Nähen und flicken
London 2012
Text: Meyer, Friederike, Berlin
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Dann Jessen, Julian Lewis
Foto: Torsten Seidel
Dann Jessen, Julian Lewis
Foto: Torsten Seidel
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Im Auftrag von Design for London agieren East im Stadtteil Leyton nordöstlich des Olympiageländes. Julian Lewis und Dann Jessen erklären, was sie unter „Stitching“ verstehen, warum sie die Ladenfassaden verschönern wollen und was London von anderen dichten Städten unterscheidet.
Was ist so interessant an Leyton?
Julian Lewis | Wir beschäftigen uns mit Leyton, weil nebenan die Olympischen Spiele stattfinden. Der Stadtteil soll eine stärkere Beziehung zum Olympiagelände aufbauen. Aber es wäre zu einfach zu sagen, wir verbessern die Straßen und Wege und bauen Brücken, damit die Verbindung funktioniert.
Dann Jessen | Die Frage ist vielmehr: Welchen Charakter hat Leyton? Früher war das die Rückseite der Stadt. Schrebergärten und Autowaschanlagen, Prostitution und DVD-Verleih, Schienenstränge und Zäune. Jetzt wird es plötzlich zu einem Haupteingang. Doch die Bewohner sehen, dass viel Geld in den Olympiapark fließt und fühlen sich als die Verlierer der Spiele. Durch unsere Arbeit sollen sie merken, dass sich auch in ihrem Umfeld etwas verändert. Das können ganz kleine, fast unauffällige Dinge sein.
Zum Beispiel?
JL | Wir verbessern, was bereits da ist. Den viktorianischen Garten, den alle mögen, haben wir beleuchtet und den Weg dahin verbreitert. Es gibt neue Eingänge in den Cricket Ground, Sitzgelegenheiten, ein Schild. Und wir verschönern die Ladenfronten an der High Road. Wir öffnen den Leuten die Augen für vermeintliche Schmuddelecken. Von der U-Bahn zum Beispiel führen wir sie mit neuen Treppen und Rampen über einen Parkplatz, am Einkaufszentrum vorbei. Die Botschaft: Hej, das ist ein interessanter Weg, auch wenn ihr immer dachtet, der ist Mist.
Glauben Sie, mit Sitzgelegenheiten und Schildern einen Stadtteil verändern zu können oder ist das nicht eher die nachträgliche Erklärung für das geringe Budget?
JL | Es stimmt ja nicht, dass wir immer nur anpassen, bescheiden sind und ganz wenig machen. Hier gibt es einen Markt, der seit zehn Jahren nicht richtig genutzt wird. Wir haben für sechs Monate ein Programm aufgestellt, mit dem immer neue Stände in der Halle aufgetaucht sind. Das klingt banal, aber nach einiger Zeit bewarben sich die Leute tatsächlich um Plätze. Manche kamen aus dem trendigen Stadtteil Shoreditch und haben schicke Restaurants aufgemacht.
DJ | Wir haben zum Beispiel einen Film mit zwei Künstlern, Emily Tracy und Elizabeth Hobbs, gedreht und ihn an der Straßenecke gezeigt. Wir wollten den Leuten zeigen, was sie im öffentlichen Raum alles machen können. Das ist Teil unserer Beatmungsstrategie für Wohnviertel. Es ist wichtig, die Zuschauer mit ein zu beziehen, sodass sie am Ende selbstständig weitermachen und Verantwortung übernehmen.
Sie sagen, der Stadtteil soll eine stärkere Beziehung zum Olympiapark aufbauen. Sie richten Ihren Fokus aber eher auf das Zentrum von Leyton. Man könnte den Eindruck gewinnen, Sie wenden sich von Olympia ab.
DJ | Es kommt drauf an, in welche Richtung man schaut. Viele sorgen sich um die Erreichbarkeit des Olympiaparks. Ich finde es viel wichtiger, dass die Olympiapark-Besucher etwas von den angrenzenden Vierteln haben. Und dass dort etwas ist, das Besucher anzieht. Es geht um einen Dialog zwischen zwei Orten.
JL | Das wird ein toller Olympiapark. Aber mal ehrlich: Die Orte drum herum sind mindestens genauso toll. Und wenn wir diese Qualität sichtbar machen, dann ist das Stadtplanung.
Stadtplanung, die in London viele als Stitching (nähen) bezeichnen.
JL | Nähen heißt für uns, die Situation auf beiden Seiten normalisieren. Momentan ist da ein riesiges Ungleichgewicht.
DJ | Legacy bedeutet, nicht nur darüber nachzudenken, wie der Olympiapark nach den Spielen genutzt wird. Es ist wichtig, dass die Verbesserungen in den angrenzenden Gebieten zeitgleich zur Parkentwicklung passieren. Der Dialog zwischen beiden ist das Nähen, und das hat mit Selbstbewusstsein zu tun. Dass die Leute sich zwischen den Gebieten hin und her bewegen. Wir brauchen also gar nicht so viele Brücken und Wege, sondern vor allem Gründe, dass jemand sie benutzt.
Sie planen die Verschönerung der Ladenfassaden in der High Road und anderswo. Das klingt ein bisschen nach Potemkinschen Dörfern.
JL | Man darf nicht vergessen, dass schönere Läden auch mehr Geld in das Viertel bringen. Das stärkt die Gemeinschaft, macht sie umsichtig und selbstbewusst und nicht zuletzt unabhängig von Künstlern, die hier arbeiten. Das sind Versuche, die Händler hier zu behalten, anstatt zu warten, bis einer nach dem anderen wegzieht. Es ist immer die Frage, inwiefern ein Projekt eine Situation herausfordert oder einfach nur mit ihr umgeht.
DJ | Im Londoner Stadtteil Shoreditch zum Beispiel, hat sich die Bewohnerschaft innerhalb von fünfzehn Jahren ausgetauscht. Damals kamen die Künstler und ersetzten die Alteingesessenen, jetzt sind die Künstler weitergezogen. Umso wichtiger ist es, auf die Leute im Viertel zu bauen und nicht von denen abhängig zu sein, die hierher ziehen.
Wie geht das vor sich?
JL | Wir stellen nicht einfach nur neue Fassaden davor, sondern besprechen das mit den Eigentümern. So fühlen sie, es ist ihrs, sind emotional verbunden und engagiert. Es könnte sogar passieren, dass sie sich und ihr Leben dadurch ernster nehmen, dass sie feststellen, dass nicht nur hinter dem Olympiazaun große Sachen passieren, sondern sie ja auch etwas Geld bekommen, um damit etwas zu machen, auf das sie stolz sein können.
Dieses As-found-Prinzip, das die Smithsons bekannt gemacht haben, ist heute wieder in aller Munde. Wie erklären Sie sich das?
DJ | Es ist sehr britisch, Lücken zu finden und mit ihnen zu arbeiten. So funktioniert Städtebau in London. Hier gibt es überall kleine Lücken. Die letzten fünfzehn Jahre haben wir sie entdecken gelernt.
JL | Man muss die Dinge ja erstmal finden. Das es ist ein kreativer Prozess. Unsere Aufgabe ist es hier, herauszufinden, was ein Ort braucht. Und da sprechen wir schnell über Details: originale Türen, Putz, Fensterproportionen.
Was unterscheidet London von anderen dichten Städten weltweit?
DJ | London ist dicht und luftig zugleich. Es gibt diese ganzen unverständlichen Bereiche zwischen Grundstücken und Geländen. Paris ist auch dicht, aber die Beziehung zwischen Straße und Gebäude ist klar geregelt. London kommt mir immer vor wie eine Ansammlung von merkwürdigen Blöcken mit komischen ungenutzten Flächen drum herum.
Die Arbeit der Stadtplaner besteht also darin, diese ungenutzten Flächen zu finden und Nutzungen zu erdenken?
JL | Der Druck auf den öffentlichen Raum ist groß. Die Märkte florieren, Restaurants, Imbissstände, aber nirgendwo kann man sich mal hinsetzen. Das ist verrückt. Wir müssen diese Flächen einfach nutzen. Alle wollen einen aufgeräumten Stadtraum, in dem sich jeder entspannt bewegen kann, ohne Zäune, Tore und so. Aber es gibt in London eine gewisse Abneigung gegen Dichte. Hier sagt man nicht einfach: „Komm, lass es uns dicht planen“, und alles ist gut. Man versucht hier eher, den eigenen Raum zu schützen und eine Grenze drum zu ziehen. Und wenn daran jemand rüttelt, gibt es Streit.
Haben Sie eine Lösung für das Problem?
JL | Dafür braucht es viele zivilisierte Diskussionen und auch Geld, damit sich die Stadt öffnet. Ich glaube, das kann nicht nur räumlich und physisch gelöst werden. Da sind auch Politiker und Organisationen gefragt.
DJ | Es wird aber besser. Das hat einerseits mit der Stadtverwaltung zu tun, die es vor fünfzehn Jahren noch überhaupt nicht gab. Andererseits zeigen die vielen kleinen Projekte, dass in den Veränderungen im kleinen Maßstab eine große Qualität steckt.
Wie denken sie über die Auswirkungen der Spiele auf London allgemein?
JL | Ich hoffe, dass sich die Leute auf London freuen. Aber nicht nur hier im Osten. Sie werden viele verstopfte Straßen sehen, schräge Orte, sie werden verstehen, wie wahnsinnig London ist.
DJ | Möglicherweise werden die Spiele einfach so vorbeigehen. Es ist nur ein Event. Aber der Londoner Osten wird nachher mit anderen Augen gesehen werden.
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