Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge in Berlin
Die Berliner Senatsverwaltung hat mehr als 70 Liegenschaften identifiziert, um dort „Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge“ und Containerdörfer zu errichten. Wohnraum tut not. Doch warum baut man 2016 wider besseren Wissens noch Flüchtlingsheime?
Text: Kleilein, Doris, Berlin
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Der neue Plattenbau: Auf Basis eines Grundmoduls, das in der Berliner Senatsverwaltung entworfen wurde, werden derzeit zehn Standorte mit „Modularen Unterkünften für Flüchtlinge“ (MUF) bebaut.
Rendering: aim architektur management
Der neue Plattenbau: Auf Basis eines Grundmoduls, das in der Berliner Senatsverwaltung entworfen wurde, werden derzeit zehn Standorte mit „Modularen Unterkünften für Flüchtlinge“ (MUF) bebaut.
Rendering: aim architektur management
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Das Grundmodul sieht ein EG mit drei „Wohngruppen“, einer barrierefreien Wohnung und Gemeinschaftsräumen vor. Im Regelgeschoss sind Zweibett- und Einzelzimmer geplant. In einem fünfgeschossigen Modul können so 75 Menschen untergebracht werden.
Das Grundmodul sieht ein EG mit drei „Wohngruppen“, einer barrierefreien Wohnung und Gemeinschaftsräumen vor. Im Regelgeschoss sind Zweibett- und Einzelzimmer geplant. In einem fünfgeschossigen Modul können so 75 Menschen untergebracht werden.
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2015 hat der Berliner Senat bereits sechs Containerdörfer gebaut (Flüchtlingsunterkunft Hohentwielsteig in Zehlendorf).
2015 hat der Berliner Senat bereits sechs Containerdörfer gebaut (Flüchtlingsunterkunft Hohentwielsteig in Zehlendorf).
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2016 sollen 30 Containersiedlungen als „Tempohomes“ entstehen (Entwurfsplanung Zossener Straße in Marzahn).
2016 sollen 30 Containersiedlungen als „Tempohomes“ entstehen (Entwurfsplanung Zossener Straße in Marzahn).
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Marzahn-Hellersdorf
Wittenberger Straße 16–19
12589 Berlin
6 Grundmodule à 75 = 450 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
Marzahn-HellersdorfWittenberger Straße 16–19
12589 Berlin
6 Grundmodule à 75 = 450 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
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Marzahn-Hellersdorf
Martha-Arendsee-Straße 17
12681 Berlin
6 Grundmodule à 75 = 450 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
Marzahn-HellersdorfMartha-Arendsee-Straße 17
12681 Berlin
6 Grundmodule à 75 = 450 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
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Pankow/Buch
Wolfgang-Heinz-Straße 13125 Berlin
6 Grundmodule à 75 = 450 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
Pankow/BuchWolfgang-Heinz-Straße 13125 Berlin
6 Grundmodule à 75 = 450 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
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Marzahn-Hellersdorf
Albert-Kuntz-Straße
12627 Berlin
6 Grundmodule à 75 = 450 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
Marzahn-HellersdorfAlbert-Kuntz-Straße
12627 Berlin
6 Grundmodule à 75 = 450 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
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Neukölln
Kiefholzstraße 74
12435 Berlin
3 Grundmodule à 75 = 225 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
NeuköllnKiefholzstraße 74
12435 Berlin
3 Grundmodule à 75 = 225 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
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Steglitz-Zehlendorf
Leonorenstraße 17, 33, 33A
12247 Berlin
8 Grundmodule à 60 = 480 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
Steglitz-ZehlendorfLeonorenstraße 17, 33, 33A
12247 Berlin
8 Grundmodule à 60 = 480 Wohnplätze, 1 Funktionsgebäude
Der Berliner Senat hat 200 öffentliche Grundstücke geprüft und plant, in großem Stil „Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge“ und Containerdörfer zu errichten. Das klingt zunächst vielversprechend, hat sich doch in der Hauptstadt die Unterbringungsnot des Jahres 2015 verstetigt: 70.000 Geflüchtete leben in Gemeinschaftseinrichtungen, davon sogar noch 30.000 Menschen in Notunterkünften. Bis zum Herbst sollen nun bereits 15.000 Menschen aus Turnhallen und anderen Provisorien in neu errichtete Containerdörfer ziehen, im April erfolgte zudem der erste Spatenstich für Modulbauten in Marzahn, 60 weitere Standorte sind in Entwicklung.
Verfügbare Grundstücke und ein gigantisches Bedürfnis nach Wohnraum – was macht der Senat aus dieser Situation? Den größten Wohnungsbauwettbewerb des Jahres? Ein Design-Built-Programm für die Berliner Architekturschulen? Mit Modulen lässt sich schnell vieles bauen, man kann sie in Stahlbetonstrukturen parken oder dreidimensional kombinieren, wie die Beispiele und Studien dieser Ausgabe zeigen. In Berlin hat man sich für den Modul- und Containerbau in ganzer Härte entschieden: Wohnheim statt Wohnungen, könnte die Devise lauten, möglichst viele Geflüchtete an einem Ort, möglichst weit weg vom Zentrum – all das, wovon Asylrechtsorganisationen und die Architektenkammer abraten. Oder wie ist es zu verstehen, dass Standorte mit 450 „Wohnplätzen“ in Planung sind? Dass man in Randlagen umzäunte Wohnheime baut, die integrationsfeindlichste aller Bautypologien?
Zuhause im Tempohome
Die ersten zehn Unterkünfte werden vom Senat gebaut, alle weiteren von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und der eigens gegründeten Berliner Gesellschaft zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften (BEFU). Modulbauten und Containerdörfer unterscheiden sich nicht nur in der Materialität, sondern auch hinsichtlich der Nutzungsdauer: Die Modulbauten sind langfristig geplant, die 30 Containerdörfer, neudeutsch „Tempohomes“, werden auf Grundlage des Sonderbaurechts für Flüchtlingswohnen (§246 ABs. 8 bis 10 BGB, Befristung bis 31.12.2019) nur für den Zeitraum von drei Jahren errichtet. Aktuelle Zahlen zeigen allerdings, dass niemand damit rechnet, dass die Container 2019 wieder abtransportiert werden. Zwar kommen derzeit weniger Flüchtlinge in Berlin an, da aber viele der Angekommenen Bleiberecht erhalten und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) immer mehr Anträge bearbeitet, steigt die Zahl derer weiter an, die mutmaßlich dauerhaft in der Hauptstadt bleiben werden. Der Berliner Sozialsenator addiert zudem jährlich 16.000 „sonstige wohnungslose Personen“ hinzu (Obdachlose, aber auch Flüchtlinge aus der EU), so dass Ende 2017 85.000 Menschen untergebracht werden müssen, im Jahr darauf 89.000 und Ende 2019 gar 93.500. Das Tempohome wird für einen Teil der Gesellschaft zum dauerhaften Zuhause.
So manche Bürgerinitiative befürchtet darüber hinaus, dass umstrittene Wohnungsbauvorhaben wie die Elisabeth-Aue in Pankow quasi durch die Hintertür auf dem Weg des Sonderbaurechts noch vor Erstellung des B-Plans angeschoben werden. Die Anwohnerschaft, die gegen die ihrer Meinung nach zu dichte Quartiersplanung mit 5000 Wohnungen gekämpft hat, wird nun wohl mit einer umzäunten Batterie von Stahlcontainern klarkommen müssen – eine gebaute Quittung der öffentlichen Hand für die Not-in-my-Backyard-Haltung.
MUF für hundert Jahre
Mit dem zweiten Bautypus, den „Modularen Unterkünften für Flüchtlinge“ (MUF), lebt vor allem in den Großwohnungssiedlungen am Stadtrand der Plattenbau wieder auf, dort, wo bis 2004 noch rückgebaut wurde. Die Unterkünfte basieren auf einem Amtsentwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, einem Grundmodul auf quadratischem Grundriss (18,5 x 18,5 Meter) mit fensterlosen Sanitäranlagen. Eine Varianz aus Ein- und Zweibettzimmern und 42 Quadratmeter großen „Wohngruppen“ für vier Menschen ist zwar eingeplant, doch allein die Größenordnung spottet jedem integrativen Ansatz: Die fünfgeschossigen Grundmodule sind auf jeweils 75 „Wohnplätze“ ausgelegt und sollen flexibel den Standorten angepasst werden – in den meisten Fällen bedeutet dies die Anordnung von sechs Grundmodulen plus Funktionsmodul zur Eingangskontrolle. Bei der Ausschreibung für die ersten zehn Standorte hat der Generalunternehmer Klebl aus der Oberpfalz den Zuschlag bekommen. Produziert wird in den Klebl-Werken in Sachsen-Anhalt und Brandenburg: drei mal sechs Meter große Betonfertigteile, die auf Bodenplatten aus Ortbeton gesetzt werden. Anvisierte Bauzeit pro Standort ist ein knappes Jahr.
Nach anhaltender öffentlicher Kritik an dem Entwurf des Senats wurden die weiteren Standorte Anfang 2016 „typenoffen“ ausgeschrieben. Gesucht wurden Generalübernehmer zur „Planung und zum Bau von typisierten Wohnhausgruppen in modularer Bauweise“. In einer Absichtserklärung des Sozialsenators und der Wohnungsbaugesellschaften vom Mai zeichnet sich auch ein Strategiewechsel ab: Die Unterkünfte sollten „als Wohngebäude mit einfachem Standard vergleichbar zum sozialen Wohnungsbau errichtet“ werden, vornehmlich mit Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen. Von Architekturwettbewerben ist nach wie vor nicht die Rede. Das ist umso unverantwortlicher, da die Modulbauten anders als die Containerdörfer nicht für drei, sondern für 50 bis 100 Jahre Nutzungsdauer ausgelegt sind. Eine langfristige Nachnutzung als belegungsgebundene Wohnungen, Studentenwohnheim oder „im geschützten Wohnsegment“ ist also ausdrücklich erwünscht.
Langfristig im Heim
Der Blick auf die Planung macht deutlich, dass trotz der angekündigten Kursänderung eine Verschiebung vom Wohnen zur Unterbringung stattfindet. Ist das die Zukunft des Wohnens für all jene, die auf dem Wohnungsmarkt nichts mehr finden? Eine Verstetigung des Provisoriums, ein subsozialer Wohnungsbau? Die in die Nachbarschaft eingebundene Wohnung als Grundlage für ein eigenständiges Leben – wird das für einen Teil der Gesellschaft dauerhaft zur Wunschvorstellung? Und noch nicht einmal als Sparmodell eignet sich dieser aus dem Boden gestampfte Wohnraum, da durch Wachschutz, Betreuungspersonal und zum Teil auch Catering hohe Betriebskosten anstehen.
Man mag es vermessen finden, angesichts von 30.000 in Schlafsälen ausharrenden Menschen auf Entwurfsqualität zu pochen. Doch die Gesamtberliner Größenordnung sollte nicht zu zentralistischer Planung verleiten: Fünf bis neun Standorte sollen in jedem der Bezirke bebaut werden, die ja für sich bereits Großstädte mit bis zu 390.000 Einwohnern sind. Auf Bezirksebene ist das überschaubar. Warum nutzt Berlin nicht das Know-how der Architektenschaft und baut auch in diesem Segment brauchbaren Wohnraum für die wachsende Stadt?
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