Piazza Garibaldi in Neapel
Der neue Platz vor dem Bahnhof, mit zeichenhaften „Bäumen“, Einkaufspassage und Metrostation
Text: Wilhelm, Hans-Christian, München
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Baumartige Pylone ragen aus der Tiefe hervor. Unten liegt der „zweite Platz“, mit kommerzieller Nutzung.
Foto: Peppe Maisto
Baumartige Pylone ragen aus der Tiefe hervor. Unten liegt der „zweite Platz“, mit kommerzieller Nutzung.
Foto: Peppe Maisto
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Zurzeit sorgen allein die dynamische Ausformung und das Schattenspiel der stählernen „Bäume“ für eine gewisse Lebendigkeit auf der unteren Platzebene
Foto: Peppe Maisto
Zurzeit sorgen allein die dynamische Ausformung und das Schattenspiel der stählernen „Bäume“ für eine gewisse Lebendigkeit auf der unteren Platzebene
Foto: Peppe Maisto
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An den kurzen Seiten führen Treppen und Rolltreppen zum Platz hinauf, seitlich sind weitere Aufgänge eingefügt
Foto: Peppe Maisto
An den kurzen Seiten führen Treppen und Rolltreppen zum Platz hinauf, seitlich sind weitere Aufgänge eingefügt
Foto: Peppe Maisto
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Halle und ...
Foto: Hans-Christian Wilhelm
Halle und ...
Foto: Hans-Christian Wilhelm
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... Vorbereich des Bahnhofs der 50er und 60er Jahre, an dem Pier Luigi Nervi mitwirkte.
Foto: Hans-Christian Wilhelm
... Vorbereich des Bahnhofs der 50er und 60er Jahre, an dem Pier Luigi Nervi mitwirkte.
Foto: Hans-Christian Wilhelm
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Neue unterirdische Verbindung von Dominique Perrault
Foto: Hans-Christian Wilhelm
Neue unterirdische Verbindung von Dominique Perrault
Foto: Hans-Christian Wilhelm
Im Jahre 1839 nahm die erste Eisenbahnlinie auf dem Gebiet des heutigen Italiens ihren Betrieb auf, zwischen Neapel und dem 7,5 Kilometer östlich am Golf gelegenen Städtchen Portici. Um die Konzession für Errichtung und Betrieb, aber auch das persönliche Wohlwollen von Ferdinand II., König beider Sizilien, zu erlangen, war es für die Betreibergesellschaft hilfreich, dass diese Strecke die damalige Hauptstadt Neapel mit einer schönen Nebenresidenz verband, die nun in knapp zehn Minuten Fahrzeit per Dampfzug zu erreichen war. Im Laufe der folgenden Jahre errichtete die Gesellschaft ein Liniennetz, das sich im Süden und Osten bis Avellino und Salerno erstreckte. Das dazu erforderliche Material und Gerät wurde gemäß königlichem Dekret in einem östlich an die Stadt und den Hafen angrenzenden Industriekomplex produziert. Hier wurden bis in die siebziger Jahre Lokomotiven und Eisenbahngerät hergestellt; inzwischen sind die erhaltenen Hallen und weitere Überbleibsel der indus-triellen Vergangenheit als Eisenbahn-Nationalmuseum zugänglich.
Ausgangs- und Endpunkt dieser wie auch der folgenden, nach Rom führenden Eisenbahnlinien war ein östlich an den Corso Garibaldi angrenzendes Areal, die Piazza Garibaldi, an der sich noch heute der Hauptbahnhof befindet – und das seit einem Jahrzehnt wieder zum Dreh- und Angelpunkt eines großangelegten städtebauli-chen und infrastrukturellen Umbauprozesses geworden ist. Eindrucksvollstes Zeichen dieser Veränderungen ist die Ende April eröffnete Passage entlang der südlichen Kante der Piazza, die der Architekt Dominique Perrault als Teil einer Neugestaltung des Platzes geplant und mit einem Schattendach aus baumartigen Pylonen versehen hat, das „Ober- und Unterwelt“ optisch verbinden soll. Diese zeichenhafte Konstruktion könnte man etwas voreilig in die Kategorie reiner „Beeindruckungs-Architektur“ einordnen. In einem Gespräch erläutert Perrault aber, dass es ihm bei seinem Entwurf nicht zuletzt um die Stadt Neapel als Ganzes gehe, der er mit seiner Architektur sowohl städtische Räume als auch längerfristige Entwicklungsperspektiven geben möchte. Er sieht auch in den an den Bahnhof südöstlich angrenzenden, riesigen Industrie-brachen, die auf die beschriebenen alten königlichen Eisenbahnwerke zurückgehen und im Laufe der Zeit an die Stadt und den Hafen herangewachsen sind, großes städtebauliches Potenzial. Motor für den Umbauprozess ist die Verkehrsinfrastruktur, vor allem der Bau einer neuen U-Bahn, die nun mit der Passage unter dem Platz an die Eisenbahn und die Vorortbahn, die „Ferrovia Circumvesuviana“, angebunden worden ist.
An der Piazza Garibaldi – der Kämpfer der italienischen Einigungsbewegung Giuseppe Garibaldi erreichte Neapel 1860 per Zug – befanden sich zunächst zwei Bahnhöfe, die bis 1867 in einem imposanten Kopfbahnhof zusammengefasst wurden. Dieser, im Grundriss auf einem langgestreckten U, in klassizistischen bis gemäßigt neo-barocken Formen errichtete Bau, erstreckte sich mit seiner von zwei Eckrisaliten gegliederten Hauptfassade weit nach Westen, nahm also den größten Teil der heutigen Piazza ein. Zwischen seinen beiden Flügelbauten hat-ten nur sechs Gleise Platz, sodass östlich des Gebäudes weitere Gleise des in die Breite wachsenden Gleiskörpers angelegt wurden. Zwischen den beiden Flügelbauten errichtete der Architekt Alfredo Cottrau in fortschrittlicher Eisenkonstruktion ein Glasdach. Historische Aufnah-men zeigen die langen Arkaden und die Halle des Bahnhofs gepflegt und von städtisch-bürgerlichem Leben erfüllt. Die historische Piazza Garibaldi als Bahnhofs-Vorplatz hatte bis 1955, als der alte Bahnhof abgebrochen wurde, eine annähernd quadratische Proportion, war im Vergleich zu heute also um mehr als die Hälfte kleiner.
Zevi und Nervi
Die Planungen der heutigen Gestalt des Platzes reichen bis in die Zeit der faschistischen Herrschaft zurück: Mit der Machtübernahme Mussolinis wurde auch in Neapel der „totalitäre Modernisierungswille“ zu einer maßgeblichen Kraft der Stadtentwicklung, die am großflächigen Abriss des dicht und kleinteilig bebauten Viertels Rione Carità und der anschließenden Überbauung mit monumentalen Blocks für Banken und Verwaltung mehr als augenfällig wurde.
Um 1939 entstand der nach seinem Verfasser Luigi Piccinato benannte Stadtentwicklungsplan „Piano Piccinato“, der einen Abriss des klassizistischen Bahnhofs und eine Verlagerung weit nach Osten vorsah, um auf dem frei werdenden Areal ein völlig neues Stadtquartier zu errichten. Wenngleich davon zunächst auch nichts in die Tat umgesetzt werden konnte, war die Idee eines Abrisses und des Neubaus eines Bahnhofs damit geboren. Sie wurde im Zuge der Wiederaufbaumaßnahmen 1954 erneut aufgegriffen: Ein Architekturwettbewerb ging von einem Abriss des alten Bahnhofs und dem Bau einer neuen Halle sowie eines Bahn-Verwaltungsgebäudes auf der weiter östlich gelegenen Abschlusslinie des Gleiskörpers aus. Die Piazza sollte sich um mehr als das Doppelte an Fläche vergrößern. Mit Bruno Zevi, Giuseppe Vaccaro, Pier Luigi Nervi und anderen beteiligten sich Teams um die namhaftesten Vertreter der italienischen Nachkriegsarchitektur. Die prämierten Arbeiten (ein erster Preis wurde nicht vergeben), vor allem die Entwürfe der Teams um Zevi und Nervi, wurden anschließend zu einem gemeinsamen Projekt bzw. Team „zwangsvereinigt“. Sie wiesen in unterschiedlicher Ausformung und Anordnung jeweils zwei grundsätzliche Elemente auf: eine weite, in ihrer Proportion eher flache Halle mit Dachtragwerken in expressivem Gestus und eine nordöstliche Vertikale, ein Hochhaus für die Bahnverwaltung, teils als Scheibe, teils mehrflügelig. Luigi Piccinato, mutmaßlicher „Inspirator“ der städtebaulichen Leitidee, nahm als Mitglied der Gruppe um Zevi auch am Wettbewerb teil.
Kurz nach dem Wettbewerb publizierte Gio Ponti als damaliger Herausgeber der Zeitschrift Domus das Projekt der Nervi-Gruppe. In seinem Beitrag geht er zunächst ausführlich auf die „verirrten“ Formen der alten Bahnhöfe (namentlich Mailand) ein, deren große Volumen überdimensioniert für die nur drei Meter hohen Züge, vor allem aber visuelle Barrieren zur Stadt und der Landschaft seien – mit dem breit gelagerten, geradezu schwebenden Baldachin hingegen, gebildet aus einem rautenförmigen Betonträger-Rost, sei nun die wahre, „natürliche“ Form des Bahnhofs gefunden.
In den Jahren 1955 bis 1966 wurde der Bahnhof als Gemeinschaftsprojekt umgesetzt. Augen-fälligster Unterschied zum Entwurf Nervis ist das nun zu Dreibein-Stützen veränderte Tragwerk, das die Dreiecks-Struktur eines im Grundriss vor- und zurückspringenden Dachs trägt. Diese fließende, von ihrer Durchlässigkeit geprägte Raumkonfiguration hatte es letztlich immer schwer, sich nach außen, im Stadtraum, gegenüber den kompakten Bauvolumen zu behaupten – und droht innen, nach erfolgter Sanierung, hinter wucherndem Ausbau mit Läden, Möblierung und Werbebannern zu verschwinden. Ganz anders der dreiflügelige Hochhausbau am nördlichen Rand des Platzes, er kann sich behaupten. Seine filigrane Fassadengestaltung mit Naturstein und beweglichem Sonnenschutz hat nichts von ihrer ursprünglichen Eleganz verloren.
Perrault
Bahnhöfe sind in den letzten beiden Jahrzehnten immer mehr zu Orten für den Handel geworden. Zum „Briefing“, das das Konsortium „Metropolitana di Napoli“ als Bauherr und Betreiber des Bahnhofs Dominique Perrault 2004 in einem Direktauftrag mit auf den Weg gegeben hatte, gehörte auch eine Verbesserung der kommerziellen Nutzungsmöglichkeiten des Bahnhofs und des entstehenden Umsteigeknotens.
Der Architekt teilt den Platz in eine nördliche und eine südliche Hälfte, die durch eine vierspurige Straße mit Fußgängerüberwegen voneinander getrennt sind. In der südlichen Hälfte befindet sich ein Sonnendach, das eine zwei Geschosse unter Platzniveau eingetiefte Passage überspannt. Diese verbindet den Eingang zur
U-Bahn mit dem unterirdischen Zugang zum Fernbahnhof. Die Dachstruktur nimmt mit schrägstehenden Pfeilerbündeln, unregelmäßigen Verästelungen und kaleidoskopartigem Wechsel von offenen und geschlossenen Feldern Bezug auf Baummotive in einem weiteren Sinne – die nördliche Platzhälfte ist demgegenüber „wirklichen“ Bäumen vorbehalten, die auf dem Dach einer noch in Bau befindlichen Tiefgarage künftig ei-nen Park bilden sollen. Er soll Ende 2016 fertig-gestellt sein. Der westliche Teil des Platzes, jenseits des Corso Garibaldi, bildet die Konstante über die Jahrhunderte: Mit dem Garibaldi-Monument in der Mitte und etwas eingewachsenem Grün ist er eine kleine, verkehrsumspülte Insel, die räumlich von der Blockrandbebauung gefasst ist. Den östlichen Platzabschluss bildet der Bahnhof aus den fünfziger Jahren, dessen dreieckiges Vordach mit seiner Spitze fast an das neue „Baumdach“ heranreicht. Nördlich davon soll zukünftig ein Kreisverkehr mit Bus-Terminal im Zentrum und Taxi-Spur auf der dem Bahnhof zugewandten Seite all jene Verkehrsflüsse bündeln, die bisher mehr oder weniger verstreut den halben Platz in Anspruch nahmen – und meist auch verstopften. Perrault selbst nennt diese räumlich-funktionalen Teilbereiche „Plätze auf der Piazza“ und spricht von vier Plätzen, die es am Ende des Umbauprozesses hier einmal geben soll.
Verbesserung der verkehrstechnischen und räumlichen Qualitäten auf der Platzebene, umfangreiche räumliche Erweiterungen für den Einzelhandel, Auto-Stellplätze, die Zugangsbauten und Verbindungen zur U-Bahn: Es liegt auf der Hand, dass diese Vorgaben nur mit großen unterirdischen Bauwerken zu erreichen waren. Für die Einkaufspassage und ihr Sonnendach funktioniert dies recht gut, weil letztlich ein zwar privatrechtlich verwalteter Raum entstanden ist, der vor allem durch die Verknüpfung von oben und unten seine Qualitäten entfaltet und ein ganz anderes Erlebnis ist, als die bisherigen, meist gedrungenen und eher stickigen Verbindungstunnel im Bereich des Bahnhofsknotens. Die Ladenlokale der eingetieften Passage sind noch nicht vermietet. Der nach oben offene „Innenraum“ beginnt östlich mit dem unterirdischen Übergang zum Bahnhof und einer vom Platzniveau herabführenden Freitreppe. Er bietet in seiner Mitte den Abgang zur U-Bahn und führt
als reine Einkaufspassage noch bis fast zum Corso Garibaldi, wo man über eine weitere Freitreppe wieder zum Platzniveau aufsteigen kann. Sämtliche Abgänge sind durch Tore verschließbar. Edelstahl-Handläufe und schwarze Oberflächen von Geländern erhitzen sich schon in der Morgensonne so stark, dass man nicht allzu fest zulangen sollte.
Rohrbündel
Das aus Stahlrundrohren gefügte Dach entwickelt sich aus schrägen Rohrbündeln nach oben, verzweigt sich dabei in der oberen Ebene weit über den seitlichen Rand der Passage hinaus, um in einem Rechteck-Raster abzuschließen. Die entstehenden Dreiecksfelder sind zu mehr als der Hälfte mit einem transluzenten Gewebe bespannt, sodass am Boden ein bewegtes geometrisches Schattenbild entsteht, das durch einen von kontrastierenden Schrägen durchzogenen Bodenbelag noch verstärkt wird. Das Dach beherrscht klar den räumlich-visuellen Eindruck, wobei der schmale Grat zum Zuviel knapp nicht überschritten wird. An der Entwicklung und parametrischen Optimierung dieser Tragwerksstruktur waren die Ingenieure des Büros Bollinger + Grohmann beteiligt. Sie halfen, mit der Pylonstrukturen das von Perrault entworfene Baum- und Landschaftsmotiv zu unterstreichen. Für die Begrenzungsflächen und Verkleidungen der seitlichen Ladenfassaden, für die Decken und Wände der Zu- und Abgänge zur U-Bahn, wählte Perrault vor allem schwarze, weiße und spiegelpolierte Oberflächen. Als einzige Kontrastfarbe setzte er sparsam Orange, zum Beispiel an den Eingängen, ein. Reflexionen und Spiegelbilder schaffen bewegte visuelle Reize, die mit der kontrastreichen Dachstruktur eine gewisse Einheit bilden, aber, ähnlich wie das Bahnhofsgebäude durch Übermöblierung und „Überbeanspruchung“, in ihrer Wirkung auch unterzugehen drohen. Wo wird man auf diesen „vier Plätzen“ einfach nur sitzen?
Wege nach unten
Über die Gestaltung des Platzes hinaus ist das wichtigste Element im städtischen Maßstab wohl der Bau der neuen U-Bahnlinie 1, die schon in den siebziger Jahren beschlossen und geplant worden war, dann aber auch wegen des Erdbebens 1980 nur sehr langsame Fortschritte machte. Neapel war im italienischen Maßstab auch hier ein Vorreiter: Sein Kopfbahnhof galt schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Nadelöhr, weil die Züge nur langsam ein- und ausfahren konnten und das Rangieren nicht einfach war. Die Idee, die Züge in einem Tunnel unter der Stadt durchfahren zu lassen, begann man deshalb schon seit 1906 in die Tat umzusetzen: Durch den Ersten Weltkrieg verzögert, konnte die „Passante Ferroviario“ genannte Tunnelverbindung zwischen Pozzuoli und Neapel 1925 in Betrieb genommen werden. Mit der Inbetriebnahme einer neuen, überwiegend tief unterirdisch verlaufenden U-Bahn, der Linie 1, der „Metropolitana di Napoli“, wurde die „Passante“ in den neunziger Jahren zur Linie 2 „degradiert“. Die Trasse der über die letzten Jahre abschnittsweise eröffneten Linie 1 wurde wegen der hüge-ligen Topographie (vom Meeresspiegel bis zur höchstgelegenen Station Policlinico sind es 232 Meter) und komplexer Bodenverhältnisse mit archäologischen Funden überwiegend in Tunnelbauweise erbaut. Die meisten Stationen im Stadtgebiet liegen 30 bis 40 Meter tief und werden über drei Läufe von Rolltreppen bis zur Zwischenebene erschlossen. Das erklärt, warum das zweite wichtige Element von Perraults Projekt für die Piazza Garibaldi der vertikale, sich zur Einkaufspassage öffnende Zugangsraum der neuen Linie 1 ist, von wo die Fahrgäste 40 Meter in den Untergrund fahren.
Zumindest hier, an der Station Piazza Garibaldi, hat Perrault diese vertikale Reise nicht nur in Abschnitte gegliedert, sondern durch eine Kaskade von Rolltreppen einen vielfach gestaffel-ten räumlichen Reichtum geschaffen. In der Mitte der an sich schon zwei Geschosse unter Platzniveau verlaufenden Einkaufspassage öffnet sich, flankiert von zwei querenden Stegen, unter einem gefalteten Glasdach ein vertikaler Erschließungsraum. Dieser wird von insgesamt sechs kreuzweise angeordneten Rolltreppen sowie einer seitlichen Treppe durchzogen. Sie überwinden jeweils drei mal zwei Geschosse, bevor die auf der unmittelbar über den Bahnsteigen verlaufende Zwischenebene erreicht ist. Diese dichte Anordnung wird zusätzlich von massigen horizontalen Druckstreben durchkreuzt, die die seitlichen Stützwände verbinden und entlasten. Hier befinden sich jeweils Zugänge zu den Aufzügen. Dass bei dieser Dichte an sich kreuzenden Elementen trotzdem Tageslicht in die Tiefe dringen kann, ist den auch hier reichlich verwandten spiegelnden Oberflächen zu verdanken: Alle Rolltreppen sind mit poliertem Blech verkleidet. Nur eine Wand ist mit linear texturierten, vertikalen Paneelen in „zufälliger“ Anordnung bedeckt. Für den vertikalen Erschließungsraum gilt ähnliches wie für das Dach: ein räumliches Erlebnis, das sich an der Grenze zum Zuviel bewegt. Eine Schmalseite dieser Zwischenebene hat der Künstler Michelangelo Pistoletto gestaltet. Eine verspiegelte Wand zeigt Fotos von Allerwelts-Fahrgästen – launige Kunst, die sich gut in die kaleidoskopische Treppen-Spiegel-Welt einfügt.
Dies alles ist eine Gegenwelt zu den in Italien üblichen U-Bahnhöfen, die oft darauf setzten, große Bereiche, vor allem Decken, pechschwarz zu streichen und sie so der Wahrnehmung zu entziehen – mit dem Vorteil, dass diese Flächen wenig bis gar nicht gereinigt oder erneuert werden müssen. Der U-Bahnhof Piazza Garibaldi hingegen dürfte mit seinen spiegelnden Verkleidungen eher aufwendig zu pflegen sein.
Die Linie 1 soll in näherer Zukunft nach Nordosten ausgebaut werden. Auf der zuletzt eröffneten Station Municipio wird teilweise noch gebaut. Wie einige andere Stationen, darunter etwa Museo beim archäologischen Nationalmuseum, zählt Municipio zu den „Stazioni dell’Arte“, die teilweise unter Beteiligung namhafter Architekten geplant wurden und mit Kunstwerken ausgestattet sind. Für die Station Municipio und den darüber befindlichen Platz konnte man Alvaro Siza und Eduardo Souto de Moura gewinnen, die hier archäologische Funde aus römischer und mittelalterlicher Zeit in die Planung einbezogen haben.
Der zuletzt stark vorangetriebene Bau der U-Bahn, ihre Anbindung an Seilbahnen, Schmalspurbahnen, Straßenbahnen und Busse des öffentlichen Nahverkehrs, ist ein entscheidender Motor der Stadtentwicklung. Sofern das Engagement der Verantwortlichen die Oberhand behält, sie sich der lähmenden Zuständigkeitsstreitigkeiten, Partikularinteressen oder gar Infiltration durch das organisierte Verbrechen erwehren, könnte sich mit diesem Ausbau eine weitere positive Entwicklung für die Stadt ergeben.
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