Bauwelt

Ruta del Peregrino


Pilgerroute in Mexiko


Text: Canales, Fernanda, Polanco (Mexiko)


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    „Offene Kapelle“ von Tatiana Bilbao und Derek Dellekamp
    Foto: Iwan Baan

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    „Offene Kapelle“ von Tatiana Bilbao und Derek Dellekamp

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    Aussichtspunkt von Elemental
    Foto: Iwan Baan

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    Aussichtspunkt von Elemental

    Foto: Iwan Baan

117 Kilometer lang ist die populäre Pilgerroute in Mexiko, die bisher kaum Infrastruktur aufwies. Durch neue Service­stationen und architektonische Landmarken ist sie jetzt nicht nur während der religiösen Festtage attraktiv.
Im Bundesstaat Jalisco, in einer Umgebung, die von Kargheit geprägt ist, die aber auch wertvolle Bodenschätze birgt, liegt eine der wichtigsten Wallfahrtsrouten des Landes. Mehr als zwei Millionen Pilger – manche Schätzungen sprechen gar von drei Millionen – besuchen sie jährlich. Ziel ist die vorspanische Siedlung Talpa de Allende mit der 1782 erbauten Kirche zur Heiligen Jungfrau von Talpa. Die Pilgerfahrten fanden bisher vor allem während des Festes von San José zwischen dem 11. und dem 18. März sowie während der Ostertage statt. 2008 beschloss der Bundesstaat einen Masterplan, der die In­frastruktur der Route verbessern und deren Attraktivität in den „kirchenfernen“ Zeiten erhöhen sollte. Der mangelnde Service und die schwierigen hygienischen Zustände galten gar als Teil des Opferritus der Pilger. Als besonders problematisch erwies sich der ungesteuerte Strom vieler Menschen, der zu Hochzeiten in die Region einfiel.
Der Plan, der unter der Leitung der mexikanischen Architekten Tatiana Bilbao, Derek Dellekamp und Roza Montiel entstand, sah eine Folge von neuen Bezugspunkten und Unterkünften vor, die sich über die gesamte Strecke verteilen. Deren sorgfältige Verknüpfung mit den Möglichkeiten der lokalen Wirtschaft sorgt heute, nach der Fertigstellung fast aller Stationen dafür, dass diese besser als zuvor von den Pilgerströmen profitiert.
Sieben Landmarken, zwei Unterkünfte und sechs Orte der Ruhe und Erholung wurden neu errichtet. Ziel der architektonischen Planungen war nicht nur die Gliederung der Landschaft, sondern auch deren kulturelle Aufwertung. Mit eigenen Werken präsent sind unter anderen Alejandro Aravena aus Chile, Ai Wei Wei aus China, HHF Architekten sowie Christ und Gantenbein aus der Schweiz und Luis Aldrete aus Mexiko. Die mit minimalen Mitteln errichteten Bauten geben der Ruta eine symbolische Ordnung. Auf dem Weg, der gewöhnlich von der Stadt Ameca bis nach Talpa de Allende begangen wird, haben diese Bauten unterschiedliche Funktionen. Sie dienen der religiösen Sammlung, sind Ruhepunkte der Einkehr und der Erfrischung, an denen die Pilger schattige Plätze und frisches Wasser finden, und sie bieten spartanische Unterkünfte an. Einfache Geometrien sind fast immer die Basis für die Entwürfe gewesen. Die Formensprache reicht von einem aufwärts geknickten Tunnel, der an seinem Ende die Blicke einrahmt bis hin zu einer Spalte im Erdreich, deren Negativform sich langsam zu einer schmalen Rampe entwickelt und an deren Ende man weit in die Ebene schauen kann (Ai Wei Wei).
Schwierige Umsetzung
Die grundlegenden Ideen dieses Masterplans entstanden in einem Kooperationsprojekt, das viele Partner zusammenbringen musste, bevor es realisiert werden konnte. Zu den Beteiligten gehörten engagierte Pilger und Geistliche aber auch Laien, die Einwohner am Rande der Strecke, die Vertreter der Regionalverwaltung und der Kommunen; später dann auch die einheimischen und die eingeladenen ausländischen Architekten, die ihre Entwürfe präsentierten. Dass es schließlich gelang, die oft divergierenden Wünsche in Einklang miteinander zu bringen, gilt heute als Geste der erfolgreichen Öffnung und kollektiven Zusammenarbeit – und auch als Erfolg für das Tourismus­amt von Jalisco, das den Masterplan umgesetzt hat. Vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise ist die von diesem Erfolg ausgehende symbolische Wir­kung nicht zu unterschätzen.
Die Ruta ist ein populäres Zeichen der Integration geworden, das auch einen sehr zeitgemäßen Pakt der Einwohner mit der umgebenden Natur sichtbar macht. Jedes Werk entlang des Pilgerwegs ist zugleich ein stilles Monument, das auf die umgebende Topographie reagiert. Unübersehbar sind dabei die architekturhistorischen Bezüge einzelner Bauten. Es gibt Referenzen auf die 1968 von Mathias Goeritz für die Olympischen Spiele in Mexiko-Stadt entworfene Ruta de la Amistad, die Straße der Freundschaft – einen 17 Kilometer langen Skulpturenweg mit 19 Betonplastiken von Künstlern aus verschiedenen Ländern; einen Verweis auf den Espacio Escultórico – einen 1979 geschaffenen Skulpturenraum von Mathias Goeritz, Manuel Felguérez und Helen Escobedo in der Ciudad Universitaria, dem Universitätsviertel von Mexiko-Stadt. Schließlich standen auch die Torres de Satélite, die „Satellitentürme“ von Mathias Goeritz und Luis Barragán aus dem Jahr 1957 Pate. Unübersehbar ist gerade diese Referenz in der Capilla Abierta, der „Offenen Kapelle“ von Bilbao und Delle­kamp. Diese besteht aus vier hohe Mauern, die den Eingang zum Pilgerpfad markieren. Im übertragenen Sinn handelt es sich um eine Kirche, die entkernt und abstrahiert wurde, sodass nur noch vier weiße, aufrechte Wände stehen bleiben, die eine Kreuzfigur in den Boden zeichnen.
Die „Offene Kapelle“ ist die erste Landmarke, der dieje­nigen begegnen, die den Pilgerweg in Ameca beginnen. Die nächste ist der „Cerro del Obispo“ (Bischofshügel) von Christ &Gantenbein. Seine riesige Säule dominiert das Tal von Ameca. Von innen formt sie eine Art Teleskop zum Himmel. Es folgt der Andador del Peregrino, der „Pilger-Laufsteg“ von Ai Wei Wei. Weiter auf dem Weg, in Estanzuela, gibt es die Herberge von Luis Aldrete, eine modulare Architektur aus Lehmziegeln. Etwa auf halbem Weg der Route befindet sich das Santuario Mesa Colorada von Tatiana Bilbao, eine Pilgerklause, die man am zweiten Tag der Wallfahrt erreicht, ehe man zur Unterkunft in Atenguillo, ebenfalls von Louis Aldrete kommt. Zu erwähnen sind auch die sechs einfachen Versorgungspunkte entlang der gesamten Strecke von Emiliano Go­doy, an denen die Pilger Sammelbecken für Regenwasser, sa­nitäre Anlagen und Kochmöglichkeiten finden. Eindringli­cher Höhepunkt des Weges ist der inmitten eines Koniferenwäldchens gelegene Templo del „Círculo Vacío“ (Tempel der Leere) von Dellekamp + Montiel. Es handelt sich um einen Ring aus weißem Beton mit einem Durchmesser von 40 Metern, der an einigen Stellen in die Erde eingelassen ist und an anderen bis zu drei Meter über dem Boden schwebt. Die Landschaft selbst wird hier zum Gotteshaus und so eines der Leitmotive der Planung der Ruta sichtbar.
Übersetzung aus dem Spanischen von Beate Staib



Fakten
Architekten Bilbao, Tatiana, Mexiko; Dellekamp, Derek, Mexiko; Dellekamp + Periférica, Periférica; Elemental, Santiago de Chile; HHF Architekten, Berlin; Aldrete, Luis, Jalisco (Mexiko); Ai Wei Wei, Beijing; Christ & Gantenbein, Basel; Godoylab, Mexiko
aus Bauwelt 20.2012
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