Rückkehr in die Stadt
Das Leipziger Neue Rathaus hat mit dem Neubau von St.Trinitatis ein kirchliches Gegenüber erhalten. Den Architekten ist ein städtebauliches Bravourstück gelungen
Text: Friedrich, Jan, Berlin
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Blick vom Martin-Luther-Ring in den Pfarrhof (rechts) und zum Wilhelm-Leuschner-Platz (links im Hintergrund). Der Platz war als Standort für das inzwischen gescheiterte Einheitsdenkmal vorgesehen
Foto: Simon Menges
Blick vom Martin-Luther-Ring in den Pfarrhof (rechts) und zum Wilhelm-Leuschner-Platz (links im Hintergrund). Der Platz war als Standort für das inzwischen gescheiterte Einheitsdenkmal vorgesehen
Foto: Simon Menges
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Die Kirche von Osten.
Foto: Simon Menges
Die Kirche von Osten.
Foto: Simon Menges
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Ein Pfarrhof, der gleichzeitig als öffentliche Passage und als Mittelpunkt von Kirche und Gemeindezentrum fungieren soll, ist eine heikle Entwurfsaufgabe, die hier aber erfolgreich gelöst zu sein scheint
Foto: Simon Menges
Ein Pfarrhof, der gleichzeitig als öffentliche Passage und als Mittelpunkt von Kirche und Gemeindezentrum fungieren soll, ist eine heikle Entwurfsaufgabe, die hier aber erfolgreich gelöst zu sein scheint
Foto: Simon Menges
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Ansicht der Kirche von Westen
Foto: Simon Menges
Ansicht der Kirche von Westen
Foto: Simon Menges
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Blick vom bislang unbebauten Grundstück südlich der Nonnenmühlgasse, der Turm trägt an dieser Seite Photovoltaikmodule
Foto: Simon Menges
Blick vom bislang unbebauten Grundstück südlich der Nonnenmühlgasse, der Turm trägt an dieser Seite Photovoltaikmodule
Foto: Simon Menges
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Modell
Modellfoto: Frank-Heinrich Müller/Photographiedepot
Modell
Modellfoto: Frank-Heinrich Müller/Photographiedepot
Sie steht einfach unglaublich gut dort an der Ecke, die neue Kirche. Hätte man nicht die weiteren Entwürfe des Wettbewerbs für die Katholische Propsteikirche St.Trinitatis in Leipzig noch vage im Kopf, die verschiedene Arrangements vorschlugen – man käme, jetzt wo alles fertig ist, nicht auf die Idee, dass man die Dinge anders hätte organisieren können, als Schulz und Schulz es getan haben: den rechtkantigen Baukörper des Kirchenraums quer an der Ostseite des dreieckigen Baugrunds, den Turm auf die Spitze des Dreiecks im Westen, dazwischen das Gemeindezentrum und den Pfarrhof, der sich über das frei gelassene Erdgeschoss im Nord- und im Südflügel des Hauses zur Stadt öffnet.
Die Kirche füllt auf diese Weise die ehemalige Kriegsbrache an der Kreuzung Martin-Luther-Ring/Wilhelm-Leuschner-Platz vollständig aus, ohne das Grundstück abzuriegeln. Und im Sinne einer monolithischen Skulptur rundherum mit dem rötlich schimmernden Rochlitzer Porphyr verkleidet, zeigt sie genügend Präsenz, um gegenüber dem übermächtigen Neuen Rathaus nicht verloren zu wirken – ohne dabei den Anschein zu erwecken, der kirchliche Bauherr hätte im Sinn gehabt, diesen Ort ab sofort selbst dominieren zu wollen.
Mit diesem architektonischen Ausdruck haben Ansgar und Benedikt Schulz, die beide Mitglieder der Trinitatisgemeinde sind, genau die Vorstellung davon getroffen, wie sich die dreißig Jahre lang in die vorstädtische Atmosphäre des Waldstraßenviertels verbannten Leipziger Katholiken nach ihrer Rückkehr in die Stadt präsentieren möchten: „selbstbewusst, aber nicht protzig“.
Zur Vorgeschichte: Die erste Propsteikirche St.Trinitatis – sie stand ein paar hundert Meter vom Standort der neuen entfernt – war im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Das SED-Regime verweigerte den Wiederaufbau; die Gemeinde kam in verschiedenen evangelischen Kirchen als Gast unter, ehe ihr später doch ein Neubau genehmigt wurde – abseits des Zentrums (mehr dazu auf Seite 24). Von Anfang an hatte die 1982 fertiggestellte, zweite Trinitatiskirche gravierende Bauschäden. Die führten letztendlich zu der Entscheidung, die Kirche aufzugeben und in der Stadtmitte neu zu bauen. Den zweistufigen Wettbewerb gewannen die Brüder Schulz und Schulz (Bauwelt 3.2010).
Offenheit zur Stadt – das war wichtig für die Gemeinde, die sich als „missionarisch“ versteht und damit erfolgreich ist; im Gegensatz zu anderen Kirchengemeinden wächst sie. Wie die Architekten diese Offenheit mit dem ja weitgehend geschlossenen Baukörper erreichen, das ist raf-finiert. Die Verbindungsflügel von Kirche und Gemeindezentrum stehen, wie erwähnt, nicht auf dem Erdboden auf, sondern „schweben“ ein Geschoss darüber. Der Effekt aber, dass Passanten am Martin-Luther-Ring regelrecht in den Pfarrhof eingesogen werden, entsteht erst deshalb, weil auch aus dem Kubus des Kirchenraums am Ring das Erdgeschoss ausgeschnitten ist. Vom Wilhelm-Leuschner-Platz kommend, gerät man nun fast zwangsläufig unter die eindrucksvolle Auskragung, wird vom 22 Meter langen Kirchenfenster, auf dem der gesamte Bibeltext ausgebreitet ist, neugierig gemacht und, statt an der lauten Straße weiterzugehen, schwenkt man, ohne recht darüber nachzudenken, in den Pfarrhof. Dort dämpft ein plätschernder Wasservorhang den Verkehrslärm. Und wo man schon hier ist: Warum nicht mal schauen, was die Gemeinde so anzubieten hat?
Die Auskragung von Kirchenraum und Nordflügel – in der Längsrichtung müssen fast sech-zig Meter überspannt werden – war eine Herausforderung für die Tragwerksplaner. Wenn man weiß, welche Kräfte in der Betonkonstruktion des Gebäudes wirken, versteht man, dass die sparsame Durchfensterung vor allem der Straßenfassade nicht nur eine gestalterische Entscheidung ist, sondern auch eine statische. Irgendwo mussten die Massen von Bewährung Platz finden. Tatsächlich hat das Gemeindezentrum sogar noch weniger Öffnungen, als es scheint. Die horizontalen Fensterbänder sind gar keine, zum Teil verblenden die Glasscheiben dahinterliegende geschlossene Wandstücke. Für strikte Verfechter von konstruktiver Ehrlichkeit ist das vermutlich ein Graus. Aber, so Ansgar und Bendikt Schulz, das sei hier für sie nicht das Thema gewesen. Die Wirkung der stützenfreien Passage gibt ihnen recht.
Was neben der städtebaulichen Disposition beeindruckt, ist die Qualität von Detaillierung und Ausführung der Natursteinverkleidung aus Rochlitzer Porphyr (mehr dazu auf Seite 28). Das sind nicht die üblichen magersüchtigen Plättchen, die vor der Wärmedämmung angebracht wurden, sondern veritable Mauersteine, unregelmäßig geschichtet, mit freien Steinlängen. Die Schichthöhen sind immer Vielfache des Gebäude- rasters von 17 cm, damit am Ende alles aufgeht. Und wie das aufgeht! Selbst die Unterhangdecke der Passagendurchgänge ist aus dem Stein, ebenso die Attika – auf Abdeckbleche wurde verzichtet. Und die Attika des Gemeindezentrums geht, wo sie auf den höheren Baukörper des Kirchenraums trifft, nahtlos über in die entsprechende Steinschicht dort. Für die monolithische Wirkung sind solche Details nicht zu unterschätzen. Ja, sie steht einfach unglaublich gut dort an der Ecke, die neue Kirche. Selbstbewusst, aber nicht protzig.
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