Militärhistorisches Museum der Bundeswehr
Im Käfig der Symbolik
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Der graue, in der Sonne glänzende Keil von Daniel Libeskind, der als eine entschiedene, fast schon aggressive Geste gelesen wird, nimmt vor allem Bezug auf die tragische Geschichte der Stadt Dresden am Ende des Zweiten Weltkriegs. Von der Bundeswehr hat man eine derart mutige Interpretation für das Militärhistorische Museum nicht erwartet.
„Als wir mit dem Projekt starteten, stand die Frauenkirche noch nicht“, erinnert sich Daniel Libeskind an den Wettbewerb 2002. Jetzt ist der mächtige Sakralbau Teil des Stadtpanoramas, das im Fokus des sogenannten „Dresden Blick“ steht, der sich ganz oben im Keil befindet. Die Silhouette der Stadt lässt das Bild des einst zerstörten Dresden weit hinter sich. Es steht für die Zukunft, auch wenn der dreieckige Umriss des Keils, der das Museum durchzieht, auf die Vergangenheit Bezug nimmt. Er ist der Formation der britischern Bomberverbände entlehnt, die am 13. Februar 1945 die Stadt angegriffen hatten.
Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr muss Ambivalenzen aushalten, Kriegsschrecken und Technikfaszination liegen dicht nebeneinander. Libeskind setzt auf Kontrast, architektonisch, zwischen dem skulpturalen Keil und der repetierenden Baustruktur des historischen Sandsteingebäudes. Das zwischen 1873 und 1877 errichtete Arsenal, einst Teil des größten zusammenhängenden Kasernenareals Deutschlands, liegt, etwas erhöht, in der Dresdener Albertstadt nördlich der Elbe. Bereits 1897 wurde das Gebäude zur öffentlichen Waffensammlung umgewandelt. Es folgte das „Königlich Sächsische Armeemuseum“. Ab 1972 befand sich hier das Museum der Nationalen Volksarmee der DDR. Als die Bundeswehr 1998 darüber nachdachte, wie sie im Gebäude die gesamtdeutsche Militärgeschichte zeigen will, konnte, anders als bei Armeemuseen in Istanbul, Paris, Brüssel oder London, nicht heroisches Waffenklirren im Mittelpunkt stehen. Zudem sollte die Darstellung bis in die Gegenwart hineinreichen, sodass die Streitkräfte nicht nur als entfernte Institution, sondern auch als aktive Kraft begriffen werden, die in Wechselwirkung zum wirtschaftlichen, kulturellen und öffentlichen Leben stehen. „Deutschland ist ein offenes Land und es war die Aufgabe, das Militär zur Gesellschaft zu öffnen“, formuliert Libeskind seinen Auftrag.
Brachialer Schnitt?
Sprengt nun der keilförmige Baukörper den Altbau auf? Nein, die architektonische Intervention ist differenzierter. Das historische Treppenhaus auf der Rückseite der Dreiflügelanlage bleibt von ihr weitgehend unberührt. Und bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass sich auch die Eingangsfront nahezu unbeschadet hinter dem hoch aufstrebenden Keil zeigt. Libeskind weist das Gerücht zurück, dieser Teil seiner Architektur hätte ursprünglich verglast sein sollen. Hier sei der Begriff „Transparenz“ wohl falsch interpretiert worden. Die gewählte Fassade aus Gitterrost-Streifen stellt freilich die größte Schwäche des Gebäudes dar. Die eindrucksvolle Fernwirkung des 30 Meter hohen Keils verliert an Kraft, je dichter man dem Gebäude kommt. Die markante Figur nimmt, gerade auch in der rückwärtigen Gebäudefront (Seite 27), nicht für sich ein. Details wie der Anschluss des Keils an die Bestandsfassade überzeugen nicht. Das Museum wird nicht umhin kommen, eine Idee zu entwickeln, welche auch immer das sein könnte, um den vorgesetzten „Käfig“ mit der Aussichtsplattform als einzigem Nutzen, nicht in banaler Leere verharren zu lassen.
Der Themenparcours
Um wie viel eindrucksvoller sind die Innenräume, um wie viel überzeugender ist hier das architektonische Konzept, um wie viel überzeugender die architektonische Durcharbeitung. Im fünfgeschossigen Keil wechseln sich offene, großzügige Bereiche und überraschende Durchblicke mit abgeschiedenen, versteckten Kammern ab. Durch die räumlichen Verknüfungen kann der Besucher den in allen Lebensbereichen vorhandenen Bildern des Militärs nicht entrinnen, mit denen er in elf Parcours konfrontiert wird. Deren Themen heißen etwa „Politik und Gewalt“, „Formation der Körper“, „Militär und Sprache“; ein geschlossenes Kabinett enthält mit Schiebeläden versehene Vitrinen zu „Leiden am Krieg“. Irritierend sind „Militär und Musik“, „Krieg und Spiel“ und „Tiere beim Militär“; letzterer Parcours ist eine Phalanx aus 18 präparierten Tieren, die auf den ersten Blick an die Arche Noah erinnern, bei genauerer Betrachtung jedoch Unerwartetes zeigen: den Hund mit der umgebundenen Bombe, das Schaf als Minenräumer oder die Katze als Versuchstier bei der Erprobung von Giftgasen. Ihr Leid steht für das der Menschen, dessen Zurschaustellung sich verbietet.
„Es war Teil des Konzepts, sich von der Ästhetik des Militärs fortzubewegen“, sagt Libeskind. Das dies gelingt, verdankt die Architektur der Auswahl des Kurators Gorch Pieken und vor allem der Ausstellungsgestaltung von Barbara Holzer und HG Merz. Die beiden versierten Planer, zwischen Libeskind und Pieken in keiner einfachen Position, präsentieren die in Dimension und Format sehr unterschiedlichen Exponate kongenial innerhalb der Architektur. Dazu trug zweifelsohne bei, dass sich das in Zürich ansässige Büro von Libeskind mit dem von Holzer Kobler eine Fabriketage teilte. So konnte stets kurzfristig beraten werden, wo welches Stück optimal ausgestellt wird.
Die Chronologie
In drei großen Hallen des Altbaus werden die Exponate in Schaucontainern gleichsam ausgebreitet: In dem von mächtigen Gewölbepfeilern bestimmten Erdgeschoss die Chronologie von 1300 bis 1914, in den beiden, von gusseisernen Rundstützen getragenen Hallen im ersten Obergeschoss die Chronologien von 1914 bis 1945 und von 1945 bis in die Gegenwart. Die hier wie in der gesamten Ausstellung zurückhaltend gestalteten Displays geben dem Besucher eine klare Orientierung und die Möglichkeit zu entscheiden, welches Thema er vertiefen möchte und was er auslässt.
Die Fülle des Materials ist erschlagend. Allein das Aufgabenspektrum der Bundeswehr reicht von der Katastrophenhilfe bei Hochwasser bis zum Einsatz in Afghanistan. Auf 10.000 Quadratmeter Fläche werden rund 10.500 Exponate ausgestellt, u.a. in 1,9 Kilometer ablaufbarer Vitrinen. Dass sich das Museum bisweilen am Authentischen ergötzt, verdeutlichen vor allem triviale Alltagsgegenstände und Kriegsgerät, die exponiert und damit zum Kunstwerk überhöht werden. „Waffen werden in einer einfallsreichen Weise präsentiert“, erläutert Libeskind. „Man nimmt sie nicht als Waffen wahr, das ist das Verstörende.“ Doch könnte etwa der hängende Helikopter „Alouette“ (Seite 33) nicht auch ein Werk des Künstlers Michael Sailstorfer sein? Die Absicht, eine kritische Distanz zu den Exponaten zu schaffen und damit einer Faszination entgegen zu wirken, die eine militärtechnische Ausstellung gewöhnlich erzeugt, gelingt nicht durchgängig; isoliert vom Kontext erscheint manches selbstgefällig und auch eigenartig trivial.
Die Trümmerfragmente von Dresden, Rotterdam und Wielun im obersten Geschoss des Keils weisen zurück auf den Krieg. Sie zeigen Zerstörung, doch enthalten durch das zum „Dresden Blick“ aufsteigende Bodenniveau auch etwas in die Weite strebendes, vielleicht Hoffnung. Auf die Kraft dekonstruktivistischer Architektur hingegen vertraut heute kaum noch jemand, doch dass dieses vom Keil gezeichnete Museum im nördlichen Stadtpanorama den Kontrapunkt zur historischen Elbfront bildet, kann als Gewinn gesehen werden.
Fakten
Architekten
Libeskind, Daniel, New York; HG Merz Berlin/Stuttgar; Holzer Kobler, Zürich
Adresse
Olbrichtplatz 2, 01099 Dresden
aus
Bauwelt 43.2011
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