Restaurant Moskau
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Nach zwanzig Jahren improvisierter Zwischennutzung steht der einstige Repräsentationsbau wieder für professionelle Zwecke bereit. Der Umbau zum Konferenzzentrum durch HSH Architekten ließ eine reizvolle Mischung aus Originalsubstanz und zeitgemäßen Ergänzungen entstehen.
Die Hauptstadt der DDR verfügte seit den fünfziger Jahren über sieben sogenannte Nationalitätenrestaurants: „Budapest“, „Warschau“, „Bukarest“, „Sofia“, „Praha“, „Morawa“ und „Moskau“. Die politische Funktion dieser kulinarischen Einrichtungen lag unverblümt auf dem Tisch: durch Verzehr von landestypischen Spezialitäten die Freundschaft mit den sozialistischen Bruderstaaten zu bekunden. Nun könnte man meinen, dass Gastronomie ein Geschäftsfeld ist, das unabhängig von politischen Systemen funktioniert und das man also auch nach 1989 hätte profitabel betreiben können. Am Beispiel des „Restaurant Moskau“, einen Kilometer vom Alexanderplatz entfernt, zeigt sich das Gegenteil: Dieser Bau hat sich der nachhaltigen kapitalistischen Verwertung bislang entzogen.
Der „Fehler“ liegt in dem System, für das er einst errichtet wurde. Das zweigeschossige Gebäude wurde 1959 von den Architekten Josef Kaiser und Horst Bauer konzipiert und 1964 fertiggestellt. Es war ein bedeutender Bestandteil im zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, der den Umschwung der DDR-Architektur vom Stil der „Nationalen Bautradition“ hin zu einer internationalen Moderne markierte. Zwischen den parallel zur Allee stehenden zehngeschossigen Wohnzeilen waren zweigeschossige Pavillons angeordnet, die teils gastronomischen Zwecken, teils dem Verkauf rarer Luxusartikel dienten. Zusammen mit dem Großkino „International“ und dem 13-geschossigen Hotel „Berolina“ bildete das „Moskau“ einen großstädtischen Ankerpunkt inmitten eines eher sub-urbanen Wohnumfelds; wenigstens so lange, bis das staatliche Repräsentationsbedürfnis an diesem Ort entfiel.
In der Nachwendezeit fühlten sich zahlreiche Zwischennutzer von dem abgehalfterten Flair angesprochen, doch ein dauerhafter Betrieb des inzwischen zum Denkmal erklärten Baus wollte nicht gelingen. Wer hätte weiterhin über 100 Mitarbeiter für den Restaurantbetrieb anstellen, wer die Energie bezahlen sollen, die das allseitig verglaste Gebäude verschlang – und das an einer sechsspurigen Aufmarschstraße. Im Jahr 2007 erwarb Nicholas Berggruen, der Sohn des Kunsthändlers und Berliner Ehrenbürgers Heinz Berggruen, das Gebäude und beauftragte HSH Architekten mit dem Umbau des „Moskau“ zu einem Kongresszentrum.
Die Frage war jedoch: Wie „original“ sollte es wiederhergestellt werden? Schließlich hatte der Architekt Gerd Pieper bereits in den achtziger Jahren einen umfassenden Umbau des Inneren durchgeführt, bei dem versucht worden war, durch diverse Einbauten eine übersichtliche „Gemütlichkeit“ herzustellen, die der Originalausstattung offenbar abging. Das Landesdenkmalamt gab eigens ein Gutachten in Auftrag, um diese Frage zu klären. Die auf „Ostmoderne“ spezialisierten Architekturhistoriker Ulrich Hartung und Andreas Butter plädierten dafür, auf die durchaus originellen Einbauten zu verzichten und sich beim Umbau so nah wie möglich an der Urfassung von 1964 zu orientieren.
Selten genug, dass sich Denkmalschutz- und Investoreninteresse derart im Gleichklang bewegen. Auch der Bauherr wollte die Authentizität des Gebäudes erhalten, ist doch gerade sie das Kapital dieses ikonenhaften Hauses. Als in dieser Hinsicht entscheidend identifizierten die Architekten drei prägende Elemente: die wabenförmigen Betongitter über dem Eingang und im rückwärtigen Garten, die gelbliche Keramikverkleidung im Erdgeschoss und die raumhohen Fenster in Aluminiumrahmen. Letztere blieben, wo sie waren, lediglich die Verglasung tauschte man gegen isolierendes, absturzsicherndes und schall- und sonnenschutztaugliches Material aus – eine kostspielige, aber kluge Entscheidung. Ein Nachbau der Fenster wäre in bauphysikalischer Hinsicht sicher handhabbarer gewesen, hätte aber einen empfindlichen Verlust an atmosphärisch wichtigen Gebrauchsspuren eingebracht: kleine Schrammen, Kratzer und Verformungen an den Profilen mildern das Gefühl des radikalen Bruchs.
Das neue Nutzungskonzept erforderte eine funktionale Neuausrichtung des gesamten Gebäudes. Das bedeutete in erster Linie, Platz zu schaffen. Die umfangreichen Küchenbereiche im Erd- und Untergeschoss wurden nebst zugehöriger Haustechnik zurückgebaut. Service-Anbauten aus den achtziger Jahren, die an den rückwärtigen Rosengarten grenzten, sind in zusätzliche Veranstaltungsfläche umgewandelt worden. Für den Betrieb als Kongresszentrum war es außerdem wichtig, die etwa 3400 Quadratmeter HNF wirtschaftlich segmentieren zu können, um für Events unterschiedlicher Größe oder Veranstalter gewappnet zu sein. Heute verfügt das Haus über vier Eingänge, von denen differenziert gestimmte Raumgruppen kombiniert und erschlossen werden können, etwa eine über die gesamte Gebäudetiefe verlaufende Galerie oder der geräumige Kellerclub oder der große repräsentative Saal im Obergeschoss, um nur einige zu nennen. Das Konzept der maximalen Transparenz erweist sich auch in anderer Hinsicht als Segen für die Innenräume, verführt es doch zu Aus- und Durchblicken in den noch immer disparaten Stadtraum und lenkt so ab von den notgedrungen hochgradig installierten Decken. Der technische Aufwand, der sich hinter dem konstruktiv bedingt knappen Deckenzwischenraum verbirgt, ist anhand der zahllosen Auslässe nur zu erahnen. Vor allem in den beiden entlang der Karl-Marx-Allee gelegenen Sälen wird deutlich, wie wichtig hierbei die ordnende Hand und wie richtig die Entscheidung war, eine Deckenverkleidung aus Eschenholz zu wählen, angelehnt an den Originalzustand; sie verträgt alle Unregelmäßigkeiten. Ehemals vor den Fenstern stehende Heizkörper wurden durch bodengleich eingelassene Konvektoren ersetzt, so dass der Blick nun fast durch das gesamte Haus schweifen kann, sogar über den Innenhof hinweg.
Ist also alles gut gegangen? So wirtschaftlich das Veranstaltungsgeschäft, verglichen mit dem täglichen Betrieb, erscheint, so bedauerlich ist es, dass die Öffentlichkeit selten Gelegenheit haben wird, das erneuerte „Moskau“ je ohne Einladungskarte zu betreten. Der öffentliche Raum endet am Eingang zur geschlossenen Gesellschaft. Mit Blick auf die benachbarten, teils haarsträubend umgebauten Pavillons wirft die vorbildliche Modernisierung des „Moskau“ Fragen auf. Können die aus dem System gefallenen Bauten mit ihrem verschwenderischen Fläche-Volumen-Verhältnis nach konservatorisch lupenreiner Sanierung überhaupt anders genutzt wer-
den denn als Vitrinen? Ist es sinnvoll, Einzelstücke durch Investoren präparieren zu lassen, denen das sinnfällige städtebauliche Ensemble nichts bedeutet? Und: Darf der Staat die Verantwortung für „seine“ Staatsarchitektur abgeben?
Fakten
Architekten
HSH Architekten, Berlin
Adresse
Karl-Marx-Allee 34, 10178 Berlin
aus
Bauwelt 20.2010
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