Bauwelt

Mediathek


Die Satellitenstadt stärken


Text: Kabisch, Wolfgang, Paris


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    Foto: Paul Raftery

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Zwei Kilometer außerhalb des Zentrums errichtete die südwestfranzösische Stadt eine Mediathek. Die Pariser Architekten Benjamin Colboc und Manuela Franzen konzipierten ein Gehäuse, das diversen Szenarien Raum bieten kann.
Montauban liegt im Südwesten Frankreichs, 50 Kilometer nördlich von Toulouse und mit fünf Stunden TGV-Fahrzeit weit weg von Paris. Die Stadt liegt an einem Fluss. An zweien sogar: an der Mündung des Tescou in den Tarn. Hoch auf einem Hügel wurde im Mittelalter eine Planstadt konstruiert, von der aus man die Gegend und den Flussübergang kontrollieren konnte. Der Fluss hat im zwanzigsten Jahrhundert eine entscheidende Rolle in der Geschichte der Stadt gespielt: Er trat 1930 derart heftig über die Ufer (+11,45 Meter), dass alles, was in Wassernähe stand, vernichtet wurde. Seitdem wurde die Stadtentwicklung in Richtung Osten vorangetrieben. In den sechziger und achtziger Jahren konstruierte man dort Satellitenstädte, Autobahntrassen und Einfallschneisen. Heute muss man das Ganze renovieren. Die Gründe dafür kann man sich denken.
Einer dieser Satelliten ist Chaumes. 2005 schrieben Stadt, Region und Staat den Wettbewerb für eine Mediathek aus. Der Stadtteil sollte ein kulturelles Zentrum bekommen. Einige Wohntürme waren schon abgerissen. Zur Veränderung des „sozialen Mixes“ wurden Luxus-Wohnungen vorgesehen. Ein neues Einkaufs- und Dienstleistungszentrum stand zur Konstruktion an. Kurz: ein umfassender und aufwendiger Entwicklungsplan. Experten hatten errechnet, dass dank stetiger Zuwanderung die Stadt spätestens im Jahr 2040 die Einwohnerzahl von 100.000 überschritten haben wird. Das Département Tarn-et-Garonne zählt – was die Größe der Bevölkerung angeht – zu den vier entwicklungsstärksten Frankreichs. Das liegt am Klima, der relativen Nähe zu Nordafrika, den günstigen Lebenshaltungskosten. Es ging bei dem Renovierungsprogramm also nicht allein um die Beseitigung eines sozialen Brennpunktes, sondern auch um eine wirtschaftlich notwendige Investition in die Zukunft der Region.
Das Pariser Architekturbüro CFA Colboc Franzen & Associés gewann den Wettbewerb für die Mediathek, gerade mal ein Jahr nach Gründung des Büros. Im Februar 2013 wurde das rund 3000 Quadratmeter Nutzfläche bietende und 7,2 Millionen Euro teure Gebäude eingeweiht. Für die acht Jahre Planungs- und  Bauzeit sind nicht die Architekten verantwortlich, sondern eher die ausführenden Firmen. Entstanden ist ein – in Anlehnung an die in der Region üblichen Gebäude – backsteinfarbener Solitär mit viel Glas. Für die einen ein gestrandetes Raumschiff, für die anderen das Flaggschiff des Stadtteils. Es lädt zur Stellungnahme ein. An der Verkehrsschneise zwischen Autobahn und Zentrum gelegen, demon­s-triert es darüber hinaus den erwünschten Signalcharakter. Der Bau engt den Straßenraum optisch geschickt ein und schirmt die Wohnsiedlung vom Verkehr ab. Städtebaulich wohl durchdacht!
Betritt man die „Médiathèque de Montauban“, kurz „Mémo“ genannt, erkennt man Entwurfskonzept und Konstruktionsprinzip auf Anhieb. Um einen runden Treppen- und Aufzugsturm aus Beton herum sind drei Quader angesiedelt, auf jedem Stockwerk jeweils unterschiedlich um ein und dieselbe in der Achse gedreht, an den Straßenlinien des Grundstücks ausgerichtet und mit auskragenden Dreiecken. Dadurch entsteht optische eine Spannung, die sich im Inneren durch horizontale und vertikale Durchblicke vermittelt. Das Erdgeschoss aus vorgefertigtem Beton dient als Fundament für die aufliegenden Stahlträger. Ein freudvolles Spiel mit den Massen. Und funktional ist es auch.
Der Besucher hat einen direkten Zugang zu Ausleihe und Rückgabe der verschiedenen Medien; zu den Zeitungen und Zeitschriften („der Aktualität“), zum Auditorium mit 160 Plätzen, zu den elektronischen Sichtplätzen mit Internet und zum Café im Erdgeschoss. Der Lesesaal für Kinder und Erwachsene im ersten Stock ist schnell erreicht. Und kaum länger ist der Weg in den zweiten Stock, wo man ungestört von Geräuschen arbeiten kann.
Je nach Bereich sind die Materialien und Farben verschieden: Holz, Kunststoff, Beton. Grell, neutral, gedeckt. Ein Konzept, das nachvollziehbar ist. Trotz der großen Tiefe der Räume findet der Nutzer überall Tageslicht und interessante Ausblicke. Soweit, so gut. Schaut man ins Untergeschoss, wird es dagegen gruselig. Hier befindet sich ein Ausstellungsraum mit niedrigen Decken und Kelleranmutung. Man fragt nach der Geschichte der Entstehung, weil dieser Teil des Gebäudes so gar nicht zum Übrigen passen will. Und stößt auf die Kernproblematik von heutigen Bibliotheken: Die Speicher- und Lesetechniken befinden sich in Umbruch, „online“ ersetzt „hardcover“. Als das Untergeschoss geplant wurde, waren noch Archiv und Bücherlager vorgesehen. Diese haben sich im Laufe der Bauzeit erübrigt. Stattdessen verstellt heute ein automatisiertes technisches Ausleihesystem den großzügig geplanten Eingangsbereich. Auf welcher Grundlage entwirft also der Architekt, wenn er nicht weitreichende spätere Umbauten in Kauf nehmen will?
Colboc Franzen & Associés haben große multifunktionale Räume geschaffen – ein Glücksfall, der bei näherem Hinsehen leicht nachvollziehbar ist. Der erste Direktor hatte kaum etwas zu einer konkreten Raumplanung beigesteuert, wohl wissend, dass er zum Zeitpunkt der Eröffnung längst in Pension sein würde. Der zweite engagierte sich umso mehr. Warf zum Beispiel die Pläne um, die eine Abteilung für Kinder im zweiten Stock vorsahen. Weiter unten ist sie besser aufgehoben, weil die Kinder dann nicht das ganze Haus durchqueren müssen. Es entwickelte sich ein „Geben und Nehmen“; ein Dialog, wie er zwischen Architekten und Nutzern selbstverständlich sein sollte. Die Nachfolgerin setzte diese konstruktive Zusammenarbeit bei der Ausstattung fort. Da sich parallel zur Planungs- und Bauzeit die Entwicklung der technischen Medien immer deutlicher veränderte, lagen die Architekten mit ihrer „offenen“ Raumplanung am Ende goldrichtig. Und für die Zukunft sind noch genügend Möglichkeiten vorhanden. Wer weiß, wofür der Keller dereinst benötigt wird?
Heute soll die Mediathek von möglichst vielen Einwohnern Montaubans genutzt werden. Sie liegt aber etwa zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt – ein gewisses Handicap. Für die Zukunft sind deshalb zwei Szenarien vorstellbar: Entweder wächst die Innenstadt deutlich, so dass die Lücke zwischen Zentrum und „Mémo“-Standort geschlossen wird – dann kann die Mediathek die vorgesehene Funktion leicht erfüllen. Oder sie bietet ein eher stadtteilbezogenes Angebot. Das heißt im Idealfall, dass sie sich zu einem wirklichen Kulturzentrum mit neuen Nutzungsangeboten und erweiterten Öffnungszeiten wandelt. Dazu müsste allerdings der Bibliothekar zum Medien- und Kulturmanager werden, Veranstaltungen programmieren, animieren und ähnliches mehr. Ein durchaus sinnvolles Ziel, das politisch aber erst durchgesetzt werden müsste. Die architektonischen Voraussetzungen sind gegeben: Das Gebäude lässt sich multifunktional nutzen. Der Architekt tut also gut daran, in ähnlichen Fällen das ausgeschriebene Programm nicht allzu wörtlich zu nehmen. Bleibt die entscheidende Frage, ob er mit einem von Anfang an „offenen“ Entwurf – was die Nutzung betrifft – der Ausschreibung genügt und damit den Wettbewerb gewinnen kann.



Fakten
Architekten Colboc Franzen & Associés, Paris
Adresse Rue Jean Carmet, 82000 Montauban, Frankreich


aus Bauwelt 41-42.2013
Artikel als pdf

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