Bauwelt

Sprengel Museum in Hannover


Als Brickett für die Kunst wurde der Anbau bereits bezeichnet. Der Präzision der dunklen Betonfassade entspricht die konzeptionelle Genauigkeit der zehn Ausstellungsräume.


Text: Adam, Hubertus, Zürich


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    Hinter den geometrischen Schichtungen der schweren Betonfassade liegen in der ersten Etage die zehn Ausstellungsräume des Erweiterungsbaus
    Foto: Georg Aerni

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    Hinter den geometrischen Schichtungen der schweren Betonfassade liegen in der ersten Etage die zehn Ausstellungsräume des Erweiterungsbaus

    Foto: Georg Aerni

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    Scharnier zwischen Alt- und Neubau: der sogenannte „Calder“-Saal, in dem das Mobile „Blizzard“ von Alexander Calder schweben soll
    Foto: Georg Aerni

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    Scharnier zwischen Alt- und Neubau: der sogenannte „Calder“-Saal, in dem das Mobile „Blizzard“ von Alexander Calder schweben soll

    Foto: Georg Aerni

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    Ein um die Ecke gezogenes, konstruktivistisches Raster – die Freistellung vom Boden macht die Fassade
    als eigenständiges Bildwerk lesbar
    Foto: Georg Aerni

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    Ein um die Ecke gezogenes, konstruktivistisches Raster – die Freistellung vom Boden macht die Fassade
    als eigenständiges Bildwerk lesbar

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    Die Ausstellungssäle werden über die Ecken betreten, ...
    Foto: Georg Aerni

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    Die Ausstellungssäle werden über die Ecken betreten, ...

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    ... eine durchgehende Sichtachse wie im klassischen Museumsbau gibt es nicht
    Foto: Georg Aerni

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    ... eine durchgehende Sichtachse wie im klassischen Museumsbau gibt es nicht

    Foto: Georg Aerni

Die Marke Sprengel – weißer Bienenkorb auf orangefarbenem Sechseck – ist aus dem Stadtbild Hannovers verschwunden. Es gab eine Zeit, da kannte jeder in der Stadt und über sie hinaus die 1851 gegründete Süßwarenfirma, die wie Hanomag, Continental, Bahlsen oder Pelikan zu den Traditionsunternehmen zählte. Hatte Sprengel während des Zweiten Weltkriegs den Durchhaltewillen der Wehrmacht mit Scho-Ka-Kola unterstützt, so folgte der eigentliche Aufstieg in den fünfziger Jahren – mit Schokoladetafeln und Erfrischungsstäbchen. Wie viele andere Traditionsbetriebe kam aber auch Sprengel nach den Höhenflügen des Wirtschaftswunders ins Trudeln: Schon in den Sechzigern stieg ein amerikanischer Konzern ein, 1979 kaufte Stollwerck die Marke, und ein Jahr später war es vorbei mit der Produktion in Hannover.
Wenn der Name Sprengel dennoch in der Stadt präsent ist, dann wegen Bernhard Sprengel, dem letzten Eigentümer der Firma. 1979 eröffnete an der Nordostspitze des Maschsees das „Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel“, wie es damals hieß – die Umbenennung zum „Sprengel Museum“ erfolgte erst fünf Jahre später, als Geschenk zum 85. Geburtstag des Mäzens. Fünfzehn Jahre zuvor hatte dieser seine Kunstsammlung, die eindrucksvolle Werkgruppen unter anderem von Chagall, Léger, Max Ernst, Klee, Miró, Picasso, Nolde und Beckmann umfasste, der Stadt Hannover geschenkt – unter der Bedingung, dass diese einen Neubau errichte. Dabei vereinbarte man, dass in diesem, neben der Sprengel-Sammlung, auch die im Besitz von Stadt und Land befindlichen Werke der Kunst des 20. Jahrhunderts untergebracht werden sollen.
In einem internationalen zweistufigen Wettbewerb 1972/73 konnte sich die Arbeitsgemeinschaft von Peter und Ursula Trint (Köln) und Dieter Quast (Heidelberg) mit einem Entwurf durchsetzen, der nach Meinung der Jury das Potenzial besaß, das städtische Leben zu aktivieren. Man kann ihn als ein charakteristisches Produkt der siebziger Jahre ansehen: Das Pflaster des Straßenraums zieht sich einen künstlichen Hügel empor, hinein in den Eingangsbereich mit Shop und Empfang und dann über den Skulpturengarten hinunter bis zum „Museumsgraben“, an den sich sämtliche Ausstellungsräume anlagern. Brücken und Treppen kreuzen die Erschließungsachse auf unterschiedlichen Niveaus; die Raumorganisation ist etwas labyrinthisch, zum Pflaster gesellt sich Teppichboden in den Ausstellungssälen. Mit der Eröffnung des zweiten Bauabschnitts 1989 wurde die innere Museumsstraße verlängert; eine Sequenz von Oberlichtsälen und ein großes Auditorium kamen hinzu.

Der neue Erweiterungsbau

Zwanzig Jahre später entschied man sich, die von Anfang an geplante Erweiterung nicht nach den Plänen von Trint und Quast zu realisieren, sondern einen neuen Wettbewerb auszuschreiben, den Anfang des Jahres 2010 das Züricher Büro Meili & Peter Architekten gewann.
Die siegreichen Architekten bringen die geforderten neuen Ausstellungsflächen von 1400 Quadratmetern, mit denen die Gesamtfläche für die Präsentation von Kunst auf 7000 Quadratmeter wächst, in einem kompakten orthogonalen Volumen unter, welches nun den südlichen Abschluss des Museumskomplexes bildet. Allerdings stieß die wie facettiert wirkende Oberflä-che aus spiegelnden Glasscheiben aus finan-ziellen wie ästhetischen Gründen auf Kritik, sodass Meili & Peter bis 2012 ein neues Konzept erarbeiteten, das zunächst von der Jury, dann vom Stadtrat gutgeheißen wurde. Die über dem zurückgesetzten und in den Untergrund ausgreifenden zweigeschossigen Sockel mit Technikräumen, Depots und Werkstätten auskragende Box ist in anthrazitfarbenem und geschliffenem Sichtbeton realisiert. Zur Rhythmisierung der Oberfläche wird sie von einer kräftigen Relief- struktur gegliedert, die an Helmut Federles Brandwand der Schweizerischen Botschaft in Berlin erinnern mag, aber auch einen Verweis auf Gestaltungsprinzipien der abstrakten oder konstruktivistischen Kunst darstellen könnte, von der hervorragende Beispiele im Museum zu sehen sind. Wie auch immer, das Lichtspiel beeindruckt: Tief dunkle Bereiche im Schlagschatten wechseln mit silbrig schimmernden oder samtartig anmutenden Partien.
Schon von Anfang an findet sich im Wettbewerbsentwurf die Idee der „tanzenden Räume“ im Inneren. Die zehn Ausstellungssäle variieren in ihren Proportionen, den Grundrissflächen, der Ausrichtung und den Raumhöhe und werden stets über die Diagonale erschlossen. Sie sind zwar in eine rechteckige Grundrissstruktur eingefügt, durch den Innenausbau indes jeweils um ein paar Grad gegeneinander versetzt. Die Apparaturen, die sich oberhalb der Lichtdecken in allen Sälen verbergen, erlauben es, natürliches und künstliches Licht zu mischen, wobei die „Störung“ durch Wolken am Himmel nicht herausgefiltert wird, um den Zustand steriler Künstlichkeit zu verhindern. Graue Terrazzoböden, weiße Wände und Lichtdecken tragen dazu bei, dass die Säle ein räumliches Kontinuum bilden, jedoch aufgrund der wechselnden Gestalt jeweils ihre Eigenart besitzen und behalten. All diese Unterschiede sind auf den ersten Blick nicht zu bemerken, prägen aber die Raumstruktur. Die Architekten knüpfen mit ihren puristischen Räumen an frühe Gestaltungsprinzipien neuer deutsch-schweizer Museumsarchitektur an, als deren Inkunabeln das Kirchner Museum in Davos von Gigon/Guyer und die Sammlung Goetz von Herzog & de Meuron in München – beide 1992 eingeweiht – gelten.
Ein großer, als Foyer oder Veranstaltungsraum nutzbarer Saal mit einer geschwungenen Treppen- und Rampenkonstruktion – für die Deckenmitte ist ein Mobile von Alexander Calder vorgesehen – verbindet Alt und Neu. Von der Museumsstraße gelangt man zu den neuen Ausstellungssälen im Obergeschoss, so dass sich der Weg durch das Museum zum Rundgang schließt. An der Maschsee-Front endet die forti-fikatorisch anmutende Pflastersteinböschung am Neubau, die Pflasterung läuft weiter.
Im Inneren wie am Äußeren wahren Meili & Peter mit ihrer Ergänzung gestalterische Autonomie – und schaffen doch Verbindung. Um den Bezug zum Außenraum zu stärken, wird der Rundgang an drei Stellen durch loggia-ähnliche Ruheräume ohne Kunst unterbrochen. Die anthrazitfarbene Betonfassade des Museums zieht sich hier taschenartig nach Innen, durch die großflächige Verglasungen kann der Blick über den Maschsee schweifen, die größte Freitzeitattraktion im Zentrum der Stadt. In einer der Loggien soll in naher Zukunft einmal über die Geschichte des Sees informiert werden, der 1934/35 unter Beteiligung von Zwangsarbeitern angelegt wurde.



Fakten
Architekten Meili & Peter Architekten, Zürich
Adresse Kurt-Schwitters-Platz, 30169 Hannover


aus Bauwelt 43.2015
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