Bauwelt

Parlamentsgebäude in Eupen


Demokratie von unten


Text: Fischer, Ludger, Brüssel


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Ulrich Schwarz

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Ulrich Schwarz

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Ulrich Schwarz

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Ulrich Schwarz

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto. Urlich Schwarz

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto. Urlich Schwarz

Seit 1984 verfügt die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien über anerkannte Rechte und eine eigene Gesetzgebungskompetenz. In einem umgebauten Sanatoriumsgebäude in Eupen wurde jetzt das neue Parlament eröffnet.
„Wahlen allein machen noch keine Demokratie.“ Das haben sich Regierung und Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien in den Boden vor ihrem neuen Plenarsaal eingravieren lassen. Über diesen Satz von Barack Obama kann man im belgischen Eupen stolpern. Gewählt wird hier nämlich erst seit 1984, und das auch noch mit eingeschränkten Rechten. Noch ist das Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft keine eigenständige Region Belgiens. Noch hat man bloß von der Wallonischen Region Kompetenzen zur Ausführung übertragen bekommen. Noch sind das eher Themen, die im Sinne der eigenen Verwaltung von der Region Wallonien an die neun deutschsprachigen Gemeinden an der belgisch-deutschen Grenze delegiert wurden: Denkmalschutz, Beschäftigung, Gemeindeaufsicht und -finanzierung. Zu den Zuständigkeiten gehören außerdem Kultur, Sprachpflege, Familien- und Gesundheitspolitik, Jugendhilfe, Behindertenfürsorge, Seniorenpolitik und die innerbelgische Zusammenarbeit.
Der König schwindelt gerne mit
In Eupen, Kelmis, Lontzen, Raeren, Amel, Büllingen, Burg-Reuland, Bütgenbach und Sankt Vith, also in der gesamten Deutschsprachigen Gemeinschaft, sind sich Bevölkerung, Parlament und Regierung darin einig, dass noch wesentlich mehr Kompetenzen dazukommen müssten. In Lüttich, bei der Regierung der französischsprachigen Region Wallonien, ist man anderer Meinung. Deshalb waren die Eupener froh, dass sich der neue König Philippe und Königin Mathilde bei ihrem Antrittsbesuch Papierfähnchen unterschmuggeln ließen, auf deren Rückseite die Wappensymbole von vier belgischen Regionen zu sehen waren: Flandern, Brüssel, Wallonien und das Wappen der Deutschsprachigen Gemeinschaft. In der Mitte das königliche Wappen. Der König bemerkte den Schwindel, winkte aber fröhlich mit seinem Fähnchen.
Sanierungsbedürftiges Denkmal ohne Schutzanspruch
Seit 2013 hat das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft einen neuen Sitz. Von 2008 an wurde dazu das Gebäude eines ehemaligen Sanatoriums renoviert und erweitert. Die Wahl des neuen Orts für dieses Parlament erfolgte nicht ohne Hintergedanken. Das Haus wurde 1915–1917, mitten im Krieg, zu einer Zeit, als Eupen zum Deutschen Kaiserreich gehörte, gebaut. Es war als Sanatorium für Angestellte und Kaufleute gedacht, die sich dort „von der Steinwüste der Großstadt“ er­holen sollten. Die „Großstadt“, das war Eupen, heute ein Ort mit 20.000 Einwohnern und vor hundert Jahren etwa halb so groß. Nach zahlreichen Nutzungswechseln, die auch durch die ständig wechselnde nationale Zugehörigkeit in der belgisch-deutschen Grenzregion hervorgerufen wurden, war das Sanatorium durch Umbauten in den 1960er und 1970er Jahren stark entstellt.
Das Rotterdamer Atelier Kempe Thill gewann im Herbst 2008 den internationalen Wettbewerb und erhielt dann den Auftrag zur Renovierung des Altbaus und zum Neubau eines Plenarsaals. Beide Gebäude sollten einen eigenständigen Charakter bekommen und doch eine architektonische Einheit bilden. Dazu ließen die Architekten den Neubau teilweise im Bo­den versinken, wobei die vorgelagerte Situation im Park dafür sorgt, dass sich das Neue dem triumphal wirkenden Altbau nicht unterordnet.
Das ehemalige Sanatoriumsgebäude ist selbst kein geschütztes Baudenkmal. Trotzdem war bei seiner Renovierung und bei der Ergänzung in vieler Hinsicht Rücksichtnahme geboten: Rücksicht auf den wuchtigen Gesamteindruck des Altbaus, Rücksicht auf die sich anschließende Parklandschaft, Rücksicht auf 2000 Facebook-Protestnoten. Der Protest kam zustande, als klar wurde, dass der Entwurf der Wettbewerbsgewinner trotz sparsamster Ausführung das Budget der Deutschsprachigen Gemeinschaft auf lange Jahre belasten würde. Der Ergänzungsbau, der ursprünglich mehrere Konferenzräume enthalten sollte, wurde deshalb um die Hälfte gekürzt und im Gesamtvolumen verkleinert. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, in der zentralen Achse des Altbaus eine Freitreppe anzulegen, die seinen repräsentativen Charakter unterstreicht. Ansonsten atmet der gesamte Komplex den Geist von Bescheidenheit ohne Geiz.
Die neuen Fenster des renovierten Altbaus – aus Aluminium statt aus Holz – wurden im Gegensatz zu den früheren lediglich vertikal zweigeteilt. Wenn man weiß, dass alle Fenster ursprünglich auch von Fensterläden flankiert wurden, wird einem klar, warum das Nicht-Denkmal in diesem Punkt erheblich an Charme eingebüßt hat. Zu einem Zauberberg wurde die Anhöhe südlich von Eupen deshalb nicht. Innen wurden die gut erhaltenen Böden in den Sälen und Treppenhäusern repariert und farblich passend ergänzt. Fehlende Zimmertüren in den Erschließungskorridoren wurden nach dem Vorbild bestehender Türen nachgebaut. Die Ausstattung wirkt kühl, aber nicht abstoßend.
Bescheidenes Juwel
Trotz seiner dezenten Unterordnung ist der neue Plenarsaal von außen und innen das Juwel des Parlamentsgebäudes. Die Außenwände und das Dach sind vollständig mit Sedumpflanzen begrünt. Der Bau wirkt als minimalistische Skulptur mit grüner Oberfläche; die klare Kubusform unterstreicht indes seine besondere Funktion. Die Südostwand ist vollständig verglast. Vor ihr – mit der hügeligen Landschaft Ostbelgiens im Rücken – sitzen die Regierung und der Parlamentspräsident. Den Blick in die Landschaft dürfen die 25 Abgeordneten genießen. In Längsrichtung verlaufende P-Träger erlauben eine Deckenüberspannung ohne Stützen. Boden, Decke, Wände, Tische, selbst das höhenverstellbare Rednerpult – alles besteht aus ein und demselben Material: quadratischen Eichenholzklötzchen. Durch die einheitliche Materialwahl für das Stirnholzparkett und die eigens entwickelten Wand- und Deckenpaneele ergibt sich ein höhlenartiger, beschützender Gesamteindruck. Die Be- und Entlüftung erfolgt durch die Schlitze zwischen den Holzklötzchen. Zum Plenarsaal steigt man vom Erdgeschoss aus hinab auf das Kellerniveau des Altbaus. Dass es dort nicht kellerartig wirkt, liegt an den großen Oberlichtern im Vorraum des Saals, an den großen Fenstern vom Foyer zum Saal und an dessen vollständig verglaster Rückwand. So sind ausgerechnet die teilweise unterirdischen Teile des Gesamtkomplexes die hellsten. Ludger Fischer

Das neue Energiekonzept und die Decken des Sanatoriums
Neben der Frage nach den passenden Materialien und ihrer Detaillierung gab es bei dieser Sanierung ein konzeptuelles Problem: zu den An­forderungen, die uns gestellt wurden, gehörte eine sehr hohe energetische Ertüchtigung zum Niedrigenergiestandard, die weit über die ursprüngliche Auslegung des Gebäudes hinausging und die möglichst unaufällig in das Gesamtkonzept des Entwurfs integriert werden sollte. Neben einer hochwertigen Wärmedämmung ging es vor allem um die Integration einer Lüftungsanlage sowie einer neuen Heizung auf Basis von Pellets. Hinzu kam eine Gebäudekühlung über ein adiabates System, das auf Verdunstungskälte von Wasser beruht. Sanierungstechnisch hatte dies zur Folge, dass in Wänden und Decken ungefähr fünfhundert Kernbohrungen gemacht werden mussten, die vor allem für die fragile Deckenkonstruktion aus der Entstehungszeit des Gebäudes eine Gefahr hätten bedeuten können – die Decken mussten zum Teil ausgetauscht werden. Für die Lüftung waren derart viele Kanäle notwendig, dass die Korridore diese beinahe nicht mehr aufnehmen konnten. Wir mussten auf abgehängte Decken zurückgreifen, die die Raumproportionen empfindlich beeinflusst haben.
In vielen kaum sichtbaren Details haben wir uns darum bemüht, die Integrität des Altbaus zu wahren und architektonische Entsprechungen gemäß den heutigen Anforderungen zu finden, die zum Gesamtausdruck des Altbaus passen. So wurden die Türen in den Erschließungskorridoren authentisch nachgebaut, die Terrazzoböden repariert und ergänzt, die Dachgauben in ihrer Proportion passend gemacht und als Dachdeckung wieder das ursprüngliche Material Schiefer verwendet.  Atelier Kempe Thill



Fakten
Architekten Atelier Kempe Thill, Rotterdam; Artau scrl d’architectures, Malmedy
Adresse Kaperberg 8, 4700 Eupen, Belgien ‎


aus Bauwelt 8.2014
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

23.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.