Noorderparkbar
Pavillon aus Gebrauchtmaterialien
Text: Ballhausen, Nils, Berlin; van Assche, Peter, Amsterdam
In Zeiten der wirtschaftlichen Krise, von der niederländische Architekturbüros besonders stark betroffen sind, haben sich bureau SLA und Overtreders W mit dem Bau eines kleinen Pavillons aus Gebrauchtmaterialien beschäftigt. Das Projekt zog wundersame Kreise, dabei ging es anfangs nur um guten Kaffee.
Die Konstruktion der Noorderparkbar besteht ausschließlich aus Materialien, die über die Internetbörse marktplaats.nl – einer niederländischen Tochterfirma von ebay – beschafft wurden. Die Secondhand-Bauteile stammen von rund hundert Privatpersonen und Kleinhändlern, und dennoch sieht der Pavillon wie neu aus. Bureau SLA und Overtreders W waren nicht nur Planer des Gebäudes, sondern auch Initiatoren und Geldbeschaffer, Baustoffhändler und Bauarbeiter. In Zeiten der Finanzkrise, die die niederländische Bauwirtschaft empfindlich getroffen hat, konnte das Projekt nur durch eine solche Bottom-up-Initiative realisiert werden.
Der Gestaltungsprozess der Bar war relativ ungewöhnlich: Es gab eine Webseite für das Crowdfunding (
voordekunst.nl) – das Budget wurde durch zahlreiche Kleinspenden aufgebracht. Die ersteigerten Materialien mussten eingesammelt werden. Das Planen und Bauen musste simultan geschehen, denn vorherige Festlegungen waren ausgeschlossen, da sich das Angebot bei Marktplaats ständig änderte. Erst wenn man den Zuschlag für einen Artikel erhalten hatte, konnte man sicher sein, ihn auch verwenden zu können – und auch verwenden zu müssen.
Die Tragstruktur der Noorderparkbar besteht aus drei Systembau-Modulen, die ehemals von einem Krankenhaus genutzt wurden. Als wir sie erwarben, waren sie bis auf ihren Stahlrahmen skelettiert. Eines der Module erhielt eine neue Fassade aus Fenstern unterschiedlicher Formate, seine Decke besteht aus diversen Oberlichtern. Die vorgelagerte Terrasse wird von zwei aufeinander gestapelten Modulen gerahmt. Der Pavillon kann rundum mit raumhohen Klappläden verschlossen werden, sie dienen als Schutz gegen Vandalismus. Deren Oberflächen wurden nach der traditionellen japanischen Technik des shou sugi ban kurzzeitig angeflammt und dadurch witterungsbeständig gemacht.
Unser erster Marktplaats-Kauf war ein gebrauchter Kleinlaster, mit dem wir die Materialien aus dem ganzen Land herbeischafften. Neben den drei Krankenhaus-Systembauteilen, 42 Fenstern, einigen tausend Metern Holz, 55 Litern Farbe, zwei Toiletten und haufenweise grünen und weißen Fliesen kamen zahlreiche
weitere Einzelstücke zusammen, meistens die Reste von Heimwerker-Renovierungen. Die Innenwände der Bar bestehen aus Teilen einer Transportkiste, in der eine Milchabfüllanlage aus China in die Niederlande gelangt war, das Holz für die Klappläden von einem bankrott gegangenen Schalungsbauer. bureau SLA
„Unser Gebäude ... na ja, es steht jetzt einfach da“ Peter van Assche
Wie kam es zu dem Projekt Noorderparkbar?
Peter van Assche | Als ich vor fünf Jahren nach Amsterdam-Noord umzog, konnte man dort nirgends einen guten Kaffee bekommen. Während eines Festivals im Noorderpark sprach ich darüber mit Reinder Bakker von Overtreders W und der Direktorin des Kulturzentrums Noorderparkkamer, und wir beschlossen, es selbst in die Hand zu nehmen. Trotzdem hat es dann noch ein paar Jahre gedauert.
Wieso das?
Anfangs hat sich die Sozialwohnungsbaugesellschaft Ymere sehr um das Projekt bemüht, aber zwischen uns hat es nicht funktioniert. Sie wollten etwas Großes aufziehen, wir wollten einfach nur guten Kaffee trinken. Sie wollten Risiken minimieren, wir ein Risiko eingehen. Am Ende stellte sich raus, dass sie darauf spekulierten, als Gegenleistung für den Pavillon den gesamten Nordbereich des Parks bebauen zu dürfen. Das lehnte der Stadtrat ab, den Rest erledigte dann die Finanzkrise. Ein Jahr später sagte mir der Regionalmanager des Unternehmens: „Nimm das Geld, bau das Ding und lass mich in Ruhe!“ Das war genau das richtige Signal.
Wie lief die Genehmigungsphase?
Als wir das Projekt bei der „welstand“, der hier üblichen Gestaltungskommission, vorstellten, fragten sie uns: „Wie soll der Pavillon denn bitte aussehen, darüber müssen wir doch schließlich entscheiden?“ „Keine Ahnung“, sagten wir, „kommt drauf an, was wir im Internet finden.“ Ich glaube, zum allerersten Mal in der Geschichte Amsterdams, vielleicht sogar Hollands, hat diese Kommission einen Prozess genehmigt und nicht eine Gestaltung. Aber die Sitzung hat uns doch einige Nerven gekostet.
Wem gehört denn das Grundstück?
Der Noorderpark gehört der Stadt. Eigentlich müssten wir den Bauplatz pachten, so wie jeder Hauseigentümer in Amsterdam sein Grundstück gegen Erbpacht von der Stadt zur Verfügung gestellt bekommt – was zurzeit übrigens heiß diskutiert wird. Unser Gebäude dagegen ... na ja, es steht jetzt einfach da.
Und wer ist der Eigentümer der Bar?
Das weiß niemand so recht. Weder waren wir bei einem Notar, noch gibt es Verträge. Die Bar ist für jeden da, auch wenn nicht jeder einen Schlüssel hat. Keine Ahnung, ob die Stadt uns irgendwann die Kosten für Wasser und Abwasser in Rechnung stellt. Die Erlaubnis gilt jedenfalls unbefristet.
Wie ist das Ganze bezahlt und gebaut worden?
Nach einem Fernsehbericht über das Projekt kam Marktplaats selbst auf uns zu und spendete weitere 7500 Euro. Und es kam noch besser: 80 Marktplaats-Mitarbeiter halfen uns beim Bauen, jeder kam für einen halben Tag vorbei, was ziemlich lustig war. Währenddessen merkten wir, dass die Geschichten um das Material mindestens genauso interessant sind wie die der Bar selbst, deshalb kann man heute die Herkunft der Bauteile und Kurzporträts der Vorbesitzer auf der Webseite hetkomtaltijdgoed.nl nachlesen.
Ein großer Aufwand für so ein kleines Bauvorhaben! Hatten Sie nichts anderes zu tun?
Die Noorderparkbar ist vielleicht das beste Beispiel für Krisenarchitektur. In den Zeitungen gab es vor kurzem eine Debatte darüber, dass die wichtigsten niederländischen Architekturpreise – der BNA-Prijs und De Gouden AAP – dieses Jahr für Gebäude verliehen wurden, die aus der Zeit vor der Finanzkrise stammen. Kurz vor der Bekanntgabe der Preisträger schrieb ein Journalist, dass in diesen Zeiten beide Preise lieber an die Noorderparkbar gehen sollten. Ironischerweise war sie nicht einmal nominiert.
Sie fordern Preise für Recycling-Architektur?
Die Noorderparkbar ist eher ein Beispiel für „Upcycling“, denn das Material ist jetzt höherwertig eingesetzt als ursprünglich. Das ist etwas anderes, als wenn ausrangierte Mobiltelefone als Granulat im Straßenbau landen.
Das Interview führte Nils Ballhausen
Fakten
Architekten
bureau SLA, Amsterdam; Overtreders W, Amsterdam
Adresse
Floraparkweg 1 1032 BZ Amsterdam Niederlande
aus
Bauwelt 25.2012
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