Staatliche Museum für Archäologie
Mit Schmackes gegen die Wand
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz wurde vom Atelier Brückner im einstigen Warenhaus Schocken eingerichtet. Auer Weber mit Knerer und Lang ist die Wiedergewinnung der originalen Fassade geglückt, ebenso eine elegante Verbindung der Ausstellungsebenen. Dazwischen geschah ein Unglück
Die Eröffnung des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz – zeitgemäß „smac“ abgekürzt – war der Höhepunkt einer Pressefahrt zur Moderne in Chemnitz, bei der die Kollegen, die sich dazu angemeldet hatten, tagelang durch leere Fabriketagen in unterschiedlich fortgeschrittenem Verfall geführt wurden. Es ist also nicht so, dass die altehrwürdige Industriestadt keine Alternativen, keine Orte von baugeschichtlich geringerer Relevanz geboten hätte für die Unterbringung dieser Institution des Freistaats Sachsen. Immerhin ist der Schocken-Bau das letzte erhaltene Warenhaus von ehemals drei Bauten, die Erich Mendelsohn (1887–1953) für diese Kette geplant hat. Mit ihnen (und einer Reihe kleinerer Kaufhäuser) hat der Architekt die Entwicklung des großstädtischen Geschäftshauses entscheidend befördert: weg von den auf Repräsentation angelegten Konsumkathedralen des Kaiserreichs mit ihren ebenso verschwenderischen wie unpraktischen Lichthöfen (in Sichtweite zum „smac“ steht dafür das von Wilhelm Kreis geplante, 1913 eröffnete Warenhaus Tietz), hin zu einer „Neuen Sachlichkeit“ in der Warenpräsentation ebenso wie mit Blick auf die funktionalen Beziehungen. Betrachtet man historische Aufnahmen der Schocken-Häuser in Nürnberg, Stuttgart oder Chemnitz, scheint der Fetisch-Charakter der Ware ein (wenn auch nur vorübergehendes) Ende gefunden zu haben – die Schocken-Häuser richteten sich ausdrücklich an ein preisbewusstes Publikum, nicht an eine auf Exklusivität bedachte Klientel. Ihre Architektur feierte stattdessen die neuen Phänomene der Großstadt: die Geschwindigkeit des Verkehrs, die Elektrizität, die Reklame. In der Baugeschichte der Moderne bilden Mendelsohns Geschäftshäuser ein zu wichtiges Kapitel, als dass ihrem letzten großen Vertreter bei der Umnutzung nicht mit allem Respekt zu begegnen gewesen wäre (vom Schicksal des Bauherren und seines Architekten nach 1933 ganz zu schweigen).
Von diesem Respekt aber ist im „smac“ nichts zu spüren: Effektüberfrachtet und komplett abgekapselt vom prägenden Element der Architektur – der Fassade, welche an den auf null auslaufenden Durchlaufträgern des Skelettbaus hängt –, scheint sich die 3600 Quadratmeter große, über drei Ebenen reichende Dauerausstellung vom Atelier Brückner keinen Deut um das Gebäude zu scheren, in dem sie sich befindet. Das ist schade, doch lässt sich verschmerzen. Mit dem über vier Geschosse in die Konstruktion gebrochenen „Lichthof“ aber, der den kreissegmentförmigen Grundriss unverständlich zentriert, wurde die Architektur Erich Mendelsohns massakriert.
Die Horizontale zerbrochen
Die horizontale Gliederung seiner Gebäude war für Mendelsohn mehr als eine Formalie, sie war ihm Ausdruck der neuen Zeit: „Die Vertikalbewegung der letzten Jahrhunderte, das Übereinander der Staatenpfeiler weicht dem horizontalen Nebeneinander der einzelnen Stammelemente ... Die vertikale Trustbildung schafft an der Spitze das Vakuum des Nutzens, im Fundament einen unerträglichen Druck der Fron. Das Hintereinanderschalten solch widersprechender Elemente ... weicht allmählich der Horizontaltendenz der nebeneinandergeschalteten Elemente im künftigen Produktionsorganismus. Endlich: Die großen überkommenen Hierarchien lösen sich im Unglauben auf. Die Vertikalbewegung der Glaubensherrschaft, das Gegeneinander von Rechtgläubigen und Ungläubigen weicht dem Nebeneinander der religiösen Elemente.“ So zu lesen im Text „Die internationale Übereinstimmung des neuen Baugedankens“, mit dem der Architekt 1930, im Jahr der Eröffnung der Chemnitzer Schocken-Filiale, seine erste Werkmonografie einleitet. Dass nun ausgerechnet dort eine solch dominierende Raumvertikale geschaffen wurde, wirkt, als sollte dem Haus der Geist seiner Architektur gezielt ausgetrieben werden. Dass das Loch nicht noch größer ausfiel, wie es den Szenografen ursprünglich vorschwebte, konnte mit statischen und funktionalen Argumenten verhindert werden, doch auch so ist der Effekt fatal: Während des Presserundgangs missdeuteten sogar Kollegen den „Lichthof“ als bauzeitlich, weil doch eigentlich warenhaustypisch. Und umso fassungsloser steht man darin angesichts eines nirgends erkennbaren Gewinns. Mit mehreren kleinen, in die Tragstruktur eingepassten, vielleicht gegeneinander versetzten Durchbrüchen hätten sich die niedrigen Ebenen (Geschosshöhe 3,20 m) jedenfalls ebenso gut, eventuell sogar auf räumlich interessantere, zumindest aber auf stärker Zeitgenossenschaft verratende Weise miteinander in Bezug setzen lassen – so, wie es mit dem neuen Aufgang ja gelungen ist, der das alte Nebentreppenhaus in der Spitze des Grundrisses ersetzt. Wie nur konnte das geschehen? Mit dem „Lichthof“ hat sich der 32,6 Millionen teure Umbau an der Baugeschichte wie an der Architektur Erich Mendelsohns jedenfalls schwer verhoben.
Doch es gibt auch einen Glanzpunkt: die Fassade. Sie ist bis ins Detail von der Architektengemeinschaft Auer Weber/Knerer und Lang, die erst ins Projekt kam, als über die Bildschirme der Szenografen um Kreativdirektor Uwe R. Brückner bereits die Einfälle blitzten, geradezu liebevoll wiederhergestellt worden. Und es gibt eine Überraschung: die schmale, „Erkerausstellung“ genannte Raumschicht direkt hinter der Fassade. Programmgemäß sollten hier, man glaubt es kaum, Technikräume die „black box“ der Ausstellung abschirmen. Den Architekten ist zu danken, dass man nun hier sitzen, auf Chemnitz schauen und sich über Schocken, Mendelsohn und die Geschichte des Gebäudes informieren kann.
Superzeichen im Stadtraum
Die Wiedergewinnung des Äußeren war nicht unbedingt zu erwarten. Das Schocken-Haus hatte, zum „Merkur“ arisiert, zwar den Krieg überstanden, auch, zum „Centrum“-Warenhaus sozialisiert, den Neuaufbau der Stadt zu DDR-Zeiten überdauert und schließlich, als „Kaufhof“ reprivatisiert, den Umbrüchen nach 1990 getrotzt – seine ursprüngliche Eleganz aber hatte es verloren. Von der technisch avancierten Fassade – Mendelsohn hatte hier eine der ersten hinterlüfteten Natursteinfassaden realisiert – war nicht mehr viel übrig: Die Schaufenster verbargen sich hinter Verkleidungen, die Fensterbänder gewährten mit spiegelndem Sonnenschutzglas keinen Blick von außen mehr auf die Hängekonstruktion der Fassade, die hellen Bänder aus Kehlheimer Auerkalk waren im Lauf der Zeit mit dunkleren Platten aus Rumänien bestückt worden. Dass die Fassade heute wieder so aussehen dürfte wie zur Eröffnung, ist drei Umständen zu verdanken: der Denkmalpflege, die den Veränderungen keinen Zeugniswert zusprach; der Tatsache, dass der einst liefernde Steinbruch noch aktiv und wieder erreichbar war, und schließlich dem Auffinden von Belegen dafür, wie die Fassade einst überhaupt detailliert gewesen war. Dank der zurückgewonnenen Gestalt lässt das Haus nun wieder den Kontext seiner Entstehung lebendig werden: Die vom Bauherrn Schocken nach den Erfahrungen in Stuttgart angestrebte Kostenbegrenzung für seine Chemnitzer Filiale zum Beispiel zeigt sich schon bei dem Kontakt mit der Straße – Schaufenster und Eingänge sind nicht etwa aus Bronze hergestellt, sondern schlicht aus Holz gebaut.
Fakten
Architekten
Atelier Brückner, Stuttgart; Auer Weber, Stuttgart/München; Knerer und Lang, Dresden/München; Mendelsohn, Erich (1887-1953)
Adresse
Stefan-Heym-Platz 09111 Chemnitz
aus
Bauwelt 23.2014
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