National Memorial for Peace and Justice in Montgomery
Aus dem Land, das sich als Verfechter des Rechtsstaats versteht, kommen beunruhigende Nachrichten. Alte Konflikte wie der Rassismus scheinen längst nicht überwunden. Nun widmet sich in Alabama ein National Memorial for Peace and Justice der Geschichte von Gewalt und Unrecht gegenüber Afroamerikanern. Die Gedenkstätte erinnert an 4400 Schwarze, die Lynchmorden zum Opfer fielen.
Text: Bey, Lee, Chicago
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Schriftzug: Tausende Afroamerikaner wurden Opfer rassistischer Lynchjustiz; bei vielen wurde weder Tod noch Name dokumentiert.
Foto: Lee Bey
Schriftzug: Tausende Afroamerikaner wurden Opfer rassistischer Lynchjustiz; bei vielen wurde weder Tod noch Name dokumentiert.
Foto: Lee Bey
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Liegende Duplikate der Blöcke können von dem darauf genannten Landkreis abtransportiert und auf eigenem Boden ausgestellt werden.
Foto: Lee Bey
Liegende Duplikate der Blöcke können von dem darauf genannten Landkreis abtransportiert und auf eigenem Boden ausgestellt werden.
Foto: Lee Bey
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Die Gedenkstätte liegt im Westen der 200.000-Einwohner-Stadt Montgomery, ...
Foto: Lee Bey
Die Gedenkstätte liegt im Westen der 200.000-Einwohner-Stadt Montgomery, ...
Foto: Lee Bey
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... nahe des Parlamentsgebäudes von Alabama.
Luftbild: alamy
... nahe des Parlamentsgebäudes von Alabama.
Luftbild: alamy
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Bryan Stevenson, Jurist und Vorstand der Equal Justice Initiative, im Legacy Museum. Die Erde in den Gläsern im Hintergrund stammt von den Orten der Lynchmorde.
Foto: Lee Bey
Bryan Stevenson, Jurist und Vorstand der Equal Justice Initiative, im Legacy Museum. Die Erde in den Gläsern im Hintergrund stammt von den Orten der Lynchmorde.
Foto: Lee Bey
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Innerhalb des Pavillons umgeben den Besucher dichte Reihen aus 805 rostbraunen Stahlblöcken.
Foto: Lee Bey
Innerhalb des Pavillons umgeben den Besucher dichte Reihen aus 805 rostbraunen Stahlblöcken.
Foto: Lee Bey
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Die Skulpturen der Künstler Hank Willis Thomas (links: „Raise Up“) ...
Foto: Lee Bey
Die Skulpturen der Künstler Hank Willis Thomas (links: „Raise Up“) ...
Foto: Lee Bey
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... und Kwame Akoto-Bamfo
Foto: Lee Bey
... und Kwame Akoto-Bamfo
Foto: Lee Bey
Parks Banks, einen schwarzen Bewohner der Südstaaten, fand man 1922 aufgehängt an einem Baum in Yazoo City, Mississippi. Ein weißer Mob hatte ihn gelyncht, weil er das Foto einer weißen Frau bei sich geführt haben soll. Ballie Crutchfield, einer jungen schwarzen Frau, schossen sie zuerst in den Kopf, ehe ein weißer Mob sie 1901 von einer Brücke in Tennessee warf. Man hatte ihren Bruder des Diebstahls einer Geldbörse beschuldigt und konnte seiner nicht habhaft werden. So nahm man sich ihrer an.
Zwischen 1877 und 1950 sind in den Vereinigten Staaten nachweislich mehr als 4400 Schwarze gelyncht worden. Die Opfer: Männer, Frauen, Kinder, auch ganze Familien, getötet aus einem willkürlichen Grund oder auch keinem. Häufig geschahen diese Morde vor den Augen von Zuschauern, die danach noch vor den zerschlagenen oder verbrannten Körpern posierten. Selten wurden die Täter zur Rechenschaft gezogen, wenn überhaupt gesucht. Die Namen der Opfer wurden zu einer Fußnote der Geschichte oder gänzlich vergessen. Bis heute. Die nationale Gedenkstätte für Frieden und Gerechtigkeit – The National Memorial for Peace and Justice – will der Vergessenheit ein Ende setzen. Anfang des Jahres wurde die von dem Bostoner Büro Mass Design entworfene Stätte in Montgomery, der Hauptstadt des US-Staats Alabama, eröffnet – zum Gedenken an Opfer der Lynchjustiz und als Erinnerung an ein langes und dunkles Kapitel der Geschichte der USA.
Die Wirkung hängender Blöcke
Die Gedenkstätte steht erhöht auf einem 2,5 Hektar großen Areal in einer überwiegend von Schwarzen bewohnten Nachbarschaft. Ihre Mitte besetzt ein Kreuzgangartiger Pavillon, der Memorial Square, von dessen Decke 1,80 Meter hohe, rechteckige Cortenstahl-Blöcke hängen. In die rostbraunen Blöcke eingraviert sind die Namen der Opfer und die Jahreszahl des Mordes. Jeder der 805 Stahlblöcke steht für einen amerikanischen County (vergleichbar mit dem deutschen Landkreis), in dem ein Lynchvorfall nachgewiesen wurde. In Konzeption und Ausführung gibt das Mahnmal der Schwere des Themas eine angemessene Form. Beim Annähern an den Pavillon lassen die Reihen mannshoher Blöcke bereits ihre Wirkung erahnen. Dann, beim Rundgang, senkt sich der Boden, die Stahlblöcke dagegen steigen höher, je weiter man schreitet, bis sie schließlich unmittelbar über dem eigenen Kopf hängen und man unter ihnen hindurchgeht. Die unterschiedliche Farbigkeit in der Patina des Cortenstahls ist dunklen Hautfarben nicht unähnlich. Eine mutige, fröstelnd machende Darstellung, die unweigerlich Assoziationen an aufgehängte schwarze und braune Körper weckt.
Die Gedenkstätte ist vor allem einer Person zu verdanken: Bryan Stevenson, dem Gründer und Vorstand der Equal Justice Initiative (EJI) aus Montgomery, die als Bauherr des Mahnmals fungierte. Der Anwalt und landesweit bekannte Bürgerrechtsaktivist leistet mit seiner Organisation mittellosen Verurteilten und unschuldig Inhaftierten juristischen Beistand. Forscher aus dem Umkreis seiner Initiative hatten 2015 den Bericht „Lynching in America: Confronting the Legacy of Racial Terror“ über bislang nicht aufgedeckte Fälle von Lynchmorden veröffentlicht. Zeitgleich mit dem Mahnmal eröffnete wenige Straßen weiter im April das Legacy Museum, das die US-amerikanische Geschichte der Versklavung und Masseninhaftierung dokumentiert. Mahnmal und Museum sind das Ergebnis einer sechs Jahre dauernden und 20 Millionen Dollar teuren Kraftanstrengung.
Vorbild: Holocaust-Mahnmal in Berlin
Der Standort der Gedenkstätte, Montgomery in Alabama, ist so bemerkenswert wie stimmig gewählt. Die Stadt war im 19. Jahrhundert ein großer Handelsplatz für Sklaven. Auf dem Alabama River wurden hier die Afrikaner aus den Verschlägen der Sklavenschiffe wie Ware entladen. Anschließend mussten sie über die Main Street der Stadt, der „Commerce Avenue“, zu einem öffentlichen Platz marschieren, auf dem sie versteigert wurden. Montgomery war auch die erste Hauptstadt der Konföderierten im amerikanischen Sezessionskrieg. Und es war die Stadt, in der 1963 Alabamas Gouverneur George Wallace schwor – in Missachtung der offiziellen Regierungsanweisungen – in den Schulen und Einrichtungen des Landes an der Rassentrennung festzuhalten. Zugleich wurde Montgomery eine wichtige Stadt der Bürgerrechtsbewegung. Martin Luther King erhielt 1956 international Aufmerksamkeit als Initiator des berühmten Bus-Boykotts von Montgomery.
Auch für den EJI-Vorstand Stevenson liefert Montgomerys Geschichte die richtige Voraussetzung für ein Anti-Lynch-Mahnmal: „Wenn man etwas über den Holocaust erzählen will, sollte man es an den betroffenen Orten tun. Es gibt ein Holocaust-Museum in Washington und eines in Jerusalem. Gäbe es keine Erinnerungsstätte in Deutschland oder in Auschwitz, dann spräche es nicht dafür, dass es dort einen kulturellen Fortschritt gegeben hat.“ Stevenson betont die bewusste Anlehnung des Mahnmals an das Apartheid Museum in Johannesburg und das Holocaust-Mahnmal in Berlin: „Beides wurde als Versprechen entworfen, dass die Leute niemals vergessen werden, was Menschen unter der Apartheid oder unter dem Holocaust zu erleiden hatten. In Amerika aber ließ sich ein derartiger Ort bisher kaum finden.“
In der Gedenkstätte in Montgomery erfährt man durch an die Wände angebrachte Informationstafeln mehr über das Schicksal einiger Opfer. Zum Beispiel Grant Cole: Er wurde 1925 in Montgomery gelyncht, weil er sich geweigert hatte, einen Botengang für eine weiße Frau zu erledigen. Über tausend weiße Männer, Frauen und Kinder sahen dabei zu, wie ein Mob 1925 Zachariah Walker in Coatesville, Pennsylvania, bei lebendigem Leibe verbrannte.
„Natürlich soll einem mulmig werden, wenn man an diesem Ort ist und solche Sätze liest“, sagt Stevenson. „Wir wollten hier nichts verpacken und nichts beschönigen. Das wäre der Geschichte nicht gerecht.”
Den Pavillon umläuft ein Landschaftspark, in dem auf der Westeite Duplikate der 805 Blöcke als liegende Platten entlang eines Weges aufgereiht werden. Die Anordnung dieser Stahlplatten ist als eine Reminiszenz an die 2711 Betonstelen des Berliner Holocaust Mahnmals gedacht. Im Gegensatz zu den dortigen Stelen lassen sich die Gedenksteine in Montgomery jedoch entfernen und abtransportieren. Die Idee dahinter: Jedes County, das auf den Gedenksteinen genannt ist, soll seinen Stein mitnehmen und auf eigenem Boden öffentlich ausstellen – insofern es an diesem Ort eine Auseinandersetzung mit der eigenen Lynch-Geschichte gegeben hat.
Dadurch soll die Gedenkstätte wie ein Zeugnis über die Landkreise werden, die sich ihrer Geschichte gestellt haben und denen, die es bisher versäumten.
Bezug zu Opfern weißer Polizeigewalt
Anfängliche Experimente, die Platten aus farbigem Kunststoff herzustellen, wurden verworfen, weil sie „in keinem Fall diesen Eindruck von braunen hängenden Formen“ zustande gebracht hätten, so Stevenson. Glücklicherweise wurde auch der erste Entwurf von Mass Design aufgegeben, bei dem die Anlage ein buntes Dach und pastellfarbene Tafeln bekommen hätte, die aufrecht gestanden hätten wie Grabsteine und ein unangemessenes Farbspiel bewirkt hätten.
Über das Gelände verteilen sich auch drei Bronzeskulpturen, entworfen von afroamerikanischen Bildhauern. Darunter ein Werk von Dana King: drei Frauen, die an die drei Damen erinnern, die 1956 eine entscheidende Rolle bei der Planung und Organisation des Bus-Boykotts gespielt haben sollen.
Hank Willis Thomas zeigt mit seiner Skulptur Raise Up (Erhebt euch) eine Gruppe schwarzer Menschen mit erhobenen Händen – ein offensichtlicher Bezug zu den unbewaffneten Männern, die in den USA in den letzten Jahren durch Polizisten erschossen wurden.
Kwame Akoto-Bamfo, ein Bildhauer aus Ghana, schuf die wohl wirkmächtigste der drei Arbeiten. Er setzt auf Dynamik als Kunstmittel und zeigt, wie sich Männer und Frauen dagegen wehren, aneinandergekettet zu werden. Die Skulptur steht am Eingang der Stätte, als chronologischer Hinweis, dass die Gewalt gegenüber den schwarzen Bewohnern des Kontinents mit dem Sklavenhandel ihren Anfang nahm.
Im Herzen der ehemaligen Südstaaten
Die Gedenkstätte und das Museum sind das jüngste Glied neuer Kultureinrichtungen in den USA, die sich um eine Neubewertung der Geschichte der Afroamerikaner und der Sklaverei bemühen: das National Museum of African American History in Washington (von Adjaye Associates,
Bauwelt 5.2017), das Whitney Plantation Museum in Wallace, Louisiana, und das im Bau befindliche International African American Museum (von Pei Cobb Freed & Partners) in Charlotte.
Gedenkstätte und Museum in Montgomery erweitern – dem Thema angemessen und gestalterisch überzeugend ausgeführt – diese neue Reihe historischer Erinnerungsorte. Sie treffen auf ein Land, das sich besonders in seinem Süden noch mit der Frage herumschlägt, wie mit den Denkmälern der Konföderierten umzugehen ist: Viele wurden erst nach dem Ende des Bürgerkriegs als Antwort auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung errichtet. Der Präsident der Confederate States of America, Jefferson Davis, verlor mit seinen Südstaaten zwar den Bürgerkrieg, sein Geburtstag aber ist immer noch offizieller Feiertag in Alabama.
„Wir wissen, dass wir Räume schaffen müssen, die dem amerikanischen Narrativ einer glorreichen Vergangenheit etwas entgegensetzen. Entgegen dieser Vorstellung, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts alles so wunderbar gewesen war und wir niemals etwas Falsches oder Böses verbrochen haben”, sagt Stevenson. „Wir können nicht länger so tun, als würde uns dieser Teil der Geschichte nicht auch heute noch belasten. Denn das tut er.”
Aus dem Englischen von Michael Goj
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