Text: Weckherlin, Gernot, Berlin
Das gegenüber der Berliner Museumsinsel am Nordufer der Spree gelegene Quartier, zwischen Oranienburger Straße, Tucholskystraße und Monbijoupark, dämmerte einige Jahre wie ein letztes Stück unerledigter Entwicklung in der Spandauer Vorstadt vor sich hin. Dabei zählen zu den interessanten Baubeständen etwa der monumentale, neobarocke Bau des „Haupt-Telegraphenamts“ in der Oranienburger Straße – nach Entwürfen von Postbaurat Wilhelm Walter –, zur Bauzeit 1910–16 das aufwändigste Postgebäude Deutschlands, und in der Tucholskystraße die expressionistische Fassade des Fernsprechamts von Felix Gentzen (1926). Auf dem Gelände der unmittelbar an der Spree gelegenen ehemaligen Universitäts-Frauenklinik aber tobt inzwischen eine fröhlich fortschreitende Baustelle. Große Plakate zeigen, hier entsteht die „Telekom School of Transformation“ im „Gropius-Ensemble“. Es soll an der Stelle – ähnlich wie im Jahr 1910 im einstigen Haupt-Telegraphenamt – wohl bald um die Entwicklung allermodernster Kommunikationstechnik gehen. Außerdem wird an der Transformation des unmittelbar an das sogenannte Gropius-Ensemble anschließenden Neubaus der Frauenklinik aus den Jahren 1928–33 gearbeitet. Mit seinem halbrunden Abschluss erinnert er an einen etwas spröden Mendelsohn-Bau. Die Investorenprosa nennt diesen Bauabschnitt „Das Bauhaus“; die Umwandlung soll großzügige Wohnungen, Büros und Designer-Läden in „Original Bauhaus-Architektur“ schaffen. 2015 soll das Projekt eröffnen.
Die beiden stilistisch gänzlich unterschiedlichen Bauteile „Gropius-Ensemble“ und „Das Bauhaus“ gehörten mit weiteren Bauten ursprünglich zum ausgedehnten Ensemble der Klinik. Die Preußische Bauverwaltung unter Martin Kießling und Walter Wolff hatte während der Umbauphase von 1928–33 weitreichendere Pläne, als nur ein wenig „Bauhaus“ zu errichten. Was heute in der Ziegelstraße als moderater, dreigeschossiger Bau mit Flachdach und dem unvermeidlichen Kragdach am runden östlichen Gebäudeabschluss herauslugt, sollte der Auftakt für eine radikale Neugestaltung samt Abriss der als veraltet betrachteten Anlage von Martin Gropius und Heino Schmieden sein, welche den ersten Bau der Universitätsklinik in den Jahren 1878–93 auf dem Grundstück an der Spree errichtet hatten. Die Wirtschaftskrise des Jahres 1932 verhinderte die Vollendung des radikalen Eingriffs, und der Bau an der Ziegelstraße blieb ein modernes Fragment.
Im Zweiten Weltkrieg fielen dann auch die Gebäudeteile des Gropius-Schmieden’schen Altbaus entlang der Tucholskystraße der Beschädigung anheim oder gingen ganz verloren. So wurde der südliche Risalit des einst axialsymmetrisch angelegten Baus aus dem 19. Jahrhundert vollkommen zerstört und nicht wieder aufgebaut. Der Turm über dem ehemaligen Verwaltungstrakt, ein „Belvedere“, der den Altbau einst bekrönte, wurde beschädigt, aber wieder hergestellt. Weitere Bauteile aus den dreißiger Jahren waren schwer beschädigt, wurden teilweise verändert und um ein Geschoss höher wieder aufgebaut. Alle Baumaßnahmen der Nachkriegszeit waren im Wesentlichen Notmaßnahmen. Interessanterweise wurde, mit der ohnedies verlorenen Symmetrie des Altbaus, der Gropius-Schmieden’sche Bauteil darüber hinaus seines Mittelrisalits beraubt, einfach verputzt und damit dem „Bauhaus“-Abschnitt optisch angeglichen. Ein großes, dank der Auflagen des Denkmalschutzes erhalten gebliebenes Hörsaal-fenster verrät heute noch die Handschrift der DDR-Architektur der frühen fünfziger Jahre, welche in „nationaler Tradition“ baute.
Zwiegespräch mit dem 19. Jahrhundert
All dies war nun Ausgangsbasis für das Büro David Chipperfield Architects, die in jedem Fall eine Positionierung hinsichtlich der jeweiligen zeitlichen und mehrfach veränderten Schichten verlangte. Einerseits ließen die strengen Auflagen des Denkmalschutzes Veränderungen nur bedingt zu, andererseits waren mit der vom Auftraggeber geforderten Erweiterung der Nutzflächen Ergänzungsbauten unvermeidlich. Die Architekten haben dieses Problem in subtiler und zugleich souveräner Weise gelöst.
Die augenfälligste, stadträumlich am stärksten wirksame Maßnahme ist der Neubau des im Krieg zerstörten Seitenflügels an der Spree in einem nur auf den ersten Blick verstörenden Gewand. Er erscheint als ruhiger Monolith mit monumental gereihten und aus der Mitte geschobenen Bogenfenstern und ragt neben dem Grün des Parks weithin sichtbar zur Museumsinsel hinüber. Dieses Bauwerk versteckt so weder seine Aufgabe als technisch hochgerüsteter Konferenz- und Tagungstrakt, noch leugnet es den Bezug zu der ebenfalls vorsichtig wieder hergestellten Architektur des 19. Jahrhunderts. Für die massiv ausgeführte, selbsttragende Ziegelfassade wurde ein stark geflammter und in seiner Farbigkeit dem Material des 19. Jahrhunderts angeglichener Ziegel verwendet. Ursprünglich war sogar geplant, gebrauchte Steine zu verbauen, doch scheiterte dies an deren fehlender Zulassung. Mit umlaufenden Gesimsen, die die Geschosshöhen andeuten und zugleich die Fassade gliedern, ist hier ein neuer, flach gedeckter Bauteil entstanden, der die Präsenz des alten Eckbaus wieder herstellt. Außerdem gelingt es mit ihm, gerade aus der Ferne betrachtet, eine ruhige Ordnung herzustellen, die mit den – je nach Geschosshöhe – unterschiedlich hoch ausgeführten Rundbogenfenstern und der Eckstellung weiterer Öffnungen darauf verweist, dass diese Fassade doch ein Ergebnis des 21. Jahrhunderts sein muss. Aus den Fenstern bietet sich eine grandiose Aussicht auf das Weltkulturerbe Museumsinsel.
Zweiter und nicht minder wichtiger Schritt ist die Wiederherstellung des Mittelrisalits und die Sanierung des ehemaligen Verwaltungsgebäudes an der Tucholskystraße. Da dem Bauwerk ein bisher nicht vorhandenes, zurückspringendes viertes Geschoss aufgesetzt worden ist, präsentiert sich die Fassade in Zukunft wieder in ihrer achsialen Symmetrie und, zumindest in Teilen, auch mit dem vom Putz befreiten Sichtmauerwerk. Hier waren zweifellos Kompromisse nötig, denn der disparate Baubestand legte keine „offensichtlichen“ Anknüpfungspunkte an eine bestimmte Zeitschicht nahe. Besondere Aufmerksamkeit verdient der ehemalige medizinische Hörsaal aus dem Jahr 1893, der mit seinen unglaublich steilen und jeder heutigen Bauvorschrift widersprechenden Steigungsverhältnisse ebenfalls wieder hergestellt und in die geplante Nutzung integriert werden wird.
Der Bau der Universitäts-Frauenklinik, der hier nun denkmalgerecht instandgesetzt und ergänzt wurde, ist insofern ein schönes Beispiel für die praktischen, aber wohl auch ins Konzeptionelle reichenden Schwierigkeiten, die Baudenkmäler, welche auf mehrere Zeitschichten und im Wortsinn auch bauliche Brüche verweisen, stets erneut aufwerfen. Einerseits sollen sie heute praktisch nutzbar sein, was im vorliegenden Fall einen enormen Aufwand an Kommunikations- und Klimatechnikinstallationen bedingt, andererseits sollen sie in Berlins Premium-Immobiliensegment eine gewisse repräsentative Würde bewahren. Die Abstufungen architektonischer Haltungen zwischen völliger Negation des Vorhandenen und geschichtsvergessener Rekonstruktion historischer Idealbilder ist stets neu eine Gratwanderung zwischen Banalität und Desaster. Jeder Gang durch Berlins Mitte bietet eindrückliche Beispiele dieser baulichen Schreckenskammer in allen Schattierungen. Hier jedoch, so darf man wohl jetzt schon sagen, wird es gelingen, weder die historischen Epochen zu leugnen, noch sklavisch an ihrem überlebten Formenschatz festzuhalten. Im Grunde ist die Operation schlicht: Sie setzt nur eine klare Analyse des Vorhandenen und eine nicht minder klare eigene Haltung der Planer voraus, die es verstehen müssen, die Bauherren zu überzeugen. Die Haltung der Architekten ist hier sicher nicht die des avantgardistischen Experimentierens, eher die eines bewahrenden Veränderns der gegebenen Situation. Dem Komplex jedenfalls schadet es nicht, ganz im Gegenteil.
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