derek Walcott, The Sea Is History, 1979)
Vom Quai de la Fosse an der Loire legten seit dem frühen 18. Jahrhundert die Sklavenschiffe des transatlantischen Menschenhandels in Richtung Afrika ab, um dort ihre Fracht zu laden und nach Amerika zu transportieren. Wohlstand und Entwicklung verdankte das westfranzösische Nantes nicht zuletzt seiner zentralen Rolle im Geschäft mit der Sklaverei. Die prächtigen Villen der Reeder zeugen bis heute von der reichen maritimen Geschichte der Stadt. Doch von ihrer Verwicklung in eines der dunkelsten Kapitel des Kolonialismus und an den Kampf um die Abschaffung der Sklaverei war bis zur Eröffnung des Memorials in diesem Frühjahr keine Spur im öffentlichen Raum zu finden. Dieser Teil der Geschichte schien aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt. Und auch der Quai de la Fosse, seit der Schließung des Hafens als Parkplatz genutzt, der die Stadt vom Fluss und dem Meer trennte, hatte seine ursprüngliche Funktion als Mole verloren. Für das Memorial galt es also, das symbolische Potenzial des Ortes zu stärken und die Schichten seiner Geschichte zugänglich zu machen.
Where Is Your Tribal Memory?
Ein Memorial – so könnte eine Minimaldefinition lauten – ist ein symbolischer Ort, der die Erinnerung in den öffentlichen Raum einschreibt, an einen aktuellen politischen Diskurs bindet und beide materialisiert: als Architektur. Ein Memorial hat nicht nur einem zumeist ebenso abstrakten wie emotional aufgeladenen Gegenstand gerecht zu werden, sondern auch dem städtischen Kontext – und einer in der Moderne problematisch gewordenen Form des politischen Bauens: dem Denkmal. Ein Memorial gehört so sicher zu den schwierigsten Aufgaben zeitgenössischer Architektur. Krzysztof Wodiczko ist Medienkünstler, Julian Bonder Architekt, beide leben und arbeiten in Cambridge/Massachusetts. Bekannt geworden sind sie mit Arbeiten zu Krieg, Trauma und Repräsentation von Geschichte, darunter das von Bonder entworfene Museo del Holocausto in Buenos Aires und der gemeinsame Wettbewerbsbeitrag für das Memorial am Ground Zero in New York. Wie stellen sie sich der Herausforderung in Nantes?
Indem sie – mit Walcotts Worten – eine in die „graue Grabwölbung“ des Meeres eingelagerte Geschichte lesbar machen. Und die Worte dieser Geschichte ins Bewusstsein rücken: das Wort „Libèté“ zunächst. Es ist in allen kreolischen Dialekten und afrikanischen Sprachen – eben nicht nur in den europäischen – im Bereich einer monumentalen Treppe zu lesen, die so im Zeichen der „Freiheit“ steht. Über diese Treppe gelangt der Besucher in eine 90 Meter lange unterirdische Passage, einen meditativen Parcours, der dem historischen Verlauf des Quais folgt. Man steigt gleichsam zum Meer hinab, das im Rhythmus von Ebbe und Flut präsent ist.
The Sea Has Locked Them Up
Zwischen den Stützpfeilern der Kaianlage hindurch – Betonbau aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts – wird der Blick auf die Wasserfläche freigegeben. Zugleich kommt einen ein Gefühl von Enge an, das die Abgeschlossenheit der Sklaventransporte ebenso evoziert wie die der Geschichte im Atlantik: „Das Meer hat sie eingeschlossen.“ Die Besucher können Walcotts Gedicht zusammen mit weiteren Texten, die sich Vergangenheit und Gegenwart des Kampfes um die Ächtung der Sklaverei widmen, auf ihrem Rundgang lesen. Eine bis in den Stadtraum hinaufragende, schräg gestellte Glasfläche, die förmlich den Boden aufbricht, dient als Trägermedium der Schrift.
Am Ende des Gangs erreicht man ein Fenster. Es gibt den Blick frei auf Jean Nouvels Justizpalast und die Passerelle Schœlcher. Die Fußgängerbrücke ist nach Victor Schœlcher benannt, der das Gesetz zur völligen Abschaffung der Sklaverei in Frankreich und seinen Kolonien initiierte; die Nationalversammlung verabschiedete es am 27. April 1848. Zu der Passerelle gelangt man auf einem Uferweg, der als Kalendarium des Sklavenhandels gestaltet ist. In den Betonweg sind Glasplättchen mit den Schiffsnamen und Daten aller 1710 von Nantes ausgegangenen Expeditionen eingelassen: Man begegnet den Namen der Handelsstationen und der Sklavenmärkte buchstäblich auf Schritt und Tritt.
Wodiczko + Bonder operieren, wie sie selbst betonen, vor allem mit zwei Techniken der Szenografie: mit Enthüllung und Versenkung. Die raumschaffende Beschriftung könnte man ergänzen. Das Memorial ist nicht nur räumliche Interpretation von Derek Walcotts Versen – mit ihrer Auslegung stellt es zudem den Bezug zum Atlantik her und schreibt einen Gründungszusammenhang der globalisierten Weltgesellschaft in den Stadtraum von Nantes ein: den bis heute im kollektiven Gedächtnis nur schwach aufscheinenden Schriftzug des Menschenhandels. „Das Meer ist Geschichte.“ Das Memorial zur Erinnerung an die Abschaffung der Sklaverei lässt diese Geschichte als architektonische Geste hervortreten.
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