Siemens-Wohnsiedlung
Außendämmung, entworfen
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Foto: Stefan Müller-Naumann
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Foto: Stefan Müller-Naumann
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Die Ästhetik der Nachkriegsmoderne war bei einer unsensiblen Sanierung in den achtziger Jahren bereits verloren gegangen. Nun sollte in Münchens Boschetsrieder Siedlung weitergedämmt werden. Koch + Partner haben die Dämmschichten auf die ursprüngliche Profilierung hin detailliert und so die elegante Anmutung von einst zurückgewonnen.
Als vor zwei Jahren der Siemens-Konzern seinen kompletten Wohnungsbestand verkaufte, endete eine Traditionslinie, die für die Entwicklung des modernen Wohnungsbaus in Deutschland von großer Bedeutung war – man denke nur an die inzwischen zum Weltkulturerbe der UNESCO gehörende „Ringsiedlung“ in der Berliner Siemensstadt (1929–31), das baugeschichtlich vielleicht prominenteste Objekt im Portfolio. Käufer der Werkswohnungen war ein Konsortium aus drei deutschen Immobilienunternehmen: die Wohnbau GmbH mit Sitz in Bonn, die GBW Gruppe, München, und die Volkswohnung GmbH, Karlsruhe. Ein solcher Eigentümerwechsel ist auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland in den letzten Jahren nichts Ungewöhnliches gewesen, doch ist es in diesem Fall nicht nur für die Mieter von Bedeutung, welche unternehmerischen Ziele die neuen Hausherren verfolgen, sondern auch für Architekten und Denkmalpfleger: und zwar im Hinblick darauf, wie sich die Zukunft der Siedlungen wohl darstellen mag. Ein erster Blick auf die Selbstauskünfte der drei Unternehmen verrät, dass sich zumindest kein Finanzinvestor der Siemens-Bestände bemächtigt hat: Gesellschafterin der 1921 gegründeten Wohnbau Bonn GmbH ist die Stiftung Wohnhilfe mit Sitz in München, eine öffentliche Stiftung bürgerlichen Rechts, deren Stiftungszweck laut Homepage darin liegt, „ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke im Sinne der Abgabenordnung“ zu verfolgen. Die kommunale Wohnungsbau GmbH Karlsruhe blickt auf eine ähnlich lange Geschichte von 85 Jahren zurück. Einzig die börsennotierte GBW wirbt mit Renditeversprechen offen um die Gunst von Anlegern: „Um Wachstum zu generieren, strebt die GBW Gruppe eine kontinuierliche Steigerung ihrer Mieterträge an und wird auch weiterhin Mietsteigerungspotenziale konsequent nutzen. Darüber hinaus plant die Gruppe, ihr Wohnungsportfolio deutlich zu erweitern. Dies wird zum einen durch gezielten Erwerb von Wohnungsbeständen an renditestarken Standorten wie auch durch Wohnungsneubau speziell an solchen Kernstandorten geschehen, wo anhaltend eine dynamische Nachfrage nach Wohnflächen besteht“, heißt es auf der Homepage der Münchener.
Das also etwas unscharfe Bild der Absichten könnte sich schärfer stellen mit Blick auf die jüngste Entwicklung bei einem prominenten Baudenkmal aus der Nachkriegszeit, jener für Siemens einschneidenden Ära, in der der Konzern seinen Sitz von Berlin nach München verlagerte und dort für die Unterbringung seiner Belegschaft neu zu sorgen hatte. Nicht weit entfernt vom Hauptwerk Hofmannstraße fand sich auf dem Sendlinger Oberfeld ein geeigneter Bauplatz, auf dem nicht nur die größte zusammenhängende Siemens-Siedlung außerhalb Berlins entstand, sondern auch die erste Hochhaussiedlung in Bayern. Insgesamt handelt es sich um 528 Wohnungen von 35 bis 114 Quadratmeter Größe, verteilt auf 13 verschiedene Baukörper mit 45 Häusern: zwei 17-geschossige Punkthochhäuser auf Y-förmigem Grundriss, mit denen sich Siemens unübersehbar in die Münchner Stadtsilhouette einschrieb – das geplante dritte „Sternhochhaus“ wurde seinerzeit ebenso wie die geplante Erweiterung der Siedlung nach Osten nicht realisiert, am ursprünglich vorgesehenen Standort wurde 2007 ein Wohnhochhaus nach den Plänen des Architekturbüros Steidle errichtet; eine 12-geschossige Hochhausscheibe und zehn zeilenförmige Wohnblöcke in sieben Varianten mit zwei, drei, vier und fünf Geschossen. An der Boschetsrieder Straße sorgte eine eingeschossige Ladenzeile für die Nahversorgung der Bewohner. Architekt Emil Freymuth (1890–1961) ist inzwischen in Vergessenheit geraten – die Siedlung aber besitzt dank ihrer vielfältigen Haus- und Wohnungstypen sowie des qualitätvollen Außenraums noch immer einigen Charme, trotz einer wenig einfühlsamen Sanierung in den achtziger Jahren, bei der viele ursprüngliche Details verloren gegangen und etliche ästhetische Verirrungen hinzugefügt worden sind. Diesen Charme mit einer Wiederannäherung an die ursprüngliche Gestaltqualität zu stärken, war neben der weiteren energetischen Optimierung und der Anpassung der Wohnungen an gestiegene Ansprüche ein wichtiges Ziel der jüngsten Sanierung, die 2006 in der Nordwestecke der Siedlung begonnen wurde.
Problemfall Zweitsanierung
Als die Siedlung 1954 fertiggestellt wurde, muss sie als wegweisend begriffen worden sein: Auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 stand sie im Deutschen Pavillon als alleiniger Beleg für den Ehrgeiz der jungen Bundesrepublik, an die Leistungen der Zwischenkriegsavantgarde ebenso wie an zeitgenössische internationale Tendenzen anzuknüpfen. Vor Beginn der Planung hatte der Architekt gemeinsam mit dem Geschäftsführer der Siemens-Wohnungsgesellschaft eine Reise zu neuesten Siedlungen in Basel, Zürich und Mailand unternommen.
Es überrascht also nicht, dass die Boschetsrieder Siedlung seit 1992 ein eingetragenes Baudenkmal ist, und dementsprechend wurde ihre neuerliche Sanierung mit einem hohen Anspruch in Angriff genommen. Dem Bauherrn ging es darum, die Anlage im umfassenden Wortsinn zukunftsfähig zu machen; verlorene formale Qualitäten trotz der vorgesehenen weiteren Steigerung der Energieeffizienz zurückzugewinnen war ein Anliegen der Denkmalpflege. Erschwert wurde dieses Ziel jedoch durch die grobe Überformung, die die Gebäude in den achtziger Jahren erfahren hatten. Damals wurden die bauzeitlichen, zweifarbig gegliederten Holzfenster durch formal belanglose Kunststofffenster ausgetauscht; es wurden die Hauseingangstüren ersetzt, neue Dächer aufgebracht und die Fassaden mit 7 Zentimeter Wärmedämmverbundsystem von außen gedämmt. Die typische graphisch-filigrane Ästhetik der Nachkriegsmoderne, die die Boschetsrieder Siedlung einst geprägt hatte und die sie mit ihren Berliner Vorfahren der Zwischenkriegszeit optisch verknüpfte, war also längst passé. Wie Eingänge, Fenster, Balkone und Abschlüsse ursprünglich ausgesehen hatten, konnten die Architekten Koch + Partner zum Teil allenfalls mit Hilfe historischer Fotografien abschätzen, zum Teil anhand von erhalten gebliebenen Plänen Emil Freymuths rekonstruieren. Das ehemalige Farbkonzept der Siedlung konnte ein Restaurator anhand von Befunden erforschen. Immerhin ein prägendes originales architektonisches Bauteil hatte überdauert: Die Treppenhausfenster, die die Ostfassaden der viergeschossigen Zeilen als vertikales Band rhythmisieren, wurden restauriert und mit einem neuen Zwei-Scheiben VSG versehen. Auch Balkongeländer, Handläufe und Hausnummern wurden, wo noch vorhanden, aufgearbeitet oder nachgebildet.
17 cm WDVS und der Ehrgeiz der Architekten
Die anspruchvollste Aufgabe aber blieb die architektonische Bewältigung von nun 17 Zentimeter Außendämmung, denn zusätzlich zu der Dämmung aus den achtziger Jahren sollten weitere zehn Zentimeter aufgebracht werden. Wünschte der Bauherr bei der Sanierung der ersten beiden Zeilen noch, den EnEV-2007-Standard um dreißig Prozent zu unterbieten, sollte bei der dritten Zeile die EnEV 2007 sogar um die Hälfte unterschritten werden – ein Ziel, so ehrgeizig formuliert, dass es mit dem dünnhäutigen Bestand kaum mehr vereinbar erscheinen musste. In der Tat waren die Investitionskosten hoch: Für fast 1000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche lässt sich auch ein Neubau realisieren.
An der Boschetsrieder Straße aber hat sich der Einsatz insofern gelohnt, als die Siedlung mit der abermaligen Sanierung nicht zur Monstrosität degeneriert ist, sondern die erneuerten Zeilenbauten tatsächlich wieder sehr viel mehr vom Eindruck ihrer bauzeitlichen Eleganz vermitteln als die noch den Zustand der achtziger Jahren zeigenden Bauten. Das ist zuerst den Architekten zu verdanken, die die Fassadensanierung in jedem Detail auf das ursprüngliche Erscheinungsbild hin entwickelt und mit den Denkmalpflegern abgestimmt haben. Die neuen Fenster – Polyurethan-Fenster mit Zweifachverglasung in den beiden ersten Zeilen, Holz-Alu-Fenster mit Dreifachverglasung bei der dritten Zeile – zeigen sich dank der heute möglichen Profilausbildung gegenüber den zu breiten Rahmen der achtziger Jahre dem ursprünglichen Bild wieder stark angenähert, was die erneute zweifarbige Fassung unterstreicht. Das der Außendämmung immante gestalterische Problem der zu tiefen Laibungen umgingen die Architekten, indem sie die Fenster in der Ebene der neu aufgebrachten Dämmschicht anordneten. Die Dämmung des Sockels wurde dem historischen Versatz zur aufgehenden Fassade entsprechend bemessen, die Kellerfenster wurden nach außen versetzt. Der Dachüberstand wurde verlängert, um den historischen Überstand von 50 Zentimetern wieder herzustellen. Auch die schmale Trauflinie konnte mit einigem Aufwand zurückgewonnen werden, indem das vorhandene Dach entfernt, die letzte Geschossdecke mitsamt der Balkondächer statisch verstärkt, die Sparren aus den achtziger Jahren umgebaut und mitsamt der neuen Dämmung wieder aufgesetzt wurden. Die neue eckige Regenrinne verstärkt noch die optische Wirkung.
In den Wohnungen blieben die räumlichen Eingriffe im Vergleich dazu gering, genügen die Grundrisse doch noch weitgehend heutigen Standards. Die Eingangsbereiche wurden aufgeweitet, die Speisekammern in den Küchen aufgegeben; stattdessen steht nun in jeder Wohnung eine Abstellkammer zur Verfügung. In den Bädern wurde Platz geschaffen für eine Waschmaschine; in den Wohnräumen Stäbchenparkett aus Eiche verlegt. Die Innentüren messen nun 2,13 Meter in der Höhe, was den Wohnkomfort für groß gewachsene Mieter verbessert. Die glatten Putzoberflächen im Inneren hingegen blieben als typisches Merkmal der Entstehungszeit
erhalten, neue Oberflächen wurden daran angepasst. Die größte Auswirkung auf das Wohnen hat zweifellos der nun vollkommen luftdichte und hochgedämmte Zustand der Häuser, der den Einbau von Zuluftautomaten erforderlich machte, die den für die Raumhygiene notwendigen Luftaustausch vornehmen und Feuchteschäden vermeiden helfen sollen. Die Deutsche Energieagentur hat die Sanierung begleitet und das Ergebnis mit dem dena-Energieeffizienzhauspreis für Mehrfamilienhäuser ausgezeichnet.
Mit dem Eigentümerwechsel ist die auf lange Sicht gedachte Werterhaltung der Siedlung zum Stillstand gekommen – bei der gegenwärtig laufenden Treppenhaussanierung in den Hochhäusern gehe es lediglich um Verbesserungen des Brandschutzes und nicht mehr um gestalterische und denkmalpflegerische Ziele, berichtet Architekt Wolfgang Voigt.
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